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Besetzung und Programm:
Luzerner Sinfonieorchester
Fazıl Say, Klavier & Leitung
Lisa Schatzman, Konzertmeisterin
Carl Philipp Emanuel Bach (1714 – 1788)
Sinfonie Es-Dur Wq. 179 H654
–Fazıl Say (* 1970)
«Yürüen Köşk» («Das verschobene Haus»), Hommage an Atatürk, Schweizer Erstaufführung
in der Version für Klavier und Streichorchester.
–Carl Philipp Emanuel Bach
Sinfonie C-Dur Wq. 182 Nr.3 H659
–Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 21 C-Dur KV 467
Carl Philipp Emanuel Bach Sinfonie Es-Dur Wq. 179 H654
Das Orchester, ausser den Streichern noch durch je zwei Hörnern und Oboen ergänzt, wird den unterschiedlichen Anforderungen vollauf gerecht und wechselt spielerisch von langsamem, getragenem Legato in rasende Allegro-Läufe oder prasselnde Staccato-Bewegungen. Besonders beeindruckend sind zudem die Dynamikabstufungen und -kontraste gestaltet, die die immense Ausdrucksvielfalt des Werkes meisterhaft hervorkehren. Das wird zusätzlich verstärkt durch die durchdachte Tempowahl und -gestaltung. So erzeugen die Musiker*innen beispielsweise durch eine homogene, kontinuierliche Veränderung des Tempos einen effektvollen, sanften Übergang vom aufbrausenden, wilden ersten Satz der Symphonie in Es-Dur zum ruhigen, fast zerbrechlich wirkenden kantablen ‘Larghetto’. Eine große Balance ist dem Ensemble dabei zu eigen; die Musiker*innen gehen meisterhaft aufeinander ein, ergänzen und unterstützen sich, woraus ein homogener, durchsichtiger Orchesterklang resultiert. Das Orchester traf den Ton dieser Musik, ließ es an Transparenz und Schwung bei der Interpretation nicht fehlen, bestach durch hohe Phrasierungskultur. Das Ensemble verlieh dieser Komposition die nötige Innigkeit und kantabile Leichtigkeit und dies alles belohnte das Auditorium im nicht ganz ausverkauften Konzertsaal, mit dem entsprechenden Applaus.
Fazıl Say (* 1970) «Yürüen Köşk» («Das verschobene Haus»)
Besonders gespannt waren wir natürlich auf diese schweizerische Erstaufführung des, vor allem als Pianisten bekannten türkischen Künstlers. Wie würde osmanische Musik tönen ohne die typischen, landesüblich benutzten Instrumente, wie z.B. Blasinstrumente wie: Çığırtam, Çifte, Kaval (mit oder ohne Zunge), Mey, Sipsi, Tulum, Zurna. Dann die Saiteninstrumente, welche Zupfinstrumente oder Streichinstrumente sein können, und zum anderen natürlich die Schlaginstrumente. Dazu gehören: Çalpara, Çift nağra, Darbuka usw.
Interessantes Gebilde, angesiedelt zwischen Kakophonie und Sphärischer Mystik
Diese Ungewissheit war schnell eliminiert, waren doch auf der Bühne in etwa noch die gleichen Musiker*innen präsent wie beim vorherigen Bach’schen Werk. Fazil Say’s Komposition existiert ja in drei Versionen, die eine als reines Klavierstück, dann als Klavierquintett und last but not least, die an diesem Abend aufgeführte Version für die Begleitung durch ein Streichorchester. Diese Besetzung erlaubt die nuanciertere akustische Wiedergabe der, als Vogelgezwitscher gesetzten Noten,von denen es doch eine ganze Menge gibt. Dieses Gezwitscher, von den Violinen perfekt interpretiert, prägen denn auch das doch sehr futuristische Werk irgendwo zwischen sphärischer Mystik und mystischer Sphäre.
Auch ungewohnte Disharmonie vermag zu fesseln
Sehr ungewohnte Töne für unser, eher harmonischen Musik Gebilden zugeneigtem Gehör. Klänge aber, die durchaus zu fesseln wussten, was den gespannt, interessiert zuschauenden – und hörenden Konzertbesucher*innen anzusehen war. Der 1970 in Ankara geborene Komponist zeichnet eine bekannte Episode nach, die Mustafa Kemal Atatürk, den Gründer der modernen Türkei, als fortschrittlichen Naturfreund zeigt: Zur Rettung einer Platane ließ er 1930 ein Haus um mehrere Meter versetzen, was einiges an technischem know how und türkischen Ingenieurwissen erforderte und so ein Zeichen setzen sollte für einen aufgeklärten modernen Staat, aber auch für die Achtung der Natur und deren Schutz.
