Zum Hauptinhalt springen

Lifestyle

Festival Strings LucerneKonzert Reihe Luzern #KKL Luzern Eröffnungskonzert der Saison 2021-2022 «Hoffnung & Schicksal», besucht von Léonard Wüst

Leia Zhu und die Festival Strings beim gemeinsamen Konzert am Donnerstagabend im KKL Luzern Foto Fabrice Umiglia
Leia Zhu und die Festival Strings beim gemeinsamen Konzert am Donnerstagabend im KKL Luzern Foto Fabrice Umiglia

Besetzung und Programm:
Leia Zhu, Violine
Daniel Dodds, Leitung & Violine
Festival Strings Lucerne

Peter Tschaikowsky | Violinkonzert D-Dur op. 35
Ludwig van Beethoven | Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67

So wie es im Radsport sogenannte Monumente gibt, gemeint sind ein paar klassische Eintagesrennen, wie z.B. Mailand – San Remo, die Flandern Rundfahrt, Paris – Roubaix usw., gibt es solche auch in der klassischen Musik und da gehören die in diesem Konzert programmierten zwei Werke zweifellos dazu.

Peter I. Tschaikowsky Violinkonzert D-Dur op. 35

(Zitat klassik.de)Bei der Uraufführung am 4. Dezember 1881 in Wien ging es hoch her. Das Publikum tobte, und zwar nicht nur vor Begeisterung. Tschaikowskys Violinkonzert in D-Dur spaltete die Gemüter, und der berühmte Wiener Kritiker Eduard Hanslik schrieb über diese Uraufführung: “Tschaikowskys Violin-Concert bringt uns zum ersten Mal auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könnte, die man stinken hört.” Hanslik hin oder her, Tschaikowskys Violinkonzert setzte sich später durch und das, obwohl Leopold Auer, dem es zuerst gewidmet war, es als zu schwierig und zu radikal abgelehnt hatte.(Zitatende).

Allerhöchste technische Anforderungen

Leia Zhu Foto Sirat Uziely
Leia Zhu Foto Sirat Uziely

Dieses, Tschaikowskys einziges, Violinkonzert erfordert von Solisten*innen ein immenses technisches Können. Darin gibt es nicht die einzig schwere Stelle, an der der Geiger gemessen wird, hier reihen sich die technisch anspruchsvollen Episoden aneinander wie die Perlen einer Perlenkette: Technisch schwierige Läufe, Doppelgriffe und das Spiel in extrem hoher Lage. Höhepunkt ist die große Solokadenz in der Mitte des ersten Satzes. Auch hier komponiert Tschaikowsky aus dem vorhandenen Themenmaterial wieder alle erdenklich technischen Schwierigkeiten in den Violinpart: “Die schöneren Momente sind sicherlich vielleicht eigentlich danach, wenn die Flöte das Thema übernimmt und alles, was vorne schon mal war, in leicht veränderter Form wiederkommt.

“Das sehr schnelle und eigentlich wirklich lustige Hauptthema wird im Schlusssatz dann von verschiedenen Couplets unterbrochen.” Dieses Hin- und Her zwischen schnellen, virtuosen und ruhigen, melancholischen Abschnitten im letzten Satz von Tschaikowskys Violinkonzert mündet schließlich in einen fulminanten Schluss.

Ich war mir nicht schlüssig, ob die sehr junge Solistin, aufgrund mangelnder Lebenserfahrung,  über  den mentalen Background verfügt, dieses Werk mit der nötigen Reife zu entwickeln. Dass sie über die technischen Fähigkeiten verfügt, ist unbestritten. Schon nach den ersten paar gespielten Takten durch die, als Tochter chinesischer Eltern, im Oktober 20066 in Newcastle (GB) geborene Leia Zhu, waren meine diesbezüglichen Bedenken Makulatur.

Der erste Satz überrascht dadurch, dass die Kadenz bereits der Durchführung folgt und nicht, wie vorher üblich, der Reprise. Eine weitere Besonderheit ist, dass die einleitende Orchestermelodie – wie in Tschaikowskis b-Moll-Klavierkonzert – im ganzen Werk nicht wiederkehrt. Nach dem anstrengenden, gut zwanzigminütigen ersten Satz mit seinen extrem hohen technischen Ansprüchen folgt der zweite Satz, die “Canzonetta”, was ‘kleines Liedchen'” bedeutet. “Es ist ein langsamer Walzer in g-Moll, den die Solistin die ganze Zeit mit Dämpfer spielt. Es geht um ein trauriges schönes Bild, das von den beiden großen Ecksätzen umrahmt wird.

Melancholischer Zwischensatz

Der zweite Satz ist ganz vom melancholischen, gar sentimentalen Spiel der Violine geprägt. Dezent begleiten die Streicher den Solisten im zweiten Satz, die Holzbläser kommunizieren mit der Geigerin und es entwickelt sich ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Doch diese Ruhe, diese Eintracht hält nicht bis zum Ende an. “Der Satz zerfällt und zerfasert vollständig, die Geige hat fertiggespielt; das Orchester verlangsamt sich und auch harmonisch ist es so, als ob man sich irgendwo verläuft zum Ende der “Canzonetta”. “Und am Ende dieser dieses Verlaufens, wo man wirklich nicht mehr weiter weiß, kommt dann wie ein Gott aus der Maschine der letzte Satz angefahren, der keine Fragen mehr offen lässt.”.

