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Schweiz:Luzerner Theater: Schweizer Erstaufführung,Pnima, … Ins Innere Kammeroper in drei Szenen von Chaya Czernowin Nach David Grossman Ohne Sprache Koproduktion mit LUCERNE FESTIVAL, Première, 29. August, besucht von Léonard Wüst

 
Christian Baus als Wissenschafter beim Sezieren

 

 

besetzung

christian baus schauspieler, flurin caduff bassbariton, szymon chojnacki bassbariton, stefanie erni sopran, johanna greulich sopran, ha young lee tänzerin und choreografie

revolution ist, wenn scheinbar unerschütterliches plötzlich risse bekommt. das zeigt ex negativo die kammeroper «pnima» – das hebräische wort für deutsch: «ins innere» – der israelischen komponistin chaya czernowin. in anlehnung an den experimentellen roman «stichwort: liebe» von david grossman beleuchtet sie darin die hilflosigkeit späterer generationen beim umgang mit den erfahrungen der holocaust-überlebenden.

ein junge wächst mit erwachsenen auf, die, von den gräueln der judenverfolgung traumatisiert, schwer an ihren ebenso furchtbaren wie unauslöschlichen erinnerungen tragen. keiner der betroffenen aber ist in der lage, über die vergangenheit zu sprechen. man will das kind schützen und schweigt. so bleibt es allein mit den ahnungen einer schrecklichen wahrheit, die ihre zerstörerische wirkung ungehindert fortsetzt.

czernowin nutzt sechs soloinstrumente, ein streichorchester und schlagwerk, aber auch elektronische zuspielungen, um mit einem mix aus gestisch verdichteten klängen und geräuschen ein musikalisches psychogramm der verdrängung zu kreieren. dabei kommt sie zur verdeutlichung der sprachlosigkeit ganz ohne worte und handlung aus, da sich die vier gesangssolisten ausschliesslich in lauten artikulieren. so entsteht dank der breiten ausdruckspalette ein akustischer schicksalsraum, angefüllt mit schmerzvollen geschichten, der als ausweg nur die hoffnung auf revolutionen kennt: darauf, dass sich etwas bewegt.

die vorstellung begann  mit einer einleitenden werkbetrachtung durch den musikalischen leiter der produktion howard arman und der anwesenden komponistin chaya czernowin im theatersaal. danach folgte  im direkten anschluss die aufführung der kammeroper.

nehmen sie mal alexander solschenizyns „der erste kreis der hölle“, das schlimmste aus dantes „inferno“ mischen sie das ganze mit der nichtexistierenden autobiografie von dr. josef mengele, zusammen mit einigen zeugenaussagen von holocaustopfern vor kriegsverbrechertribunalen und sie sind mitten drin im beklemmenden „inneren“.

das bühnenbild war wie ein grossraumbüro gestaltet, erinnert also stark an die schreibtischtäter ( es hat ja keiner zyklon b in die röhren gekippt und keiner auf die häftlinge eingeschlagen, es sassen ja alle nur am schreibtisch und taten ihre arbeit, so wie adolf eichmann).  düster die klangwelten, das bruchstückhafte gestammel der sänger/innen,  mystisch und unheimlich das agieren von christian baus als sezierer, der gedärm und andere sachen aus dem inneren eines symbolischen steins herausholt und  unter  dem mikroskop begutachtet, wird auf einen bildschirm auch fürs publikum sichtbar gemacht. akribisch stück für stück, von hautfetzen bis zum kleinen knochen wird alles durch diesen wissenschaftler betrachtet und fein säuberlich archiviert und zur seite gelegt. als er dann versucht, alles wieder in die bauchhöhle zurückzustopfen gelingt das nicht, verdrängen funktioniert also nicht. die protagonisten und die musik erwecken deine eigene fantasie bis an die  mentale schmerzgrenze. als dann das skelett, oder vielleicht das gespenst der erinnerung (gespielt von der agilen, überzeugenden  ha young lee ) noch versucht, allen gräuel zu entfernen auf die gleiche art zu entfernen, ahnt man schon, dass auch das nicht funktionieren wird. eine ebenso beeindruckende, beklemmende, wie aufwühlende produktion, die auch den zuschauer an mentale grenzen stossen lässt, deshalb wahrscheinlich auch nicht ein jubelnder stürmischer applaus zum schluss, sondern eine starke akklamation, der nicht nur den agierenden auf der bühne, sondern ebenso den andern beteiligten, wie bühnenbild, maske usw. galt und natürlich auch der komponistin, die die emotionen der anwesenden sichtlich gerührt und bewegt entgegennahm.

