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Krankheit aufgrund der Psyche? Psychosomatische Erkrankungen erklärt

Krankheit aufgrund der Psyche Symbolbildunsplash
Krankheit aufgrund der Psyche Symbolbild unsplash

Psychische Probleme stellen für die Betroffenen eine immense Belastung dar und bringen nicht selten starke Beeinträchtigungen im Alltag mit sich. In vielen Fällen entstehen aufgrund einer anhaltenden psychischen Belastung auch körperliche Beschwerden, die vielseitiger nicht sein könnten. Dann spricht man von der sogenannten Psychosomatik.

Was ist das genau, welche Ursachen gibt es und wie erfolgt die Behandlung? Das sehen wir uns nun genauer an.

Was ist Psychosomatik?

„Psychosomatik“ setzt sich zusammen aus den Begriffen „Psyche“ (Seele) und „Soma“ (Körper). Entsprechend dreht sich bei der Psychosomatik alles um die Seele und den Körper und vor allem um deren Einfluss aufeinander: Beides bildet eine Einheit und kann nicht unabhängig voneinander betrachtet werden. Aus diesem Grund können körperliche Beschwerden sich genauso auf die Seele auswirken wie seelische Leiden auf den Körper.

Häufig finden Ärzte bei ihren Patienten keine körperlichen Ursachen für deren Beschwerden. Dann handelt es sich nicht selten um „somatoforme Störungen“ – psychosomatische Erkrankungen - die von seelischen Beschwerden verursacht werden. Die Ursachen sind ebenso vielseitig wie die Symptome.    

Eine große Rolle bei der Psychosomatik spielen auch soziale Faktoren, die daher stets bei der Diagnose berücksichtigt werden müssen.

In jedem Fall ist wichtig zu wissen, dass sich die Betroffenen ihre Beschwerden keinesfalls einbilden und oft selbst keinen Zusammenhang zu möglichen psychischen Belastungen herstellen können. Gleichzeitig ist es für viele Menschen auch unvorstellbar, dass psychische Probleme überhaupt körperliche Beschwerden hervorrufen können.

Das macht die Erkrankung selbstverständlich nicht weniger belastend, weswegen Ärzte die psychosomatische Komponente erst recht ernst nehmen müssen. Bislang konzentrieren sich viele davon jedoch immer noch ausschließlich auf den Körper und tun die seelische Belastung ab. Demnach zieht sich eine konkrete Diagnose in einigen Fällen über mehrere Jahre. Umso relevanter ist heute die psychosomatische Grundversorgung für Ärzte.  

Was sind häufige psychosomatische Beschwerden?

Wie erwähnt sind psychosomatische Beschwerden äußerst vielseitig und daher oft völlig unspezifisch. Folgende Beschwerden können in diesem Zusammenhang auftreten:

  • Kopfschmerzen
  • Schwindel
  • Nacken- oder Rückenschmerzen
  • Gelenkschmerzen
  • Magen-Darm-Beschwerden
  • Herzrasen
  • Hautausschlag
  • Schweißausbrüche
  • Atemnot
  • Schlafstörungen
  • Ständige Erschöpfung und Müdigkeit
  • Unspezifische Schmerzen
  • Verkrampfungen der Muskeln
  • Haarausfall
  • Ohrgeräusche
  • Sexuelle Unlust / Impotenz
  • Suchtkrankheiten
  • Essstörungen

In schlimmen Fällen können durch die seelischen Beschwerden auch Krankheiten wie folgende entstehen bzw. bestehende körperliche Beschwerden zu diesen verschlimmert werden:  

  • Magengeschwüre
  • Herzinfarkt
  • Hörsturz
  • Neurodermitis
  • Bandscheibenvorfall

Was sind mögliche Ursachen für psychosomatische Beschwerden?

Gleichermaßen vielseitig wie die Symptome sind auch die möglichen Ursachen für psychosomatische Erkrankungen:

  • andauernder Stress
  • soziale Konflikte (mit der Familie, dem Partner, Freunden oder auch Kollegen)
  • negative oder gar traumatische Erfahrungen und Erlebnisse
  • Ängste, Sorgen
  • eingefahrenen Verhaltensweisen
  • allgemein schwierige Lebensumstände
  • Depressionen

Einige dieser Ursachen sind gleichzeitig mögliche Symptome, die wiederum durch anhaltende körperliche und unbehandelte Symptome entstehen können. Es handelt sich zweifellos um einen Teufelskreis.