Furios, mächtiges Finale

Daniel Dodds, Leitung & Violine
Daniel Dodds, Leitung & Violine

Das «attacca subito» des dritten Satzes unterbricht plötzlich die Schwermut des Vorgängersatzes und führt zu den zwei beschwingten Hauptthemen des Finalsatzes. Der letzte Satz fordert dann noch mal höchstes technisches Können und Virtuosität vom Solisten. Aber es gibt auch noch andere Momente, die wie eine Oase aus dem Satz hervorstechen. “Es ist halt ein Rondo”. Das sehr schnelle und eigentlich wirklich lustige Hauptthema wird dann von verschiedenen Couplets unterbrochen.” Dieses Hin- und Her zwischen schnellen, virtuosen und ruhigen, melancholischen Abschnitten im letzten Satz  mündet schließlich in einen fulminanten Schluss.

Das Luzerner Renommier Ensemble, unter Daniel Dodds unauffälliger, trotzdem energischer Führung,  interpretierte Tschaikowsky mit Strenge, aber auch Süße und sogar Geziertheit sowie einer hinreißenden, abrupten Ruppigkeit, wie es sich anhörte, auch ganz im Sinne der Solistin, die mittels Augenkontakt, Kopfgesten und vollem Körpereinsatz mit ihren Mitmusikern korrespondierte.

Es folgte stürmischer Applaus, inklusive einiger Bravorufe und dennoch dauerte es eine längere Zeit, bis diese sich zu einer stehenden Ovation entwickelte.

Ergreifende, die Seele berührende  Zugabe

Cellist Alexander Kionke begleitete die Solistin bei ihrer Zugabe «Méditation» aus Thais von Jules Massenet mit sensiblem Pizzicato. Wir genossen eine äusserst gefühl- und hingebungsvolle Interpretation dieses «Violin Zugabeklassikers» dem der entsprechende Applaus folgte, der die Künstlerin noch zwei-dreimal zurück auf die Bühne rief, bevor man sich in die Pause begab und sich wunderte, denn Leia Zhu steht mitten im Foyer, noch in ihrem türkisen «Bühnenoutfit», plaudert mit Zuhörern und lässt sich feiern und geduldig ablichten.

2. Konzertteil mit dem so bekannten Beethovenschen Ta ta ta ta

Nach einer kurzen humorvollen Begrüssung durch den künstlerischen Leiter der «Strings»,  Daniel Dodds, begab man sich akustisch in die fünfte Dimension in Form der, auch  «Schicksalssinfonie» genannten, fünften von Beethoven.

Der Anfang ist weltbekannt. Das Eingangsmotiv kommt gerade einmal mit vier Tönen aus. Doch klopft da wirklich das Schicksal an die Tür? Ta ta-ta-taaaa  – Wohl kaum eine Tonfolge ist weltweit so berühmt wie der Anfang von Ludwig van Beethovens 5. Sinfonie. Hätte Beethoven in der heutigen Zeit gelebt, wäre er allein durch die Tantiemen reich geworden: für Handyklingeltöne, musikalische Bearbeitungen aller Stilrichtungen oder Abdrucke seiner Noten auf Taschen, Tassen und Regenschirmen. Ganz zu schweigen von den Verwertungseinnahmen für die Aufführungen seiner Werke.

Fast tauber Komponist

Die Festival Strings Lucerne im Konzertsaal des KKL Luzern
Die Festival Strings Lucerne im Konzertsaal des KKL Luzern

Erstaunlich, dass die Sinfonie in einer Zeit entstand, als Beethoven bereits schwerhörig war und unter Tinnitus litt. Es ist die erste Sinfonie, die er in Moll schrieb, es folgte, mit der neunten noch eine zweite, während er die andern alle in Dur komponierte.

Welche Bedeutung man der Sinfonie beimisst belegt diese Tatsache: Im Jahr 1977 wurden die „Voyager Golden Records” ins All geschossen. Das sind goldene Datenplatten, bespielt unter anderem mit Beethovens Fünfter. Vielleicht werden sie also eines Tages Außerirdischen Aufschluss über das Leben der Menschen auf der Erde geben.

Nicht nur der taube Beethoven kämpfte mit seinem Schicksal, auch die Hörer werden unmittelbar in das musikalische Geschehen mit hineingenommen. Sie werden durch die Musik förmlich dazu aufgefordert, die Auseinandersetzung mit dem Schicksal zu durchleben, um am Ende von der Finsternis zum Licht zu gelangen („per aspera ad astra“).

Das Orchester, unter diskreter, trotzdem magistraler Führung ihren Chefs Daniel Dodds spielte einmal mehr auf höchstem Niveau, agierte resolut, wo gefordert, sanft wo geboten, drückte dem Werk den eigenen Stempel auf, ohne die Werktreue zu verlieren.

Der zweite Satz stellt in jeder Hinsicht einen scharfen Kontrast zum ersten Satz dar: dort ein extrem kurzes, rhythmisch prägnantes Motiv, hier ein weit ausholendes, geschwungenes punktiertes sangliches Thema und hat das Thema und drei freie Variationen.

Für den sieghaften Schlusssatz lässt Beethoven Piccoloflöte, Kontrafagott und drei Posaunen ‚aufmarschieren‘.
Es sind also speziell zur Militärmusik zählende Instrumente, deren Klang den sieghaften Gestus grundiert. Kaum bedarf es da noch der Erwähnung, dass sich das c-Moll des Kopfsatzes zu C-Dur aufhellt – mit aller damit verbundenen Metaphorik.“

Nach eleganten Fagotttsequenzen und Pizzicato am Ende des dritten Satzes entsteht aus feinstem Pianissimo der vierte Satz in forschem avanti, in optimaler Abstimmung und Harmonie Und die Tempoverschärfung gegen Schluss ist auch ohne ersichtliches Dirigat perfekt aufeinander abgestimmt.