Klavierklänge visualisierten akustisch grollend die Verschiebung einer Villa
Der Komponist zeichnet akustisch auch die fünf Meter Wegstrecke, auf fast 100 Takte verteilt, grollend nach, den das Haus, auf eigens herangeschafften und aufgebauten Gleisen rollend, an den neu bestimmten Standort.zurücklegen musste Nach Kemal Atatürks Tod ging der, auch heute noch stehende Baum, samt der dazugehörigen Villa, in Staatseigentum über und wird seit dem Jahr 2006 als Museum genutzt.
Das Publikum würdigte Werk, Solisten und Orchester mit einem langen, stürmischen Applaus, um sich danach gutgelaunt in die Pause zu begeben.
Carl Philipp Emanuel Bach Sinfonie C-Dur Wq. 182 Nr.3 H659
Drängend in den abrupten Stimmungswechseln lässt sie Konzertmeisterin die Streichersinfonie C-Dur (Wq 182) spielen. Lyrischen Ruhepunkten folgen schmerzvolle Passagen, die auf entsprechende Eingebungen von Mozart verweisen. Weich und warm ist der Ensembleklang, wenn nötig auch schroff. Die Musiker*innen wissen hörbar um die Erfordernisse historischer Spielweisen, auch wenn sie moderne Instrumente verwenden und auch vorm Gebrauch eines wohldosierten Vibrato nicht zurückschrecken. Wie sonst sollte man Gefühle zum Klingen bringen? Selbst bei forschen Tempi wirkt nichts überhetzt oder überakzentuiert, stattdessen gewinnen die Musiker ihre spielerische Kompetenz ganz aus dem Puls der Musik, gewürdigt vom Auditorium mit der entsprechenden Akklamation.
1. A. Mozart Klavierkonzert Nr. 21 C-Dur KV 467
Wie schon das Klavierkonzert Nr. 20, gehört das Klavierkonzert Nr. 21 zu den sogenannten sinfonischen Konzerten, denn der orchestrale Part ist hier von großer Bedeutung. Das Klavierkonzert in C-Dur schuf Mozart in nur vier Wochen nach der Vollendung des d-Moll Konzertes. Eine Probe musste genügen, um das neue Werk am 10. März 1785 – mit Mozart als Solisten – zur ersten Aufführung zu bringen.
Die Proportion von Soloinstrument und Orchester wird zugunsten des Letzteren verändert. Das Orchester bekommt durch längere Zwischenspiele mehr musikalisches Gewicht. Das Hauptthema liegt beim Orchester und nicht beim Soloinstrument. Auch die Orchesterbesetzung ist größer.
Insgesamt ist es ein heiteres Werk, in dem mit relativ einfacher Melodik eine differenzierte Komplexität entwickelt wird. Das Soloinstrument scheint sich immer wieder unabhängig machen zu wollen und wird dann in das Gesamtgeschehen integriert. Der erste Satz trägt die Überschrift “Allegro maestoso” – und erfüllt die damit verbundenen Erwartungen auf ganzer Linie. Das prächtige Hauptthema wird zuerst vom Orchester in unterschiedlicher Form – kammermusikalisch, orchestral und kontrapunktisch – wiederholt, bis es dann vom Klavier aufgenommen wird. Die unterschiedlichen Motive innerhalb des Klavierkonzerts sind miteinander im Einklang: wie er auch seinen Opern eine perfekte Dramaturgie unterlegt hat, so hat es Mozart auch hier wieder verstanden, alles zu einem homogenen Ganzen zusammenzuführen. Im dritten Satz findet man dafür ein besonderes Beispiel: Hier verbindet Mozart das Thema des Rondos über ein zweites neues Thema mit dem Thema des Sonatenhauptsatzes. Das Klavier kann sich ganz der Spielfreude hingeben und doch entsteht eine Gleichstimmigkeit des Soloinstrumentes mit dem Orchester.
Fazil Say antizipiert Mozarts Spitzbübigkeit
Die Qualität dieses Mozartspiels liegt allerdings ohnehin nicht in der Duftigkeit mühelos hin geperlter Sechzehntel Schleppen. Say umschifft Kanten und Brüchen in dieser virtuos parlierenden Partitur. Manchmal – etwa im choralhaften Abgesang des Finale-Seitengedankens belässt er die konfliktlos dargebotene Schönheit des Themas, das er aber mit Witz und Schalk, wohl ganz im Sinne des Salzburger Komponistengenies ausschmückt. Der Mittelsatz, oft missbraucht, fließt bei ihm in bewunderungswürdig schlichtem, ungekünsteltem Gesang. Im Zusammenspiel mit dem Orchester waren besonders die superben Dialoge der Fagotte mit dem Solisten herausragend.