Wie häufig kommen psychosomatische Erkrankungen vor?

Psychosomatische Krankheiten sind deutlich häufiger als sich viele Menschen vorstellen können – insbesondere, wenn sie nicht betroffen sind. Tatsächlich gibt es jedoch treffende Redewendungen, die diesen Zusammenhang zwischen körperlichen und seelischen Beschwerden bereits verdeutlichen. Dazu gehören beispielsweise folgende:

  • „Das [etwas Negatives] schlägt mir aber auf den Magen.“
  • „Die Angst sitzt mir im Nacken.“
  • „Das geht mir wirklich an die Nieren.“

In Deutschland machen ungefähr 80 Prozent der Menschen mindestens einmal in ihrem Leben bewusst oder unbewusst Erfahrungen mit psychosomatischen Beschwerden. Während sich die Probleme bei einigen dieser Menschen recht schnell wieder lösen, bleiben sie bei anderen langfristig bestehen und sorgen für die bereits genannten Symptome. Dann kann man in der Tat von chronischen Beschwerden sprechen.

Wie erfolgt die Diagnose von psychosomatischen Erkrankungen?

Die meisten Ärzte werden immer zunächst den körperlichen Beschwerden auf den Grund gehen. Kann dahingehend nichts gefunden werden, werden auch psychische Probleme hinterfragt. Die Diagnostik konzentriert sich dann schlussendlich darauf und bezieht entsprechend soziale Faktoren und die Lebensumstände des Patienten mit ein.   

Wie erfolgt die Behandlung bei psychosomatischen Erkrankungen?

Konnte eine Diagnose gestellt werden, kann eine zielgerichtete Behandlung beginnen. In diesem Zuge werden körperliche Beschwerden selbstverständlich ebenfalls mit Medikamenten oder manueller Therapie behandelt. Zudem wird bestenfalls der allgemeine Lebensstil optimiert. Das bedeutet, dass eine Ernährungsumstellung erfolgt und im Rahmen einer Sport- und Bewegungstherapie eine regelmäßige sportliche Betätigung etabliert wird. Auch Suchterkrankungen werden behandelt.  

Außerdem kommen Physiotherapie, physikalische Therapie, Kunst- und Ergotherapie sowie soziale Beratung zum Zuge. Wichtig ist insbesondere auch die Psychotherapie, in der psychosoziale Schwierigkeiten erkannt und eingefahrene Verhaltensweisen aufgelöst werden. Ergänzt wird dies oftmals mit der Gabe von Psychopharmaka.  

Zusammenfassung

Psychosomatische Beschwerden sind eine immense Belastung für die Betroffenen und müssen möglichst zeitnah ernst genommen und behandelt werden. Andernfalls kommt es zu schweren, chronischen Erkrankungen, die weitere Krankheiten begünstigen oder verschlimmern. Wichtig ist daher, Ärzte zu finden, welche die körperlichen Beschwerden schnell einer möglichen psychischen Belastung zuordnen können, wenn sie keine körperlichen Ursachen finden können.   

 

 

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Neue, alte Bekannte: Bakteriophagen im Einsatz gegen multiresistente Keime

Multiresistente Keime werden durch zunehmende Anibiotikaresistenzen zu
einer immer größeren Herausforderung in der Medizin. Ein Ausweg könnten
Bakteriophagen sein. Diese wurden am Universitätsklinikum Regensburg (UKR)
nun erstmalig bei einem ukrainischen Kriegsverletzten eingesetzt.