Das Auditorium im praktisch voll besetzten Konzertsaal würdigte diese aussergewöhnliche Darbietung mit langanhaltendem, stürmischem Applaus

Text: www.leonardwuest.ch Fotos:  festivalstringslucerne.org/de/home

Homepages der andern Kolumnisten:   www.noemiefelber.ch

www.gabrielabucher.ch  www.herberthuber.ch

www.maxthuerig.ch

  • Aufrufe: 75

Teodor Currentzis – musicAeterna, KKL Luzern. 8. Oktober 2021, besucht von Léonard Wüst

Setzte das KKL drei Tage lang unter Strom: Teodor Currentzis dirigiert sein «musicAeterna»-Orchester unter anderem in Mahlers fünfter Sinfonie. Foto Matthias Creutziger
Setzte das KKL drei Tage lang unter Strom: Teodor Currentzis dirigiert sein «musicAeterna»-Orchester unter anderem in Mahlers fünfter Sinfonie. Foto Matthias Creutziger

Besetzung und Programm:
Teodor Currentzis Leitung
musicAeterna Orchester
Alexey Retinsky: «Anapher» für symphonisches Orchester (Uraufführung)
Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 5

Ein illustres, teils gar prominentes Publikum strömte erwartungsfreudig in den Konzertsaal, darunter u.a. Samih Sawiris, der ägyptische Grossinvestor u.a. des Andermatt Swiss Alps Projektes.

Uraufführung von Alexey Retinskys neuem Werk Anapher für symphonisches Orchester

Komponist Alexey Retinsky
Komponist Alexey Retinsky

Immer schwer, Uraufführungen zu rezensieren, da man keinerlei Bezugspunkte, weder literarische, noch akustische in Form eines Tonträgers, hat. Deshalb kam mir sehr gelegen als meine Begleiterin am Ende des Werks bemerkte: Das hat getönt wie in der Taiga. Also, das Pferd von hinten aufzäumen und fragen

Wie tönt ein Tag in der Taiga?

Kraftvolles hochkonzentriertes Dirigat des griechischen Genies
Kraftvolles hochkonzentriertes Dirigat des griechischen Genies

In den Wäldern der Taiga leben Elche und Braun- und Schwarzbären, aber auch Eichhörnchen, Füchse, Dachse, Hasen, Zobel und der Vielfraß. Marder. Wildschweine, Luchse, Nerze und Hirsche kommen ebenfalls vor. Es wachsen Nadelbäume wie Kiefern, Fichten, Tannen und Lärchen. All deren diverse Geräusche zu orchestrieren, damit sie von einem Klangkörper interpretiert werden können erscheint uns als ein Ding der Unmöglichkeit. Doch genau dies macht der gebürtige Krim Ukrainer Retinsky und bedient sich dafür auch sehr ungewöhnlicher Instrumente, von welchen de E Gitarre noch das gebräuchlichste ist. Wo aber findet man sonst eine Partitur, die auch Noten für Semantron und hundert Wasserpfeifen.enthält?

Komposition für Wasserpfeifen?

E-Gitarre Symbolbild
E-Gitarre Symbolbild
Betzold Vogelwasserpfeifen
Betzold Vogelwasserpfeifen

Genau diese Wasserpfeifen sind es denn auch, die ungefähr in der Mitte des Werkes ein grossartiges Vogelgezwitscher erzeugen, das Currentzis genüsslich auskostend in die Länge zieht, bevor sich die Töne wie ein Vogelschwarm wieder voneinander trennen und in der Taiga verstummen. Kündigt das kurz dröhnende Brummen der Bässe das Erscheinen eines Braunbären an, sequenziert die trillernde Querflöte das Herumhuschen eines flinken Eichhörnchens, symbolisieren die sanften Harfenklänge das rieseln den Nadeln, die von den Fichten und Tannen zu Boden schweben?

Klangwelten einer uns unbekannten Fauna und Flora

Semantron Symbolfoto
Semantron Symbolfoto

Das aufgeregte Trällern des Piccolos versinnbildlicht die Angstschreie einer von einem Fuchs im Gras aufgescheuchten Schnepfe. Symbolisiert das Schlagwerk nicht Storchengeklapper? Alexei Retinski,Teodor Currentzis – musicAeterna eröffnen uns hier völlig neue Klangwelten, lassen uns akustisch eintauchen in eine uns unbekannte Fauna und Flora. Diese Klangwelten überzeugten auch das Publikum im vollbesetzten Konzertsaal, welches dann auch nicht mit stürmischem Applaus geizte, bevor man sich in die Wandelhallen des KKL in die Pause begab.