bildergalerie von tanja dorendorf der produktion pnima über folgenden link.

www.innerschweizonline.ch/wordpress/bildergalerie-pnima

text: www.leonardwuest.ch

fotos: www.luzernertheater.ch

Homepages der andern Kolumnisten:  www.leonardwuest.ch  www.irenehubschmid.ch 
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Lucerne Festival im Sommer 2013, mittwoch, 21. August: Ensemblekonzert,Festival Strings Lucerne | Daniel Dodds Violine und Musikalische Leitung | Daniel Hope Violine besucht und rezensiert von Gabriela Bucher

 

 

 

Das Ensemble-Konzert vom letzten Mittwoch stand unter dem Motto „Musik über Musik“. Abgesehen vom Vivaldis Doppelkonzert RV 522, bei dem es sich um eine „Originalmusik“ handelt, bekunden die Komponisten der Musikstücke dieses Abends ausdrücklich, dass sie sich auf Musikgeschichte beziehen.

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Schweiz:Lucerne Festival im Sommer: Sinfoniekonzert 3 West-Eastern Divan Orchestra | Daniel Barenboim | Michael Barenboim | Karim Said Mo. 19. August 2013, KKL Luzern, Konzertsaal besucht von Léonard Wüst

 

West Eastern Diwan Orchestra unter Daniel Barenboim

 

 

 

Vorinformation zum Orchester:

Großartige Musik ist das Ergebnis intensiven Zuhörens, Aussage von Daniel Barenboim über das West-Eastern Divan Orchestra

Jeder Musiker hört aufmerksam auf die Stimme des Komponisten und seine Mitspieler. Harmonie innerhalb persönlicher oder internationaler Beziehungen kann nur durch Zuhören entstehen. Jeder öffnet seine Ohren für die Standpunkte und Schilderungen des Anderen.

Edward Said und ich haben 1999 das West-Eastern Divan Orchestra gegründet, das aus Musikern aus Israel, Palästina und weiteren arabischen Ländern besteht. Länder, in denen das offene Ohr nur zu oft zum Nachteil aller durch das blanke Schwert ersetzt wurde.

Heute, mehr als 10 Jahre später, haben wir hoffentlich erreicht, dass es sich lohnt, unserem Orchester zuzuhören. Und wir hoffen zu zeigen, dass Menschen, die einander – sowohl musikalisch als auch in allen anderen Belangen – zuhören, Großes erreichen können.

Konzertprogramm:

West-Eastern Divan Orchestra | Daniel Barenboim Dirigent | Michael Barenboim Violine | Karim Said Klavier

Richard Wagner (1813-1883) Vorspiel Und Liebestod Aus Tristan Und Isolde
Alban Berg (1885-1935) Kammerkonzert Für Klavier, Violine Und Dreizehn Bläser
Ludwig Van Beethoven (1770-1827) Sinfonie Nr. 7 A-Dur Op. 92