Das Auditorium war begeistert ob der neckischen, rasanten Mozart Interpretation, bei der das Luzerner Sinfonieorchester den Solisten kongenial unterstützte und belohnte die Protagonisten mit einem langanhaltenden stürmischen Schlussapplaus. Dieser wurde schlussendlich noch mit einer kurzen Zugabe in Form einer etwas sehr eigenwilligen Improvisation belohnt, welche das Auditorium etwas ratlos zurückliess.
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Besetzung und Programm:
Rudolf Buchbinder – Klavier & Leitung
Festival Strings Lucerne
J. HAYDN
Klavierkonzert Nr. 11 D-Dur Hob XVIII:11
W. A. MOZART
Klavierkonzert Nr. 21 C-Dur KV 467
R. SCHUMANN
Klavierkonzert a-Moll op. 54
Rudolf Buchbinder, vor allem als der grosse Beethoveninterpret bekannt, für einmal mit Klavierkonzerten von grad drei anderen Komponisten, eine überaus reizvolle Konstellation.
1. Haydn Klavierkonzert Nr. 11 D-Dur Hob XVIII:11
Für das erste der programmierten Werke machten sich die «Strings» in schlanker Besetzung auf der Bühne bereit, also nur Streicher, keine Bläser. Im Unterschied zu Mozart war Haydn kein Klaviervirtuose. Zwar leitete er seine Orchesterwerke vom Cembalo aus und trug auch seine Klaviersonaten vor, doch der Ehrgeiz des konzertierenden Pianisten lag ihm fern. So sind uns von Haydn “nur” drei Klavierkonzerte erhalten. Das Konzert für Klavier und Orchester in D-Dur Hob. XVIII:11 ist aufgrund seiner eingängigen, frischen Melodik, seiner harmonischen Feinheiten sowie seiner klaren Architektur in der klassischen Konzertform sein meistgespieltes Klavierkonzert. Trotz des hohen Bekanntheitsgrades sind weder Entstehungsjahr noch -anlass bekannt.
Joseph Haydn gilt als Vater der europäischen Klassik
Ein geheimnisvoller Hauch umweht den »Vater der europäischen Klassik«: Joseph Haydns Lebensumstände und seine Persönlichkeit sind nur lückenhaft überliefert. Seinem offenbar weitgehend skandalfreien Leben steht eine unglaubliche Schaffensdichte gegenüber, die von einem ganz dem musikalischen Wirken gewidmeten Leben zeugt. In seinen Werken kommt eine vollendete Formensprache zum Ausdruck, die durch tiefes, aber kontrolliertes Gefühl geleitet ist und dadurch zu einer als rein empfundenen Schönheit findet. Weltweit berühmt sind viele seiner mehr als einhundert Symphonien, seine Streichquartette und geistlichen Werke – sowie seine vielgepriesene musikalische Gewitztheit.
Sein Klavierkonzert D-Dur, das als sein elftes gezählt wird, entstand 1782 und ist das einzige dieser Gattung, das bis heute immer wieder aufgeführt wird. Drei Sätze umfasst das gut 20 Minuten lange Werk. Der Beginn ist mit einem Vivace beinahe ausgelassen-heiter gestimmt, allerdings mischen sich in die Thema-Bearbeitungen und -Wiederholungen auch angedunkelte Moll-Abschnitte. Von Parodie kann in diesem Konzert keine Rede sein, vielmehr gelingt es Buchbinder, eine Heiterkeit (ohne zweite Ebene) zu erzeugen, indem er für manche spielerischen Ornamente sorgt. Im Mittelteil »Un poco Adagio« findet er zu einer beinahe romantischen Klangwelt. Und das abschließende »Rondo all’Ungarese« arbeitet mit Zitaten – wie der Name schon sagt – aus der ungarischen Musikschatztruhe. Diese Herkunft ist unüberhörbar. Allerdings handelt es sich auch hier keinesfalls um Parodien, sondern eher um eine wertschätzende Überführung aus dem ost- in den mitteleuropäischen Kulturraum. Wenn uns das erheitert, schmunzeln wir nicht über, sondern mit der Musik. In bester Stimmung, zügig und mit grosser Spielfreude intonierten Buchbinder und die FSL Haydns Komposition, sehr zur Freude des gutgelaunten Publikums im sehr gut besetzten Konzertsaal und durften dafür auch einen langanhaltenden Applaus ernten.