Näheres zum Komponisten

Auch die leiseren Töne wurden gehört
Auch die leiseren Töne wurden gehört

 

Auch am Basss passiert was
Auch am Basss passiert was

Alexei Retinski, der erste Resident der musicAeterna Komponisten-Werkstatt in Sankt Petersburg ist ein Absolvent der Zürcher Hochschule der Künste und der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz bei Professor Beat Furrer. Seine Werke werden häufig in russischen und europäischen Konzertsälen aufgeführt. „Anapher“ wurde für ein grosses Sinfonieorchester, eine E-Gitarre, drei Semantrons und hundert Wasserpfeifen komponiert. Das Nebeneinander von klassischer Besetzung und atypischen Instrumenten beruht auf dem dramaturgischen Konzept eines qualitativen Übergangs in einen neuen Zustand. Dieser Übergang wird durch eine quantitative Anhäufung von Instrumenten erzielt, die die traditionelle orchestrale Textur scheinbar durchbricht. Dabei verlässt die Textur das konventionelle Achsensystem und überschreitet die Grenzen der legitimen Temperamente und klanglichen Hierarchien – und wie sich am Ende herausstellt, ist der scheinbar „entgleiste Zug“ mit Flügeln ausgestattet.

2. Konzertteil Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 5

Konzertfoto von Alexandra Muravyeva
Konzertfoto von Alexandra Muravyeva

Jede Note ist von der vollsten Lebendigkeit und alles dreht sich im Wirbeltanz. Es bedarf nicht des Wortes, alles ist rein musikalisch gesagt.«
Gustav Mahler gegenüber Natalie Bauer-Lechner über seine Fünfte Sinfonie

Mahlers Philosophie in Musik verpackt

Konzertfoto von Alexandra Muravyeva
Konzertfoto von Alexandra Muravyeva

Mahler waren Sinfonien stets ein Mittel zur Interpretation komplexer philosophischer Probleme, die verbal nicht gelöst werden konnten. Die anspruchsvolle Struktur der fünfteiligen Sinfonie reicht vom Trauermarsch bis hin zum fulminanten Finale – ein unerschrockener Versuch, den tragischen Konflikt mit der ihn umgebenden Welt zu lösen. Der geniale vierte Satz der Sinfonie, das Adagietto, gleicht einer wunderschönen geheimnisvollen Blume, die jeder Dirigent in seinem eigenen Stil neu interpretiert. Mahler hat als einer der einflussreichsten Maestros des zwanzigsten Jahrhunderts die Rolle des Dirigenten neu definiert. Für Mahler ist der Dirigent ein ebenso wesentlicher Bestandteil seiner musikalischen Werke wie der Komponist. Wenn ein Dirigent das Pult betritt und die Partitur aufschlägt, erschafft er musikalische Universen von Grund auf neu. Seit vielen Jahren führen Teodor Currentzis und das musicAeterna Orchester Mahlers Sinfonien in vielen Ländern der Welt auf. Die Fünfte Sinfonie hat dabei ihren Platz als einer der Höhepunkte des Zyklus erobert

Mahler neu gedacht von Teodor Currentzis – musicAeterna

Konzertfoto von Alexandra Muravyeva
Konzertfoto von Alexandra Muravyeva

Ein ausführlicher Trauermarsch. In gemessenem Schritt. Streng. Wie ein Kondukt in cis-Moll ist dem eigentlichen Hauptsatz vorangestellt. Er beginnt mit einer verhaltenen Trompetenfanfare, welche zum maßgeblichen Motiv des Marsches wird. Das Motiv erinnert an den Beginn des Generalmarsches der österreichisch-ungarischen Armee. Die Fanfare wird im Orchestertutti abgeschlossen und anschließend resignierend in die Tiefe geführt. Es schließt sich ein klagendes, gesangliches Thema der Streicher an und sorgt im Folgenden für eine dunkle und bedrohliche Stimmung. Das Fanfarenmotiv kehrt nun im Orchester wieder und sorgt für eine musikalische Verdichtung. Der gemessen schreitende Zug wird durch ein erstes Trio unterbrochen. Ein plötzlich hervorbrechender Ausbruch in b-Moll, der sich zum Tutti steigert und die Grenzen des tonalen Raumes antastet, leitet es ein. Eine sprunghaft aufsteigende Melodie wird von synkopierenden Gegenrhythmen kontrastiert.

Dritter Satz

Konzertfoto von Alexandra Muravyeva
Konzertfoto von Alexandra Muravyeva

Eine Walzermelodie bestimmt das erste Trio und lässt das Bild einer traumhaft-heilen Welt entstehen. Die inhaltliche Wiederholung des Scherzos führt zu einem Tuttihöhepunkt, welcher das zweite Trio einleitet. Im Gegensatz zum ersten handelt es sich um einen langen und thematisch schwergewichtigen Einschub. Eine durchgehende Bewegung fehlt hier, zahlreiche Haltepunkte führen maßgeblich zur großen Ausdehnung des Satzes. Eine wehmütige Melodie entfaltet sich in den Holzbläsern und Streichern zu minimalistischer Pizzicato Begleitung der Streicher. Ein elegischer Horn Ruf wirkt wie ein entrückendes Element und verleiht dem musikalischen Geschehen einen mystischen und tiefgehenden Klang, welcher einen böhmischen Klagegesang aufgreift[3]. Nach einiger Zeit verdichtet sich das Geschehen und steigert sich zu furiosen Läufen und einem großen Fortissimo am Rande der Tonalität.