Ihor S. (Name geändert) hat schon vor dem offiziellen Kriegsbeginn für
sein Land gekämpft. Im Dezember 2021 geriet der Ukrainer bei
Kampfhandlungen im Donbas unter Raketenbeschuss. Ein Granatsplitter
zerstörte sein linkes Bein unterhalb der Leiste. Schwerverletzt wurde er
in der Ukraine erstversorgt. Allerdings waren durch die Explosion Keime in
seine Wunde geraten, was in einer folgenschweren Wundinfektion endete. Es
begann eine Odyssee. Seit Januar 2022 ist der 42-Jährige fast
ununterbrochen in klinischer Behandlung und wurde bis heute etwa 50 Mal
operiert. Im Juni 2022 kam Ihor, organisiert vom Bundesamt für
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, mit einem der ersten
Verletztentransporte aus der Ukraine nach Deutschland. Zunächst wurde er
in einem anderen Krankenhaus versorgt. Als dort aber alle Mittel
ausgeschöpft waren, wurde er in die Klinik und Poliklinik für
Unfallchirurgie des UKR verlegt. „Als wir Ihor aufgenommen haben, zeigten
sich zwei schwerwiegende medizinische Herausforderungen. Zum einen hatte
er einen großen und bakteriell infizierten Knochendefekt im linken
Oberschenkel, der bis dato nicht ausreichend versorgt wurde. Zum anderen
hatte er gleich vier hoch antiobiotikaresistente Keime, die immer wieder
zu neuen Infektionen führten“, erläutert Professor Dr. Dr. Volker Alt,
Direktor der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie des UKR. „Wir haben
uns deswegen im Rahmen eines individuellen Heilversuchs dazu entschieden,
Ihor mit Bakteriophagen zu behandeln, um für ihn die Chance der
Infektionskontrolle zu erhöhen.“ Die Phagentherapie ist in Deutschland
bislang nicht als Standardtherapie zugelassen. Für Ihor war es aber die
letzte Möglichkeit, sein Bein zu retten. „Wie es momentan aussieht, mit
Erfolg: nach fast einem Jahr Krankenhausaufenthalt kann er jetzt endlich
in eine Reha-Einrichtung entlassen werden“, so Professor Alt.

Bakteriophagen-Therapie erfährt neuen Aufschwung

Die Therapie mit Bakteriophagen ist keineswegs neu. Ihre Wirkung ist schon
seit mehr als 100 Jahren bekannt. Mit Entdeckung des Antibiotikums wurden
die Viren aber in Westeuropa als Therapiemittel verdrängt. Weltweit
führend im Umgang mit Bakteriophagen ist heute das Georg-Eliava-Institut
in Georgien, das auch die Phagen für Ihor züchtete. Bakteriophagen haben
wie alle Viren keinen eigenen Stoffwechsel und sind somit auf einen Wirt
angewiesen. Im Fall von Bakteriophagen sind dies Bakterien. Die Phagen
geben ihre DNS in das Bakterium ab und zwingen es so, selbst
Bakteriophagen herzustellen, bis das Bakterium zerstört wird und die neu
produzierten Bakteriophagen freisetzt.

In Deutschland werden aktuell Pilotstudien und wie bei Ihor
Einzelfallbehandlungen durchgeführt. „Bakteriophagen könnten allerdings
wieder an Bedeutung zunehmen, denn die rasante Entwicklung von
antibiotikaresistenten Keimen stellt uns in der Medizin weltweit vor eine
große Herausforderung“, erläutert Professor Dr. Dr. André Gessner, Leiter
des Instituts für Mikrobiologie und Hygiene am UKR.

Der Behandlung ging eine ausführliche Analyse voran

Die Behandlung von Ihor S. war mit einer langen und ausführlichen
Vorbereitungszeit verbunden. So wurden Proben seiner Keime in ein Institut
nach Belgien geschickt, welches dann in Kooperation mit den Kollegen in
Georgien nach passenden Phagen suchte. Tatsächlich konnten für zwei von
Ihors Keimen Bakteriophagen gefunden werden. Diese wurden dann im Labor
von Professor Gessner zunächst wissenschaftlich analysiert. Dabei wurde
noch einmal die Passung getestet sowie das Potential und eventuelle
Risiken bewertet.

„Erst als wir uns ganz sicher waren, dass die Phagentherapie das Mittel
der Wahl für Ihor darstellt, haben wir den Eingriff geplant“, kommentiert
Professor Gessner. Die Mediziner wagten dabei ein weiteres Novum. So
werden die Phagen bei offenen Wunden eigentlich in flüssiger Form
eingebracht. Dabei bleiben die Phagen allerdings nicht an Ort und Stelle,
sondern werden über das Blut- und Lymphsystem abtransportiert. In einem
experimentellen Vorgang haben Mediziner aus Lyon deswegen ein spezielles
Gel eingesetzt, welches mit Phagen versetzt in die Wunde gegeben werden
kann. Die Phagen sind durch das Gel gebunden und diffundieren langsam und
über einen Zeitraum von mehreren Tagen aus diesem in die Wunde. „Durch die
gezielte Positionierung versprechen wir uns eine erhöhte Wirksamkeit“,
meint Professor Alt. „Die französischen Kollegen haben uns das Gel für die
Behandlung von Ihor zur Verfügung gestellt, so dass wir bei dieser
Behandlung von einer multinationalen Kooperation sprechen kann.“