2. A. MozartKlavierkonzert Nr. 21 C-Dur KV 467
Für Mozart gesellte sich jetzt auch die Bläsersektion zu den Streichern und die wurden denn auch reichlich beschäftigt. Mozart locker vom Hocker. Was bei anderen Pianist*innen manchmal eher nach Arbeit aussieht, wirkt bei Rudolf Buchbinder immer elegant, irgendwie spitzbübisch spielerisch entspannt.
Wie schon das Klavierkonzert Nr. 20, gehört das Klavierkonzert Nr. 21 zu den sogenannten sinfonischen Konzerten, denn der orchestrale Part ist hier von großer Bedeutung. Das Klavierkonzert in C-Dur schuf Mozart in nur 4 Wochen nach der Vollendung des d-Moll Konzertes. Eine Probe musste genügen, um das neue Werk am 10. März 1785 – mit Mozart als Solisten – zur ersten Aufführung zu bringen.
Die Proportion von Soloinstrument und Orchester wird zugunsten des Letzteren verändert. Das Orchester bekommt durch längere Zwischenspiele mehr musikalisches Gewicht. Das Hauptthema liegt beim Orchester und nicht beim Soloinstrument. Auch die Orchesterbesetzung ist größer.
Insgesamt ist es ein heiteres Werk, in dem mit relativ einfacher Melodik eine differenzierte Komplexität entwickelt wird. Das Soloinstrument scheint sich immer wieder unabhängig machen zu wollen und wird dann in das Gesamtgeschehen integriert. Der erste Satz trägt die Überschrift “Allegro maestoso” – und erfüllt die damit verbundenen Erwartungen auf ganzer Linie. Das prächtige Hauptthema wird zuerst vom Orchester in unterschiedlicher Form – kammermusikalisch, orchestral und kontrapunktisch – wiederholt, bis es dann vom Klavier aufgenommen wird. Die unterschiedlichen Motive innerhalb des Klavierkonzerts sind miteinander im Einklang: wie er auch seinen Opern eine perfekte Dramaturgie unterlegt hat, so hat es Mozart auch hier wieder verstanden, alles zu einem homogenen Ganzen zusammenzuführen. Im dritten Satz findet man dafür ein besonderes Beispiel: Hier verbindet Mozart das Thema des Rondos über ein zweites neues Thema mit dem Thema des Sonatenhauptsatzes. Das Klavier kann sich ganz der Spielfreude hingeben und doch entsteht eine Gleichstimmigkeit des Soloinstrumentes mit dem Orchester.
Buchbinder moduliert die Kanten und Brüche
Die Qualität dieses Mozartspiels liegt allerdings ohnehin nicht in der Duftigkeit mühelos hin geperlter Sechzehntel Schleppen. Buchbinder sucht nach Kanten und Brüchen in dieser virtuos parlierenden Partitur. Manchmal – etwa im choralhaften Abgesang des Finale-Seitengedankens – opfert er die oft so konfliktlos dargebotene Schönheit einer etwas heiklen, eigenwilligen Phrasierung. Der Mittelsatz, oft missbraucht, fließt bei ihm aber in bewunderungswürdig schlichtem, ungekünsteltem Gesang. Im Zusammenspiel mit dem Orchester waren besonders die superben Dialoge der Fagotte mit dem Solisten herausragend.
Das Auditorium war begeistert ob so viel Rasse und Klasse und beschenkte die Darbietenden mit einer wahren Applauskaskade, bevor man sich hochzufrieden in die Foyers zur Pause begab, wo jetzt auch wieder, «Corona fast vorbei sei Dank», Pausengetränke gereicht wurden .