Drei musikalische Revolutionäre nehmen Daniel Barenboim und das West-Eastern Divan Orchestra bei ihrem zweiten Auftritt ins Visier. Mit dem berühmten «Tristan-Akkord», der gleich im zweiten Takt des Vorspiels zu Tristan und Isolde erklingt, führte Richard Wagner das traditionelle tonale System an seine Grenzen: Bis heute gibt es keine unstrittige funktionsharmonische Deutung dieses Klanggebildes. Damit bereitete Wagner den Boden für die atonale Musik – auch für Alban Bergs Kammerkonzert, das der Komponist als Geschenk zum 50. Geburtstag seines Lehrers Arnold Schönberg schuf. Barenboims Sohn Michael und Karim Said, der Neffe des Orchester-Mitbegründers Edward Said, sind die Solisten. Zum krönenden Abschluss aber erklingt Ludwig van Beethovens Siebte, die Wagner als «Apotheose des Tanzes» feierte: Die elektrisierende Wirkung dieser Sinfonie verdankt sich nicht zuletzt der Nähe zur französischen Revolutionsmusik mit ihrem aktivistischen Pathos, ihren Fanfaren und aufpeitschenden Rhythmen.

Rezension:

Die Geschichte des West Eastern Divan Orchesters verfolge  ich gespannt und erfreut, seit dessen Gründung im jahre 1999 in Weimar (damals Kulturhauptstadt Europas). Zum ersten Mal hatte ich nun Gelegenheit, den Genuss eines Konzertes dieses ungewöhnlichen Projektes zu geniessen.

Das Konzertprogramm allein war schon ein Appetitmacher. Barenboim interpretierte dann auch Wagners Tristan & Isolde Vorspiel mit sehr viel Feingefühl, ohne den üblichen Pathos  und wagnerianisch – verklärte Mystik. Das schmälerte aber keineswegs die Wirkung des vielzitierten, legendären Tristan Akkordes. Elegant und geschmeidig, fast schwerelos überzeugte die Formation der Musiker aus den verschiedenen Kultur- und Religionskreisen und beeindruckten damit die Anwesenden nachhaltig.  Besonders gespannt war ich auf den zweiten  Programmteil, die Komposition von Alban Berg, die er seinem Lehrmeister Arnold Schönberg zu dessen fünfzigsten Geburtstag gewidmet hatte. Die eher ungewöhnliche Besetzung für das Kammerkonzert, bestehend aus dreizehn Bläsern, dazu am Klavier der in Amman geborene Karim Said (*1988) und Daniel Barenboims Sohn Michael Barenboim (*1985) mit der Violine. Der erste Eindruck bei diesem Werk von Berg ist immer etwas zwiespältig. Da keine Streicher in der Formation vertreten sind, tönt das ganze anfänglich etwas hohl (der für uns so gewohnte Klangteppich der Streicher fehlt). Genau dieser gewollte Effekt lässt uns die Dissonanzen und die Moderne der zweiten Wiener Schule sehr viel genauer erleben. Zusammengefasst, überraschend ungewöhnlich, neckische Bläsereinsätze, perfekte Interpretation durch die beiden jungen Solisten. Man wünschte sich, dass dies auch in der Politik machbar wäre, dass trotz der Dissonanzen und Diskrepanz dank Toleranz und Zusammenspiel schlussendlich eine Harmonie entsteht. Barenboim und Said, statt Likud, Hamas, Hisbollah usw., Bläser statt Bomben. All diese Gedanken kann und will man bei diesem Orchester einfach nicht verdrängen. Dankbar beglückt, aber auch ein bisschen nachdenklich wurden wir in die Pause entlassen.

Im zweiten Programmteil dann Beethovens siebte Sinfonie ( fast bin ich geneigt zu sagen Gott sei Dank eine in Dur, nicht eine schwere Mollsinfonie wie etwa die Fünfte, die sogenannte Schicksalssymphonie). So war es denn jubelnd, spielfreudig. ja fast schon stürmisch und sehr kraftvoll.  Dafür erntete das Orchester (das ganze Projekt und die Idee dahinter) am Schluss den wohlverdienten langanhaltenden Applaus für diese musikalisch wie humane Demonstration des Slogans: Wo ein Willen, da ist auch ein Weg!

Text: www.leonardwuest.ch  Foto: www.lucernefestival.ch

www.irenehubschmid.ch   www.gabrielabucher.ch

 
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