Auch aus chirurgischer Sicht herausfordernd

Neben der Phagentherapie war Ihors Operation auch aus chirurgischer Sicht
überaus anspruchsvoll. So wurde der große Knochendefekt im Oberschenkel
durch Knochentransplantate gedeckt. Zum einen wurde dabei ein etwa zwanzig
Zentimeter langes Knochenstück aus dem Wadenbein des ukrainischen
Patienten verwendet. Zum anderen wurden Hüftgelenksköpfe von Spendern
verarbeitet, die entnommen werden, wenn künstliche Hüftgelenke eingesetzt
werden. Nachdem die Knochen in Ihors Oberschenkel chirurgisch ersetzt
waren, wurde das Phagengel in die Wunde injiziert. „Da wir wissen, dass
sich Bakterien insbesondere an den metallischen Schrauben und Platten
sammeln, die zur Stabilisation der Knochen eingebracht werden, haben wir
das Gel vor allem dort aufgebracht“, erklärt Professor Alt. Bezüglich der
zwei weiteren Keime, für die keine Bakteriophagen gefunden wurden, wurden
die letzten zur Verfügung stehenden Antibiotika ebenfalls direkt in die
Wunde gegeben.

Bakteriophagen werden weiter erforscht

Um den vielversprechenden Einsatz von Bakteriophagen weiter zu verfolgen,
ist die Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie auch weiterhin in diesem
Gebiet aktiv. So wird hier gerade das bei Ihor zum Einsatz gekommene Gel
hinsichtlich seiner Eigenschaften als geeignetes Trägermaterial für
Bakteriophagen erforscht. Dieses wissenschaftliche Projekt wird auch von
der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie mit dem erstmalig
vergebenen Preis zur Forschungsförderung translationaler
Kooperationsprojekte gefördert.

Für Ihor S. geht nun ein großer Weihnachtswunsch in Erfüllung. Nach dem
großen Eingriff konnte er letzte Woche mit einer gut verheilten Wunde in
eine Reha-Einrichtung entlassen werden – auch dank der Bakteriophagen.

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Depression bei Herzerkrankung: Welche Therapien helfen bei psychischen Leiden?

Psychokardiologe informiert in HERZ heute über aktuelle Therapieoptionen
bei Herzschwäche, koronarer Herzkrankheit (KHK) und anderen Herzleiden

Stress, soziale Isolation, negative Gefühlszustände und Depression können
zusätzlich die meist ohnehin aufgrund der körperlichen Symptome
verminderte Lebensqualität chronisch herzkranker Menschen beeinträchtigen.
Bei Herzschwäche sind es insbesondere Luftnot, Abnahme der
Leistungsfähigkeit, Müdigkeit und Wassereinlagerungen in den Beinen. In
den letzten rund 25 Jahren sind zahlreiche psychokardiologische
Behandlungen mit dem Ziel entwickelt worden, Betroffenen bei der
Überwindung von psychosozialen Leiden und zu einer höheren Lebensqualität
zu verhelfen. „Aber nicht alles, was in der Theorie hilfreich erschien und
in Studien positive Effekte gezeigt hat, hat sich in der Praxis bewährt“,
erklärt Professor Dr. Christoph Herrmann-Lingen vom Wissenschaftlichen
Beirat der Deutschen Herzstiftung und Leiter der Klinik für
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin
Göttingen. In der aktuellen Ausgabe von HERZ heute 4/2022 erläutert der
Experte für Psychokardiologie, welche psychologischen Therapien und
Medikamente für Patienten mit Herzkrankheiten wie koronare Herzkrankheit
(KHK) oder Herzschwäche, die unter einer Depression oder depressiven
Verstimmung leiden, Wirkung zeigen. Denn manche Medikamente wirken zwar
bei Patienten mit einer KHK, nicht aber bei Herzschwäche. Am Beispiel der
Antidepressiva zeigt der Psychokardiologe, dass sich ihre Wirksamkeit je
nach Schweregrad der Depression und je nach Vorliegen einer KHK oder einer
Herzschwäche deutlich unterscheiden kann: Warum wirken etwa Antidepressiva
aus der Klasse der sogenannten Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) bei
KHK-Patienten mit Depression, aber nicht bei Herzschwäche-Patienten?
Dieser und vielen weiteren Fragen zur Behandlung psychosozialer Probleme
widmet sich der Beitrag „Trost für die Seele“ von Herrmann-Lingen in der
aktuellen Ausgabe HERZ heute 4/2022. Diese kann als kostenfreies
Probeexemplar telefonisch unter 069 955128-400 oder unter
www.herzstiftung.de/bestellung (Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.)
angefordert werden.