2. Konzertteil R. Schumann Klavierkonzert a-Moll op. 54
Da scheint sich, beim Intro, auch Consuelo Velázquez die Komponistin von «Besame mucho» bedient zu haben. Dann, ganz zu Beginn unvermittelt eine Kaskade von Akkorden, die nur hier in dieser Form erscheint, es folgt eine unvergessliche Melodie, die gleich vorherrschend wird und aus der sich fast alles Folgende entwickeln wird: Der Beginn von Schumanns einzigem Klavierkonzert ist spektakulär. Darf man vielleicht die feurigen Akkorde zu Anfang dem lebhaften Florestan in Schumann zuordnen, das beherrschende Hauptthema aber Clara? Oder kann man den langsamen Teil (andante espressivo) des Kopfsatzes als Liebesduett deuten? Wird der unstete Florestan endlich von der sanften Clara sozusagen gezähmt? Vielleicht, vielleicht auch nicht, reizvoll sind solche Spekulationen allemal. Die Entstehung dieses erzromantischen Konzerts ist jedenfalls einigermaßen unromantisch verlaufen, es wurde keineswegs in einer einzigen kurzen, intensiven und inspirierten Arbeitsphase geschaffen. Begonnen wurde es 1841 etwa ein halbes Jahr nach der Hochzeit der Schumanns und zwar als einsätzige Fantasie mit jenem eigenen langsamen Mittelteil, dem “Liebesduett”, und einem eigenen Finale. In dieser Form konnte das Stück weder aufgeführt noch verlegt werden, der Markt verlangte unerbittlich dreisätzige Konzerte. 1845 fügte Schumann nahtlos zwei weitere Sätze an: das traumhaft schöne Intermezzo und das ohne Pause folgende optimistische, vorwärtsdrängende Finale (allegro vivace). Insgesamt war das Werk jetzt etwa doppelt so lang geworden. Die Uraufführung war im Dezember 1845 in Leipzig, natürlich mit Clara am Flügel.
Keine Komposition für eitle Egomanen
Das Konzert ist von Schumann sehr bewusst nicht für mehr oder weniger eitle Virtuosen geschrieben worden und Liszt z.B. hat es anfangs deswegen auch nicht spielen wollen. Vielleicht noch mehr als Beethovens Violinkonzert, dem es in diesem Punkte ähnelt, setzt dieses Klavierkonzert auf den Dialog zwischen dem Solisten und dem Orchester. Beide Seiten müssen sehr aufmerksam und flexibel sein. Zeitweise vertauschen sich die Rollen, wenn das Klavier das Orchester begleitet. Anderswo wird es richtiggehend kammermusikalisch, wenn das Klavier mit einzelnen Instrumenten aus dem Orchester Zwiegespräche hält. Die Zeitgenossen nahmen sehr wohl wahr, dass Schumann neue Wege ging, auch wenn sein Konzert wiederum in einer Tradition steht und er Anregungen von Beethoven (3.Klavierkonzert), Mendelssohn, Schubert und Bach bezog.
Auch im Zusammenhang mit diesem Konzert sind Schumann Schwächen bei der Orchestrierung vorgeworfen worden. Ganz unberechtigt sind sie nicht, viel Erfahrung hatte er nicht, als er mit der ursprünglichen Fantasie begann. Vielleicht macht es sogar den besonderen Charme dieses Meisterwerks aus, dass es eben nicht ganz perfekt ist, sondern ein wenig grün und jugendlich geblieben ist. Und im Ganzen jugendlich frisch sollte es meiner Meinung nach gespielt werden und eben nicht schmalzig-schmachtend bis hin zur völligen Gedankenverlorenheit und Lethargie. Bruno Walter (“Von der Musik und vom Musizieren”) hat z.B. auf eine unselige Aufführungstradition hingewiesen, die bis zum heutigen Tage nicht ausgerottet ist: Nach den fallenden Akkorden ganz zu Anfang wird das Tempo für das “Clara-Thema” gewöhnlich sofort gedrosselt, obwohl das in der Partitur überhaupt nicht so notiert ist. Erst sehr viel später wird das Thema langsamer verlangt, ein Kontrast geht also dann entweder verloren oder es muss wiederum noch langsamer, noch schmachtender gespielt werden … Ein wenig Schmachten, ein wenig Sehnsucht muss sein, aber nicht im Übermaß. Auch unbändige Lebenslust und Drama haben hier ihren Platz, und wie sich zeigt, sind diese verschiedenen Elemente in diesem Konzert nicht einfach im Gleichgewicht zu halten. Der Solist bewegte sich mit schlafwandlerischer Sicherheit und Grandezza durch die Partitur.
