Lecanemab verlangsamte das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit in frühen Stadien
Offensichtlich konnte in der Alzheimer-Therapie ein Durchbruch
mit Lecanemab erzielt werden. Der Antikörper richtet sich gegen sogenannte
Protofibrillen, ein toxisches Zwischenprodukt von Amyloid-Fibrillen, hat
also einen spezifischeren Ansatzpunkt als die bisherigen Antikörper, die
enttäuschten. Die neuen Studiendaten sind überzeugend und konsistent, die
Publikation lässt auch nicht auf Sicherheitssignale schließen. Allerdings
gibt es Medienberichte über zwei Todesfälle in der Open-Label-
Extensionsphase der Studie, denen nachgegangen werden muss.
Auf dem Alzheimer-Kongress in San Francisco wurde vor wenigen Stunden eine
Phase-3-Studie [1] vorgestellt, die einen Meilenstein für die Behandlung
der Alzheimer-Erkrankung darstellen könnte. An Demenz leiden weltweit 50
Millionen Menschen; in Deutschland sind es 1,6 Millionen – im Jahr 2050
könnten es bereits 2,8 Millionen sein [2] – und ein Großteil der Demenzen
ist auf die Alzheimer-Erkrankung zurückzuführen.
Bisher hatten Studien zu Antikörpern enttäuscht – der erhoffte Effekt im
Hinblick auf die Verlangsamung des kognitiven und funktionellen Abbaus
konnte nicht nachgewiesen werden. Die bisher getesteten Antikörper
(Aducanumab und Gantenerumab) richteten sich gegen aggregiertes Amyloid.
Es handelt sich dabei um ein Eiweiß-Molekül, das sich im Gehirn ansammelt,
sich dort zwischen den Nervenzellen wie ein Belag absetzt – man spricht
daher auch von Alzheimer-Plaques – und die Nervenzellen schädigt. Diese
Amyloid-Ablagerungen sind typisch für Alzheimer und waren daher Target der
zuvor getesteten Antikörper, die nicht überzeugten.
Nun konnte offensichtlich ein Durchbruch mit einem anderen Antikörper,
Lecanemab, erzielt werden, der sich gegen sogenannte Protofibrillen
richtet. Es handelt sich dabei um toxische Zwischenprodukte von Amyloid-
Fibrillen, winzigen Bestandteilen der Amyloid-Zellen. „Möglicherweise
haben wir nun einen Angriffspunkt gefunden, der einen Unterschied im
klinischen Verlauf macht“, erklärt Prof. Dr. med. Jörg B. Schulz, Aachen,
Sprecher der Kommission Demenz der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
(DGN).
In der gestern Nacht präsentierten Studie wurden 1.795 Teilnehmende mit
einer Alzheimer-Erkrankung in den Frühstadien randomisiert, 898 erhielten
Lecanemab (10 mg pro kg Körpergewicht i.v. alle zwei Wochen), 897 ein
Placebo. Nach 18 Monaten wurde der Effekt auf den sogenannten CDR-SB-Score
(Clinical Dementia Rating–Sum of Boxes) erhoben. Es handelt sich um einen
etablierten Score zur Einschätzung der Schwere der Demenz, der Faktoren
wie Gedächtnis, Orientierung, Urteils- und Problemlösungsvermögen,
Geschäftsfähigkeit, häusliches Leben und Hobbies sowie die Fähigkeit, sich
selbst zu versorgen, einbezieht. Bei Studieneinschluss lag der mittlere
CDR-SB-Score bei etwa 3,2 in beiden Gruppen. Der Unterschied zwischen den
Gruppen war nach 1,5 Jahren beträchtlich: Der Score hatte sich um 1,21 in
der Verumgruppe und um 1,66 in der Placebogruppe verändert (p<0,001).
„Die Effekte der Behandlung mit Lecanemab waren in allen untersuchten
primären und sekundären Endpunkten signifikant positiv. Gemessen mit der
CDR-SB wurde die Erkrankungsprogression um 27% verlangsamt, bei den
Aktivitäten des täglichen Lebens machte der Unterschied 37% aus. Die
Unterschiede zwischen den mit Lecanemab und Placebo behandelten
Patientinnen und Patienten waren bereits nach sechs Monaten signifikant
und nahmen mit weiterer Behandlungsdauer zu. Die PET-Amyloid Last wurde
sehr deutlich und signifikant reduziert“, erklärt der Alzheimer-Experte.
„Die Daten sind überzeugend und konsistent, so dass wir nun auf eine
schnelle Zulassung hoffen, wenn die Zulassungsbehörden das Medikament als
sicher einstufen.“
Im Hinblick auf mögliche schwere Nebenwirkungen gab es in der Studie keine
Überraschungen. Wie bei der Therapie mit gegen Amyloid gerichteten
Antikörpern traten zwar auch unter Behandlung mit Lecanemab Nebenwirkungen
auf, darunter Ödeme und Mikrohämorrhagien („Amyloid-related imaging
abnormality“/ARIA). Diese blieben allerdings meist klinisch stumm. So lag
die ARIA-H-Rate (ARIA-H: Zerebrale Mikroblutungen und oberflächliche
Siderose) bei 17,0 % in der Lecanemab-Gruppe und bei 8,7 % in der
Placebogruppe, das Auftreten von symptomatischen ARIA-H lag hingegen nur
bei 0,7 % in der Lecanemab-Gruppe und bei 0,2 % in der Placebogruppe. „In
der Studie sind keine Sicherheitssignale zu erkennen, das Nutzen-Risiko-
Profil lässt sich aus diesen Daten als positiv bewerten“, schlussfolgert
Prof. Schulz.
Allerdings gibt es in den USA Berichte [3] über zwei Todesfälle, die nach
der eigentlichen Studie in der Open-Label Extensionsphase auftraten. Eine
Frau starb infolge einer Hirnblutung nach rtPA -Therapie bei Verschluss
der Arteria cerebri media, ein weiterer Patient entwickelte eine
Gehirnblutung unter Antikoagulation und im Anschluss einen tödlichen
Herzinfarkt. „Diesen Berichten muss nun nachgegangen werden, auch muss
untersucht werden, ob die Alzheimer-Medikation das Risiko für solche
Ereignisse erhöhen könnte. Die Zulassungsbehörden arbeiten hier sehr
sorgfältig. Werden diese Zweifel an der Sicherheit ausgeräumt, hätten wir
endlich ein wirksames Medikament gegen Alzheimer.“
Wichtig sei allerdings, dass der Antikörper nur in den Frühphasen der
Alzheimer-Erkrankung mit nur milden kognitiven Einschränkungen erfolgreich
ist. Lecanemab verlangsamt das Fortschreiten der Erkrankung, mache sie
nicht rückgängig, Patientinnen und Patienten mit ausgeprägtem
Krankheitsbild und schwerer Demenz profitieren also nicht von der
Therapie.
[1] van Dyck CH, Swanson CJ, Aisen P et al. Lecanemab in Early Alzheimer’s
Disease. NEJM 2022; published on November 29, 2022. DOI:
10.1056/NEJMoa2212948
[2] Livingston G, Huntley J, Sommerlad A et al. Dementia prevention,
intervention, and care: 2020 report of the Lancet Commission. Lancet 2020
Aug 8; 396 (10248): 413-446
[3] https://www.science.org/conten
antibody-treatment-alzheimer-s
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