Positive Perspektive für Patienten mit Herzschwäche und Depression
Jüngste Beobachtungen aus Studien hätten gezeigt, dass es bei Patienten
mit Herzschwäche und Depression durchaus Therapieoptionen gibt, die
helfen. So können Therapieelemente, die man aus der telemedizinischen
Behandlung kennt, zur Besserung der depressiven Symptome beitragen: eine
engmaschige intensive Betreuung, regelmäßiger persönlicher Kontakt mit
einem Ansprechpartner und eine allgemeine medizinische Beratung. „Die
Beobachtung, dass sich schon der regelmäßige persönliche Kontakt mit einem
verlässlichen Ansprechpartner positiv auf das psychische Befinden von
Herzpatienten auswirkt, haben mehrere Studien wissenschaftlich gesichert“,
so Herrmann-Lingen. Wichtig bei der Nutzung telemedizinischer
Betreuungskonzepte ist daher, dass dabei die wichtige persönliche
Begegnung von Patient/Patientin und Arzt oder Ärztin nicht ersetzt werden
soll. Infos der Herzstiftung zur Telemedizin bei Herzschwäche sind unter
www.herzstiftung.de/herzinsuffizienz-telemedizin abrufbar.

Therapien, die Herzkranken bei Ängsten, Stress und Belastungsstörungen
helfen
Der Psychokardiologie-Experte Prof. Herrmann-Lingen geht in HERZ heute
auch auf psychosoziale Faktoren ein, die über die Depression hinaus gehen.
Psychokardiologische Behandlungen helfen auch bei herzbezogenen Ängsten
oder bei organisch nicht ausreichend erklärbaren, sogenannten
funktionellen Herzbeschwerden. Deren erst durch wenige Studien belegte
Wirkung liege „in einer ähnlichen Größenordnung wie bei der Behandlung der
Depression“, so Herrmann-Lingen. Schwerwiegendere psychische Leiden wie
posttraumatische Belastungsstörungen etwa nach Herzinfarkt, nach
Wiederbelebung oder wiederholter Defibrillator-Schockabgabe erfordern eine
traumaspezifische Psychotherapie. Chronischem Stress können Herzpatienten
mit verschiedenen Verfahren zur Entspannung und besseren Stressbewältigung
entgegenwirken. Hier stehen Gesprächsgruppen zur Stressbewältigung als
Option im Fokus, aufgrund neuester Erkenntnisse auch in getrennten
Programmen für Männer und Frauen.
(wi)

Aktuelle HERZ heute: Jetzt Probeexemplar anfordern!
Die Zeitschrift HERZ heute wendet sich an Herz-Kreislauf-Patienten und
deren Angehörige. Die aktuelle Ausgabe 4/2022 mit dem Themenschwerpunkt
„Herzensansichten – kardiale Bildgebung“ informiert in dem Beitrag „Trost
für die Seele“ von Prof. Dr. Christoph Herrmann-Lingen über aktuelle
psychkardiologische Therapiekonzepte. Die Zeitschrift HERZ heute erscheint
viermal im Jahr, Mitglieder der Deutschen Herzstiftung bekommen sie im
Abonnement nach Hause geliefert. Ein kostenfreies Probeexemplar ist unter
Tel. 069 955128-400 oder unter www.herzstiftung.de/bestellung (Mail:
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.) erhältlich.

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Auch ältere Menschen profitieren von einer Blutdrucksenkung (2)

Bluthochdruck ist eine der Hauptursachen für die Schädigung von Organen
und Gefäßen. Je länger Bluthochdruck unbehandelt bleibt, desto höher ist
das Sterberisiko. Es ist also nie zu spät, auch im höheren Alter mit einer
medikamentösen Therapie zu beginnen, das zahle sich im Hinblick auf
Lebenszeit und -qualität aus, wie Prof. Peter Trenkwalder, Experte der
Deutschen Hochdruckliga e. V. DHL® │ Deutsche Gesellschaft für Hypertonie
und Prävention, auf der heutigen Pressekonferenz zum Hypertonie Kongress
in Berlin hervorhob. Allerdings müsse die Diagnostik bei älteren Menschen
besonders sorgfältig erfolgen.