Nie zu viel Schmelz oder gar Wiener Schmäh
So macht er in seiner unprätentiösen Art trotz allen romantischen Schwungs und Überschwangs nie eine überkandidelte Diva aus dem Stück (was man sonst leider verhältnismäßig oft erleben kann). Der gebürtige Wiener gehört nicht zu den Interpreten, für die ‚Romantik‘ eine Art permanente Ekstase bedeutet. Zwar werden die unterschiedlichen Affektlagen von ihm mit aller Deutlichkeit aufgezeigt (auch ihre Brüche und plötzlichen Wechsel). Er begeht allerdings nie den Fehler, es zu ‚überschminken‘ und dadurch Gefahr zu laufen, Schumann in seinem Gefühlsüberschwang der Lächerlichkeit preiszugeben. Insgesamt ist das eine sehr starke, sehr emotionale Interpretation, aber vollständig frei von ‚künstlicher Aufregung‘ und gerade deshalb in ihrer Empfindsamkeit glaubwürdig. Das hat überhaupt nichts ‚Ranschmeißerisches‘ an sich, übertrieben Heroisches oder gar Martialisches, wie man das öfter hören kann. Gleichzeitig wirkt die Interpretation trotz aller Brüche im Stück sehr organisch. Es gibt also nicht lediglich einen Wechsel von Affekten, sondern einen durchdachten Aufbau, der am Ende klar macht, dass es sich trotz aller Überraschungen im Stück um ein ‚Großes Ganzes‘ handelt.
Perfekte Tempovariierung durch den Pianisten
Buchbinder weiß immer sehr genau, wo man bremsen und wo er ein bisschen Gas geben muss, um das Ganze zum Strömen zu bringen. So passiert es ihm beispielsweise nie, dass er erst mit großer Agogik Spannung aufbaut, um dann im entscheidenden Moment durch eine unbedachte Verzögerung (oder – je nachdem – eine fehlende Verzögerung) die ganze Dramatik sinnlos verpuffen zu lassen. Der Solist ist vollkommen frei von dieser ‚Verlegenheits-Agogik‘, die man manchmal bei Pianisten beobachten kann, die sich über die Konstruktion eines Stückes nicht übermäßig intensiv den Kopf zerbrochen haben, aber ‚gefühlsmäßig‘ etwas unternehmen wollen – und es dann ausgerechnet an den ‚falschen‘ Stellen tun, und der ganze Aufbau dann kollabiert. Diese perfekte Umsetzung gelingt natürlich auch dank der Unterstützung des ausgezeichneten Orchesters, welches auf Augen- respektive Ohrenhöhe mit dem österreichischen Altmeister agiert. Besonders auffallend auch der Dialog der Oboen mit dem Piano.
Der stürmische Schlussapplaus ging nahtlos in eine stehende Ovation über, sichtlich genossen von den Protagonisten auf der Bühne.
Eine Zugabe gewährte uns der Tastenzauberer aber nicht, irgendwie verständlich, ist doch so ein Marathon sowohl mental, aber auch körperlich äusserst anspruchsvoll, vor allem auch, wenn man Buchbinders 76 Lebensjahre noch mit berücksichtigt.
Es sind solche Konzertperlen, die den Schmerz aller Klavierliebhaber über den Verlust des seit drei Jahren aus dem Programm gestrichenen Lucerne Festival am Piano, etwas mindern. P.P. Buchbinder negierte mit dieser grandiosen Demonstration, der «ewige Beethoveninterpret» zu sein.
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Produktionsteam:
Musikalische Leitung: Alexander Sinan Binder
Choreografie: KOR’SIA , Erion Kruja
Bühne und Kostüme: Sascha Thomsen , Erion Kruja
Licht: Sascha Thomsen , Erion Kruja
Besetzung:
TanzLuzern: Carlos Kerr Jr. , Dario Dinuzzi , Valeria Marangelli , Lisa Gareis , Phoebe Jewitt , Igli Mezini , Flavio Quisisana , Mathilde Gilhet , Mathew Prichard , Gabriele Rolle , Marija Burceva , Marta Llopis Mollá , Isabel Kooring Luzerner Sinfonieorchester
TanzLuzern widmet sich in seiner neusten Produktion mit zwei choreografischen Uraufführungen den sehr aktuellen Themen Wandel, Veränderungen, Neuerungen, Verwandlungen.
Eine erste «Verwandlung» ergab sich bereits bei den Choreograf*innen: Die ursprünglich eingeladene Chinesin Yabin Wang entschied sich gegen eine Reise in die Schweiz, da sie nach ihrer Rückkehr vier Wochen strengste Isolation hätte auf sich nehmen müssen. KOR’SIA – die Italiener Mattia Russo und Antonio de Rosa - konnten kurzfristig einspringen und zeigten sich vom vorgesehenen Thema angesprochen. Sie und der Albaner Erion Kruja erarbeiteten für diesen Abend zwei unterschiedlichste Choreografien, die in ihrer Einzigartigkeit begeisterten.