Konzertfoto von Alexandra Muravyeva
Konzertfoto von Alexandra Muravyeva

Langsam entwickelt sich im Anschluss eine dynamische Steigerung. Dieser dramatische Höhepunkt ist in höchst freier Chromatik gestaltet und geht, wie es für Mahler typisch ist, in mehreren Wellen vor sich. Er beruhigt sich durch die Wiederkehr des Hauptthemas. Der Mittelteil des dreiteiligen Satzes bringt einen neuen Gedanken, ohne jedoch eine Stimmungsänderung zu bewirken. Der Satz verklingt nach der Rückkehr des Hauptthemas friedlich und nahezu entrückt in pianissimo

Die Sinfonie endet mit einem sich langsam steigernden Rondo-Finale. Allegro – Allegro giocoso

Konzertfoto von Alexandra Muravyeva
Konzertfoto von Alexandra Muravyeva

Die übersteigerte Apotheose ergeht sich in nahezu lärmender Polyphonie  und grenzenlosem Jubel und wird durch die Wiederkehr des Chorals aus dem zweiten Satz eingeleitet. Mahlers letzte Tempoangabe gibt vor: “Allegro molto und bis zum Schluss beschleunigend”. Der alles mit sich reißende Taumel beendet die Sinfonie mit einem mächtigen Tuttiakkord.

Konzertfoto von Alexandra Muravyeva
Konzertfoto von Alexandra Muravyeva

Currentis Interpretation der fünften Sinfonie Mahlers berührt und fesselt zugleich. Von der berühmten Trompetenfanfare über den dramatischen Ausdruck des zweiten Satzes und dem träumerisch-anmutenden Adagietto bis hin zur musikalischen Hin-und-her-Gerissenheit des Rondo-Finales, lotet er jede dynamische Nuance der Partitur aus. Gleichzeitig brilliert die Interpretation in Sachen Präzision und lebendigem Orchesterklang.

Die souveränen Hornisten in Mahlers 5. Sinfonie
Die souveränen Hornisten in Mahlers 5. Sinfonie

Currentzis nimmt das Schlagwerk und die Bläser ebenso energisch in die Pflicht, wie er die Streicher uns sanft zärtlich umschmeicheln lässt, besonders ausgeprägt beim tänzelnden Walzer im dritten Satz. Dabei bewegt sich der charismatische Dirigent elegant geschmeidig gibt seine Anweisungen mittels kleinen Gesten, auf- und anfordernder Blicken und motivierenden Körperbewegungen

Tiefgründig und messerscharf

Der Meister zeigt wos lang geht
Der Meister zeigt wos lang geht

Mit unverstelltem, tiefenscharfem Blick erschließen Teodor Currentzis und seine Mitmusiker die klanglichen Schönheiten ebenso wie die schroffen Abgründe der monumentalen Partitur, um deren finale Gestalt der Komponist gerungen hat wie bei kaum einer anderen seiner Sinfonien. Das Auditorium war hingerissen, aber auch tief beeindruckt von dieser Demonstration und feierte die Protagonisten mit einer langen, nicht enden wollenden stehenden Ovation.

Nachtrag

Er hatte schlagkräftige Argumente
Er hatte schlagkräftige Argumente

Ausser den Cellisten absolvierten alle Musiker*innen das Konzert stehend, auch eine Aussergewöhnlichkeit, schon fast ein Markenzeichen dieses Orchesters, Teil seiner intensiven Aura.Luzern gehört laut Pressetext zu den «wichtigsten Musikmetropolen mit hoher kreativer Energie». Einen Grund dafür hatte Currentzis selbst nach einem Konzert am Lucerne Festival genannt. Bei einem Auftritt vor Publikum im Panoramafoyer des KKL sagte er: Das ist der beste, wirklich der beste moderne Konzertsaal der Welt.»

Teodor Currentzis weiter:

Der Chef bedankt sich applaudierend bei seinen Mitmusikern
Der Chef bedankt sich applaudierend bei seinen Mitmusikern

Die musicAeterna Kreativresidenzen verwirklichen unsere Vision von der Zukunft der Kunst. Es ist ein Weg, die Künste zu erneuern, indem die Grenzen zwischen ihnen verwischt werden. In unseren Residenzen tauschen Künstler, die in unterschiedlichen Bereichen arbeiten, aber ähnliche Visionen von Schönheit und der Zukunft der Kunst haben, Inspiration und Ideen aus. Dies ermöglicht es uns, uns selbst, die Welt und die Kunst aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, erweitert unseren Horizont und führt zu einem völlig neuen Ergebnis. Sie verändert uns unweigerlich. Und wir möchten, dass auch das Publikum diese Freiheit spürt und diesen Schwung bekommt. Die Residenz ist eine Möglichkeit, in einen Raum der Erkundung und Kommunikation einzutreten. Dies ist das Wesen und der Geist unseres Projekts.

Mein Fazit: Wer dieses Orchester mit seinem Dirigenten nie live erlebt hat, wird  nie verstehen, was Musik wirklich ist!

Kleine Fotosiashow zum Bericht:

fotodiashows.wordpress.com/2021/10/08/currentzis/

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos: https://musicaeterna.org/

Homepages der andern Kolumnisten:  www.noemiefelber.ch

www.gabrielabucher.ch  www.herberthuber.ch

 www.maxthuerig.ch

  • Aufrufe: 65

Teodor Currentzis und musicAeterna: Erste internationale Residenz in Luzern

Theodor Currentzis mit musicAeterna Foto Anton Zavjyalov
Theodor Currentzis mit musicAeterna Foto Anton Zavjyalov

Teodor Currentzis und sein musicAeterna Team eröffnen am 6. Oktober dieses Jahres ihre erste internationale Residenz in Luzern. Das Residenz-Projekt macht die kreativen Methoden des musicAeterna Ensembles sichtbar und stellt auch ein neues Tourneen-Konzept dar. Da die Residenz wegen der Corona-Pandemie nicht wie ursprünglich geplant im Februar durchgeführt werden konnte, findet sie nun in der Zeit vom 6. – 8. Oktober, 2021 statt. Teodor Currentzis und sein musicAeterna Ensemble werden die Konzerthalle des KKL in ein kreatives Labor verwandeln, das es dem Publikum ermöglicht, die Musiker bei der Erforschung der Musik und auch anderer Bereiche der Kunst zu begleiten. Das Residenz-Programm umfasst Konzerte, Meisterklassen, kreative Zusammenkünfte, Filmvorführungen, Diskussionen und eine Fotoausstellung.