Eine Altershypertonie ist unabhängig vom Geschlecht ein weit verbreitetes
Phänomen. Von in Deutschland insgesamt ca. 20 bis 30 Millionen Menschen
mit Bluthochdruck ist im Alter über 60 Jahren fast jeder Zweite betroffen.
Der Grad der Gefäßverkalkung nimmt zu, damit steigt das Risiko für
Schlaganfälle und Herzinfarkte. Die Hälfte aller Schlaganfälle tritt bei
über 70-Jährigen auf, die Überlebenschancen älterer Menschen nach einem
Herzinfarkt verschlechtern sich mit jedem weiteren Lebensjahr. Etwa ein
Viertel aller Betroffenen, die bei einem Infarkt 75 Jahre oder älter sind,
überlebt diesen nicht [1].

„Die Hypertonie hat auch im Alter einen hohen Krankheitswert, doch das
wird immer wieder bagatellisiert“, betonte Prof. Dr. Peter Trenkwalder,
Gauting, ehemaliges Mitglied des Vorstands der Deutschen Hochdruckliga.
„Die Zeiten von ‚normaler Blutdruck = 100 plus Lebensalter‘, dem
sogenannten Erfordernis-Hochdruck im höheren Alter, sind vorbei. Mit
dieser althergebrachten Einstellung – mental wie auch im Hinblick auf den
Blutdruck – gefährden wir Leben“, so lautet sein eindringlicher Appell.
Auch eine Altershypertonie muss konsequent behandelt werden, um
Folgekomplikationen durch Organschädigungen zu verhindern. Der Nutzen
einer Therapie ist mittlerweile gut belegt.

Bereits 2008 hat die groß angelegte HYVET-Studie („Hypertension in the
Very Elderly Trial“), eine randomisierte, doppelblinde Studie, gezeigt,
dass „rüstige“ über 80-jährige Hochdruckpatientinnen und -patienten (alle
Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen konnten noch selbst zum
Studienzentrum gehen) von einer blutdrucksenkenden Therapie profitieren.
Im Vergleich zur Placebogruppe reduzierte die Therapie das
Schlaganfallrisiko um 30 %, die Gesamtmortalität um 21 % und die
kardiovaskuläre Mortalität um 23 %, die Herzinsuffizienzrate war unter
antihypertensiver Behandlung sogar um 64 % reduziert. Letzteres bringt
einen großen Vorteil für die Lebensqualität, denn die Herzinsuffizienz
beeinträchtigt das Leben alter Menschen stark, führt oft zur Einschränkung
ihrer Selbstständigkeit und zur sozialen Isolation.

Auch was die vermeintlichen Nebenwirkungen der blutdrucksenkenden Therapie
anging, war die doppelt verblindete Studie, bei der also weder die
Betroffenen noch ihre Behandler wussten, wer zur Placebogruppe gehörte und
wer die „echte“ Medikation erhielt, aufschlussreich: Die Nebenwirkungsrate
war in der Placebogruppe signifikant erhöht (358 vs. 448, p = 0,001).

Im vergangenen Jahr bestätigte eine große chinesische Studie [3] das
Ergebnis der HYVET-Studie und zeigte ebenfalls, dass ältere Menschen (hier
60–80 Jahre alt, auch in dieser Studie relativ gesund) von der Therapie im
Hinblick auf Mortalität und Morbidität profitieren. Sie verglich das
kardiovaskuläre Outcome von über 8500 Menschen mit Bluthochdruck, deren
Blutdruck entweder in den Zielbereich von 110–129 mm Hg oder in den von
130–150 mm Hg eingestellt wurde. Die striktere Blutdrucksenkung führte zu
einer signifikant geringeren Rate an Herz- und Gefäßerkrankungen, allein
das Schlaganfallrisiko konnte durch die Therapie um ein Drittel gesenkt
werden (HR = 0,67).