Futuristische Kreaturen
In KOR’SIAs «Lucid Dream» bewegen sich die Tänzer*innen zum grössten Teil in einem sehr dunkel gehaltenen Raum. Erst gegen Schluss entpuppt dieser sich als ein mit violettem Teppich ausgelegtes Halbrund. Die Tänzer*innen sind identisch gekleidet: Kurze, silberne Hosen und Jacken, schwarze Kniestrümpfe, alle mit derselben steifen Kurzhaarperücke. Das erinnert an Ausserirdische, an futuristische Kreaturen, teilweise aber auch an Insekten. Langsam schälen sie sich aus dem Nebel zu Vogelgezwitscher, dem «Adagio for Strings» von Samuel Barber und der Stimme von Patricia Rezai, die einen Meditationstext rezitiert. Sie scheinen diverse Bewegungen auszuprobieren, zu prüfen, wohin diese führen könnten, was sich daraus machen lassen würde, denn so richtig fertig ausgeführt werden sie nicht. Meist werden sie aufgelöst, bevor sie richtig entstanden sind, gehen über in andere Posen, Beine verschlingen sich, heben sich gegenseitig an, Füsse berühren Gesichter, Hände berühren Füsse, man stürzt kunstvoll vornüber, seitlich, rückwärts, findet sich um gleich wieder wegzubrechen. Im letzten Teil marschieren alle in Formation über die Bühne, zielstrebig und doch irgendwie ziellos, kreuz und quer, militärisch ausgerichtet. Das erinnert etwas an Schwarmintelligenz von Vögeln. Alles endet, wie, es begonnen hat, die Kreaturen liegen wieder auf dem Boden, wie verlassene Larven, dazu Vogelgezwitscher.
Familienfoto
Bei Erion Kruja tauchen die Tänzer*innen in «The Wanderers» aus urzeitlichen Tiefen auf. Eine Horde nackter Primaten amüsiert sich auf der Bühne, stellt sich zur Schau, laust sich gegenseitig, sehr zum Vergnügen des Publikums. Dann realisieren die Geschöpfe, dass es auf der anderen Seite – im Zuschauerraum – ebenfalls Geschöpfe gibt. Ein eindrücklicher Moment, wer beobachtet wen, wer sitzt hinter und wer vor der Glasscheibe?
Im zweiten Teil des Stücks erscheinen die Tänzer*innen in hochgeschlossenen, weissen Blusen, schwarzen Röcken und Hosen, bewegen sich anmutig und höflich miteinander in schönen Tanzposen und formieren sich am Schluss zu einem adretten Schlussbild, als wollten sie diesen gelungenen Tag festhalten fürs Familienalbum. Zum Adagio von Mahler löst sich die heile Welt aber langsam wieder auf, die Kleider fliegen, auch in diesem Stück stehen die Tänzer*innen wieder da wie am Anfang, falten die ausgezogenen Hosen und Hemden zusammen und präsentieren sie leicht ratlos dem Publikum – Zivilisation in Form von Kleiderhäufchen?
Beide Produktionen leben von starken Bildern und sehr gekonnt eingesetzten Lichteffekten. Meist steht das ganze Ensemble auf der Bühne. Die Choreografien sind weniger ausgerichtet auf spektakuläre, schnelle Schrittfolgen als auf ausdrucksstarke und teilweise völlig neue, unerwartete Kombinationen. Das Ensemble TanzLuzern führt diese mit viel Leichtigkeit und Eindringlichkeit aus. Musikalisch begleiten Streicher des Luzerner Sinfonieorchesters unter der Leitung von Alexander Sinan Binder. Eine Produktion, die freudig überrascht mit ihrer Originalität in Bewegung und Ausdruck. Das Premierenpublikum zeigte sich begeistert.
Die Tänzer*innen von TanzLuzern liessen es sich nicht nehmen, am Ende des Abends ein Manifest gegen den Krieg in der Ukraine zu verlesen.
Text: www.gabrielabucher.ch
Fotos: Szenenfotos von Ingo Hoehn www.luzernertheater.ch
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Besetzung: Patent Ochsener mit Sänger Büne Huber
Am 12. und 13. Oktober 2021 wurde im Casino Bern Geschichte geschrieben
An diesen zwei Abenden fanden die MTV Unplugged Aufnahmesessions von Patent Ochsner in der würdigen Kulisse des schönsten Berner Konzertsaals statt. Ein Ritterschlag für Patent Ochsner, sind sie doch die erste Schweizer Band überhaupt in dieser weltweit legendären Konzertserie.
Dass die “Nöie Schue”, sprich das unplugged Abenteuer auf MTV nicht drücken, sondern haargenau passen, war schon mit dem ersten Song, ebendiesem Schuesong unmittelbar klar. Der Frontmann, der natürlich unmerklich später als die andern patentierten Ochsner die Bühne betrat, war sofort voll da, präsent wie eh und je.