 

 

Das musicAeterna Orchester und der musicAeterna Chor stellt ein einzigartiges Ensemble von Musikern dar, die zu den gefragtesten russischen Musikern zählen. Das Repertoire reicht von weltberühmten Meisterwerken der Alten Musik über Werke aus dem 19. und 20. Jahrhundert bis hin zu experimentellen zeitgenössischen Kompositionen. Im Jahr 2004 von dem griechischen Dirigenten Teodor Currentzis in Nowosibirsk gegründet, besteht das Ensemble seit 17 Jahren als Kunstgemeinschaft — ein Team, das sich mit absoluter Hingabe der perfekten Klangqualität verschrieben haben.

 

Im Herbst 2019 übersidelten Teodor Currentzis und musicAeterna nach Sankt Petersbug. Hier wurde das alte Dom Radio Gebäude zu ihrem neuen künstlerischen Zuhause. Mit Unterstützung der VTB Bank, gründete musicAeterna hier das Kultur- und Bildungszentrum. Hier finden die Orchesterproben und Kammerkonzerte statt, erschaffen junge Komponisten neue Musikstücke, und angesehene Musiker und Philosophen teilen ihr Wissen mit den Zuhörern.

 

Ab Oktober 2021 werden die besten Projekte, die an dem musicAeterna Hauptsitz entstanden sind, auf der ganzen Welt aufgeführt. Das Ensemble richtet seine Residenzen in Städten ein, in denen die kreative Energie hoch und Kunst sehr gefragt ist: in New York, Paris, Wien, Hamburg, Tokyo, Berlin, Luzern, Moskau and St. Petersburg. Indem sie regelmässig auftreten, Bildungsprogramme, Musik- und Tanz-Projekte anbieten, werden das musicAeterna Orchester und der musicAeterna Chor in diesen Städten zu einem festen Bestandteil der kulturellen Landschaft.

 

Teodor Currentzis, Dirigent:

— Die musicAeterna Kreativresidenzen verwirklichen unsere Vision von der Zukunft der Kunst. Es ist ein Weg, die Künste zu erneuern, indem die Grenzen zwischen ihnen verwischt werden. In unseren Residenzen tauschen Künstler, die in unterschiedlichen Bereichen arbeiten, aber ähnliche Visionen von Schönheit und der Zukunft der Kunst haben, Inspiration und Ideen aus. Dies ermöglicht es uns, uns selbst, die Welt und die Kunst aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, erweitert unseren Horizont und führt zu einem völlig neuen Ergebnis. Sie verändert uns unweigerlich. Und wir möchten, dass auch das Publikum diese Freiheit spürt und diesen Schwung bekommt. Die Residenz ist eine Möglichkeit, in einen Raum der Erkundung und Kommunikation einzutreten. Dies ist das Wesen und der Geist unseres Projekts.

 

Luzern ist die erste internationale Kunstresidenz von musicAeterna. Vom 6. bis 8. Oktober werden Teilnehmer an Meisterklassen, Diskussionsrunden und live-Aufführungen dazu ermutigt, gemeinsam mit den Musikern den kulturellen und historischen Kontext der aufgeführten Stücke zu entdecken und gleichzeitig die in der Musik verborgenen Ausdrucksmöglichkeiten zu erforschen.

 

Am 6. Oktober steht die moderne akademische Musik im Mittelpunkt des Residenz-Programms. Die Choroper Tristia, komponiert von dem Franzosen Philippe Hersant, ist das Hauptereignis am Eröffnungstag. Tristia wurde 2015 geschrieben und basiert auf Gedichten von Gefangenen. Dieses aufrichtige und berührende Werk, in dem es um die Themen Einsamkeit, Reue und Hoffnung geht, wurde im Auftrag von Teodor Currentzis eigens für musicAeterna komponiert. Nach der Uraufführung beim Diaghilev Festival 2016 wurde Tristia auch auf zahlreichen europäischen Bühnen aufgeführt. Die Aufführung in Luzern wird von einer Podiumsdiskussion begleitet. Teodor Currentzis und Philippe Hersant werden gemeinsam an einem Diskurs über Freiheit, den Glauben und das innere Licht teilnehmen. Um die Bedeutung der Oper noch mehr zu vertiefen, werden auch die folgenden Filme gezeigt: Das Wort, eines der besten Werke des dänischen Visionärs der Welt der Kinematografie, Carl Theodor Dreyer, sowie der jüngste Film von Terrence Malick, Ein Verborgenes Leben — ein dokumentarisches Werk über den Zweiten Weltkrieg aus der Perspektive des metaphysischen Humanismus.