Bezüglich der Zielwerte könne man bei älteren Patientinnen und Patienten
zwar etwas großzügiger als bei jungen oder bei Menschen im mittleren
Lebensalter sein, bei denen 120–130/75–80 mm Hg optimal sind, erklärte
Prof. Trenkwalder. Dennoch sollte man auch bei „rüstigen“, gesunden
Betagten und Hochbetagten einen systolischen Wert zwischen 130 und 140 mm
Hg anstreben. Bei der Blutdruckeinstellung sei zudem zu beachten, dass
Menschen sehr unterschiedlich altern. So gebe es gesunde und körperlich
aktive über 80-Jährige ebenso wie gebrechliche, kognitiv eingeschränkte
und wenig belastbare 70-Jährige – und diese allgemeine Verfassung habe
letztlich Einfluss auf die Therapieziele. Je „rüstiger“ ältere Menschen
sind, desto eher solle man die Blutdruckziele jüngerer Hypertonikerinnen
und Hypertoniker anstreben.

„Dennoch sind die alten Vorurteile, die Blutdrucksenkung bringe bei
Hochbetagten weniger Nutzen als Schaden, bestehen geblieben – und wir
bitten die Medien herzlich, uns zu helfen, mit diesem tödlichen Vorurteil
aufzuräumen“, appellierte Prof. Trenkwalder.

Warum sich dieses Vorurteil so hartnäckig hält, erklärte Prof. Trenkwalder
mit zwei gängigen Fehlern, die in der Praxis und der Klinik immer wieder
vorkämen und in wenigen Fällen zu einer Übertherapie führten. So würde
nicht berücksichtigt, dass bei alten Menschen die sogenannte
Weißkittelhypertonie, bei der durch äußere Einflüsse wie z. B. Aufregung
beim Arztbesuch der Blutdruck kurzzeitig erhöht ist, oder auch
kurzfristige Blutdruckschwankungen häufiger vorkommen. „Jede
Bluthochdruckdiagnose sollte in einer 24-Stunden-Messung bestätigt werden,
bevor therapiert wird“, so der Experte. Denn die Langzeitmessung kann
ausschließen, dass blutdruckgesunde Menschen fälschlicherweise behandelt
werden und entdeckt umgekehrt auch Fälle der sogenannten maskierten
Hypertonie. Zum anderen würde die orthostatische (aufrecht stehend)
Hypotonie vielmals nicht beachtet werden, die z. B. beim Aufrichten des
Körpers aus einer Sitz- oder Liegestellung den Blutdruck plötzlich
absacken lässt. Um sie auszuschließen, sollte der Blutdruck unbedingt auch
im Stehen gemessen werden. Denn bei orthostatischer Hypotonie trotz
Hypertonie sollte die antihypertensive Therapie vorsichtig erfolgen und
ist in schweren Fällen sogar kontraindiziert. „Gerade bei älteren
Patientinnen und Patienten muss daher die Diagnosestellung sorgfältig
erfolgen. Betroffene sollten sich an DHL®-zertifizierte
Hypertensiologinnen/Hypertensiologen wenden, denn sie haben mögliche
Fallstricke im Blick und sind in der Diagnose und in der Therapie der
Hypertonie bei alten und betagten Menschen geschult.“

Weitere Informationen zu Bluthochdruck unter https://www.hochdruckliga.de

[1] Pressemeldung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie vom
07.04.2018. Langzeit-Sterblichkeit nach Herzinfarkt: Alter, Gewicht und
Akuttherapie sind entscheidende Faktoren. https://dgk.org/daten/PA-
Langzeitdaten-BSR.pdf

[2] Beckett NS, Peters R, Fletcher AE, Staessen JA, Liu L, Dumitrascu D,
Stoyanovsky V, Antikainen RL, Nikitin Y, Anderson C, Belhani A, Forette F,
Rajkumar C, Thijs L, Banya W, Bulpitt CJ; HYVET Study Group. Treatment of
hypertension in patients 80 years of age or older. N Engl J Med. 2008 May
1;358(18):1887-98. doi: 10.1056/NEJMoa0801369. Epub 2008 Mar 31. PMID:
18378519.
[3] Zhang W, Zhang S, Deng Y, Wu S, Ren J, Sun G, Yang J, Jiang Y, Xu X,
Wang TD, Chen Y, Li Y, Yao L, Li D, Wang L, Shen X, Yin X, Liu W, Zhou X,
Zhu B, Guo Z, Liu H, Chen X, Feng Y, Tian G, Gao X, Kario K, Cai J; STEP
Study Group. Trial of Intensive Blood-Pressure Control in Older Patients
with Hypertension. N Engl J Med. 2021 Sep 30;385(14):1268-1279. doi:
10.1056/NEJMoa2111437. Epub 2021 Aug 30. PMID: 34491661.

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