Lange aber sang er nicht solo, schon der «Honigmelonemond» wurde im Duett mit Heidi Happy intoniert, somit war mit Priska Zemp aus Dagmersellen, so deren bürgerlicher Name, neben den Berner Urgesteinen, auch etwas «Einheimisches Blut» auf die Bühne. Unterstützt wurden die beiden von ihren gutaufgelegten Mitmusiker*innen, von denen sich ungefähr ein Dutzend auf der Bühne befand. Es folgte ein kurzer Speech, Begrüssung und kurze AnekdoteN und schon gings weiter im Programm.
Überraschend nicht umgetextete Version der «Ludmilla»
Beim dritten Song «Ludmilla» erwarteten wohl viele eine, auf die aktuellen Geschehnisse im Osten bezogene umgetextete Version, dem war aber nicht so, dafür wurde ein geniales Sopransaxsolo eingefügt. So enterte dann mit “Juanita la Luna” Tijuana Sound die Bühne, veredelt mit einem Trompetensolo à la Herb Alpert und Huber passte seine Bewegungen dem mittelamerikanischen Sound an, soweit dies seine, nicht grad filigrane Figur eben zuliess, bevor er uns mit «Novämber» vom draussen eben scheuch aufkeimenden Frühling, in den Spätherbst entführte. Ohne Unterbruch und zügig führte uns der Bandleader über die «Fischer» aufs «Bälpmoos», wohl einer der Songs schlechthin, die das Projekt Patent Ochsner schweizweit bekannt und gross machte und den nicht nur Bärner Giele, sondern auch die andern Deutschschweizer Goofen und Erwachsenen kennen. Ob aber «Bälpmoos» schon zum nun folgenden «Trybguet» zählt, ist kaum anzunehmen.
Bühne frei für ein, von Pippo Pollina mitkomponiertes Canzone
Dazu bat Büne nun Daniela Sarda an den Bühnenrand um ihr das Feld für das von ihm und Pippo Pollina komponiert und getextete «Bruscolo di terra» zu überlassen, wobei er beim Refrain jeweils die Zweitstimme gab. Im grossen, weissen Konzertsaal des KKL Luzern herrschte bald fast schon eine Stimmung wie auf dem legendären «Gurten», der «Open Air Heimat» der Frauen und Mannen um Büne Huber. Diese begaben sich nun musikalisch auf den «Balkon» was natürlich “Durscht u Hunger” gab. Zum Stillen dieser Bedürfnisse war wieder Heidi Happy gefragt, die im Duett mit Büne Huber glänzte, wie über diesen Link zu hören ist:
https://youtu.be/sOoofJUWk30?t=62
Mit «Broken soul» gings weiter und wahrscheinlich war die nun intonierte “W. Nuss vo Bümpliz” an dieser gebrochenen Seele schuld. Dieser Patent Ochsner Klassiker schraubte denn auch die Stimmung im Saal nochmals höher, als sie eh schon war.
Ändu, der geniale Geräusche Imitator mit Bonjour Hellville
Wenn einer Instrumente geräuschgenau imitieren kann, dann Ändu, Andreas Schaerer, der mit seiner Beatbox-Technik das Publikum in den Bann zog.
Ein Amuse d’oreille über diesen Link:
https://youtu.be/QkdfFCHAGws?t=9
Schärer löste z.B. mit seiner Imitation nahtlos den Posaunisten ab, der eben ein Solo zum Besten gegeben hatte, kein Unterschied hörbar, schlicht sensationell.
Weitere Highlights waren an diesem Abend die wunderbare Stimme von Daniela Sarda bei “Bruscolo di Terra” und der Gesang von Ricky aus Madagaskar bei “Guet & Gärn”, sowie die immer perfekten Chöre, alles unterstützt von den stilsicheren Mitmusikern.
Es folgte «Liebeslied» bevor man ins «Scharlachrot» eintauchte und bei Sophie Hungers «Hotelsong» landete. Büne Huber wünschte dann noch singend «Guet Nacht Elisabeth». Mit dem «Gummiboum» war dann schon fast «Ausklaar» und die patenten Künstler bleiben «Für immer uf Di» und als schöne Erinnerung in unseren Herzen, vor allem auch, weil sie schlussendlich, nach dem nicht enden wollenden Schlussapplaus, noch eine Zugabe gewährten.
Text: Léonard Wüst www.leonardwuest.ch
Fotos: http://www.abc-production.ch/index, und Léonard Wüst
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