 

Der zweite Tag der Residenz wird mit einer Meisterklasse von Teodor Currentzis eröffnet. Während der Veranstaltung werden zwei Schweizer Nachwuchsdirigenten gemeinsam mit Teodor Currentzis und dem musicAeterna Orchester einen Abschnitt von Mahlers 5. Sinfonie erarbeiten. Die Sinfonie wird am darauffolgenden Tag in voller Länge aufgeführt. Die Erforschung von Mahlers Musik wird von der holländischen Choreographin Nanine Linning fortgesetzt, deren Arbeit sich auf neue Ausdrucksmöglichkeiten des Konzepts Gesamtkunstwerk konzentriert. Linning wird zwei Meisterklassen leiten: eine für Schweizer professionelle Tänzer, die neue Ausdrucksweisen im modernen Tanz erforschen wollen; die Zweite richtet sich an das breite Publikum. Das Hauptereignis des Tages ist Zehn Poeme nach Worten revolutionärer Dichter von Dmitri Schostakowitsch. Dieser A-cappella Chorzyklus wird von dem musicAeterna Chor unter der Leitung von Fedor Lednev aufgeführt. Am selben Tag werden auch die Gebete aus der Liturgie des heiligen Johannes Chrysostoms von Dmitri Smirnow zu hören sein. Smirnow ist ein zeitgenössischer Komponist aus Sankt Petersburg, der in seinem Werk einen eigenen Blick auf die russischen Chortraditionen richtet. Der Tod in Venedig von Luchino Visconti steht am Ende der Veranstaltungen des zweiten Tages — ein Film, der praktisch untrennbar mit dem Adagietto aus Mahlers 5. Sinfonie verbunden ist.

 

Mahlers 5. Sinfonie wird am 8. Oktober, dem Schlusstag der Residenz, vom musicAeterna Orchester unter der Leitung von Teodor Currentzis aufgeführt. Am selben Abend wird dem Publikum auch Alexey Retinsky vorgestellt, composer in residence bei Dom Radio. Retinsky wird seine neues, speziell für diesen Anlass geschaffene Werk vorstellen. Vor dem Konzert hat das Publikum die Möglichkeit, einzelne Mitglieder des musicAeterna Orchesters kennenzulernen.  Die Musiker werden über Musik im Allgemeinen, über ihre Auffassung anderer Kunstformen und ihre Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit musicAeterna sprechen.

 

Während der Residenz wird auch eine Fotoausstellung der Moskauer Fotografin Alexandra Muravyeva gezeigt. Sie begleitet das musicAeterna Ensemble seit fünf Jahren auf alle Welttourneen.

 

Das detaillierte Residenz-Programm finden Sie auf der KKL Website oder musicAeterna Website. Mehrere Veranstaltungen können Sie auch kostenlos geniessen — Voraussetzung ist lediglich eine Voranmeldung.

 

Das musicAeterna Orchester und der musicAeterna Chor wurden 2004 von Teodor Currentzis gegründet. Die Musiker des Ensembles stammen aus 12 Ländern und 20 verschiedenen Städten in Russland. Das Repertoire umfasst berühmte Meisterwerke aus dem 19ten und 20ten Jahrhundert und experimentelle zeitgenössische Kompositionen. Das musicAeterna Ensemble ist oft bei prestigeträchtigen Festivals zu Gast und spielt in den renommiertesten Konzerthallen auf der ganzen Welt. Seit 2019 ist das musicAeterna Ensemble unabhängig. Der Hauptsitz des Ensembles befindet sich im Dom Radio Gebäude in Sankt Petersburg, Russland. musicAeterna fördert Kreativ- und Bildungsprogramme sowie einzigartige experimentelle und wissenschaftliche Projekte in zahlreichen Bereichen der modernen Kunst.

 

Komplementär: VTB Bank

Partner Stiftung: Alma Mater Stiftung

Luzern Residenz Partner:

Carène Foundation — Co-Sponsor des Tristia Konzerts am 6. Oktober

Albert Behler und Robin Kramer — Sponsoren des Mahler Konzerts am 8. Oktober

 

musicaeterna.org

Facebook | Instagram | YouTube | Twitter

  • Aufrufe: 75

Luzerner Theater King Lear, Première, 30. September, besucht von Max Thürig

King Lear Szenenfoto von Ingo Hoehn
King Lear Szenenfoto von Ingo Hoehn

Produktion und Besetzung:
Regie: Heike M. Goetze Bühne und Kostüme: Heike M. Goetze Licht: David Hedinger-Wohnlich Dramaturgie: Dominik Busch
Daniel Nerlich (Lear) Martin Carnevali (Gloucester) Thomas Douglas (Narr) Christian Baumbach (Kent) Sebastian Schulze (Edmund) Hugo Tiedje (Edgar) Zoe Hutmacher (Goneril) Dagna Litzenberger Vinet (Regan) Marta Rosa (Cordelia) Max Rüfle (Alter Mann, Statist)

Der Herbst zeigt sich bereits in den kräftigsten Farben, lässt das Grün so intensiv erscheinen, dass ich mich in Irland wähne und meine Gedanken um all das Schöne, das sich mir in meinem Umfeld bietet, kreisen. Für heute steht ein Besuch im Luzerner Theater zu William Shakespeare’s Stück «KING LEAR» an.

Schon geerbt? Nein? …dann sehe ich SCHWARZ…

King Lear Szenenfoto von Ingo Hoehn
King Lear Szenenfoto von Ingo Hoehn

Dieses sehr imposante Werk – um nicht zu sagen dieser Koloss – vom grossen Meister um 1600 geschrieben, feiert Premiere! Mit dem Inhalt des Stückes vertraut, bin ich gespannt, wie die Truppe unter der Regie von Heike M Goetze, die gewählte Neuübertragung von Miroslava Svolikova umsetzt.

 

 

 

Lockdown und seine möglichen Folgen

King Lear Szenenfoto von Ingo Hoehn
King Lear Szenenfoto von Ingo Hoehn

Um in den Genuss dieser Aufführung zu gelangen, musste ich mich der Zertifikatspflicht unterziehen. Zeigte sich hier nicht eine erste Parallele zu Shakespears Stück? Grassierten in dieser Zeit nicht Pestzüge in Europa und schickten die Menschen auch in eine Art Lockdown? Will heissen, dass auch damals aus Angst vor Ansteckungen soziale Kontakte reduziert wurden und die Gesellschaft prägten, veränderten?

 

 

 

Schwarz dominiert

King Lear Szenenfoto von Ingo Hoehn
King Lear Szenenfoto von Ingo Hoehn

Gleich von Beginn an werde ich in den Bann der Geschichte gezogen. Düster, wenig Licht und wenn Licht, dann für sehr ausgewählte Szenerien, so versuche ich dem Geschehen zu folgen. Nichts erinnert mich an meine Eindrücke der kräftigen Herbstfarben. Im Gegenteil: Schwarz und Leder dominieren und verleihen der Szenerie etwas Gespenstisches, Surreales! Schon mit den ersten Sätzen Lears zeigen sich liebgewonnene Eigenschaften des Menschen: Macht, Ansehen und geliebt werden!

 

 

 

 

 

 

Macht ist geil…

King Lear Szenenfoto von Ingo Hoehn
King Lear Szenenfoto von Ingo Hoehn

Anfänglich etwas irritiert, dass der «alte König» mit einer im besten Alter lebenden Person UND seinem Spiegelbild als alten Mann dargestellt wurde, mache ich mir erste Gedanken über Machtansprüche und Machtabgabe in unserem Leben. Wann ist der richtige Zeitpunkt seine Macht abzulegen? Als Mensch habe ich ja die Möglichkeit, mich in die Vergangenheit zu begeben, Lehren zu ziehen, daraus Strategien abzuleiten, wie es in Zukunft weitergehen soll und so eigentlich auch meinen Abgang und die Stabsübergabe zu planen. Doch will das der Mensch überhaupt? Oder ist er schlicht zu verliebt in all die Möglichkeiten damit zu «spielen»? So ertappe ich mich im momentanen Zeitgeschehen, welches sich im Grundsatz nur sehr wenig von den damaligen überzeugten Herrschern wie er von King Lear dargestellt wird, unterscheidet. Da fallen mir die Namen vieler Weltpolitiker ein, die so von sich überzeugt sind, dass sie den Anspruch auf Unersetzlichkeit reklamieren…

Abgründe des Menschen werden sicht- und schmerzlich spürbar

King Lear Szenenfoto von Ingo Hoehn
King Lear Szenenfoto von Ingo Hoehn

Das Stück nimmt weiter Fahrt auf, zeigt die zerstörerische Kraft des Geliebtsein-Wollens indem die Hauptfigur seine Lieblingstochter, die ihm vordergründig die Liebe verweigert, verdammt und sie so letztlich in den Tod stösst. Durch die Aufteilung seines Reiches unter die beiden ältesten Töchter begibt er sich unbemerkt in deren Abhängigkeit und muss erleben, dass er letztlich alles verliert und in den Wahnsinn getrieben wird.
Gleichzeitig erlebe ich in einer Parallelhandlung wie in der Familie des Grafes Glosters, einem alten Vertrauten Lears, weitere Intrigen, angetrieben vom unehelichen Sohn Edmund, vorangetrieben werden. Die Klaviatur des Täuschens, der fake News und der Ausnützung der Beteiligten wird in Perfektion gespielt und führt mir vor Augen, wozu der Mensch fähig sein kann, wenn er von seinen Wahnideen besessen ist. Dass Graf Gloster  erst nach der Beraubung seines Augenlichts realisiert, dass er nun sehend ist und feststellen muss, dass er auf die falschen Freunde und Personen gesetzt hat lässt mich sehr nachdenklich werden. Getoppt wird das Ganze dann noch durch die Vergiftung Regans durch ihre Schwester Goneril!

Zu späte Einsicht

Vollends düster wird es dann, als der sterbende Edmund sein schlechtes Gewissen beruhigen möchte und versucht, seinen Tötungsauftrag für Gordelia und Lear rückgängig zu machen, was scheitert. Für beide kommt dieses Ansinnen zu spät…

Shakespears Tragödie führte mich in die dunkelsten Abgründe des Menschen. Sie zeigt Menschen, die den Vergleich eines Tieres auf zwei Beinen rechtfertigen. Zum Glück spielt die Geschichte aber in einer Zeit, die längst der Vergangenheit angehört…. Oder lassen sich da nicht auffällig viele Parallelen zum Hier und Jetzt ziehen? Beeindruckt von der schauspielerischen Leistung aber nachdenklich über das Gesehene verlasse ich diese reale Kunstwelt und freue mich, wenn ich mit meinen Augen «sehend» das Leben erfahren darf!

Text: Max Thürig https://maxthuerig.ch/ https://www.wildwaldwalk.ch/

Fotos: www.luzernertheater.ch  Ingo Hoehn

Homepages der andern Kolumnisten:  www.noemiefelber.ch

www.gabrielabucher.ch  www.herberthuber.ch

www.leonardwuest.ch

  • Aufrufe: 173