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„Die Hälfte der Medizin-Studierenden kann sich eine Tätigkeit als Landarzt vorstellen“

Am 8. November 2023 wurde offiziell das Institut für Allgemeinmedizin der
Universität Leipzig gegründet, das auf einer bereits bestehenden Abteilung
basiert. Die Einrichtung stellt sich den großen Herausforderungen durch
den demografischen Wandel mit maßgeschneiderten Lehrangeboten. Diese
sollen bei den Medizin-Studierenden das Interesse für das Berufsbild eines
Haus- und/oder Landarztes wecken. Eine Befragung der Absolvent:innen des
Jahrgangs 2022 an der Medizinischen Fakultät ergab, dass sich 50,5 Prozent
vorstellen können, nach dem Studium eine Tätigkeit als Landarzt oder
Landärztin aufzunehmen.

Viele niedergelassene Ärztinnen und Ärzte aus ganz Sachsen nahmen am
Mittwochnachmittag (8. November 2023) an der Festveranstaltung zur
Gründung des Instituts für Allgemeinmedizin teil. Viele von ihnen sind
Lehrärzte an der Medizinischen Fakultät und unterstützen durch Praktika
und Famulaturen die medizinische Ausbildung. Ziel des neuen Instituts ist
es, den Freistaat Sachsen bei der Sicherung der medizinischen
Grundversorgung zu unterstützen und das Fachgebiet in enger Zusammenarbeit
mit den Hausarztpraxen weiterzuentwickeln. Der demographische Wandel
stellt die ambulante Versorgung vor große Herausforderungen: Der Bedarf
wird aufgrund der alternden Bevölkerung weiter ansteigen, gleichzeitig
wird das medizinische Fachpersonal älter. „Wir sind uns der Verantwortung
bewusst und werden die Politik mit allen Kräften bei dieser wichtigen
Aufgabe unterstützen“, betont Prof. Dr. Ingo Bechmann, Dekan der
Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig. Die Medizinische Fakultät
in Leipzig ist die größte Ausbildungsstätte in Sachsen für Studierende der
Human- und Zahnmedizin, Hebammenkunde und die einzige für Pharmazie. Im
Wintersemester 2023/24 startete der zweite Jahrgang der Studierenden der
Vorabquote nach sächsischem Landarztgesetz mit 22 Studierenden am Standort
Leipzig. Insgesamt haben 343 Erstsemester mit dem Studium der Humanmedizin
begonnen (Stand 1.11.2023).

„Frei werdende Weiterbildungsstellen für Allgemeinmedizin am
Universitätsklinikum und seinem Medizinischen Versorgungszentrum können
hervorragend zu einer bestmöglichen Facharztweiterbildung der Mitarbeiter
des neuen Institutes beitragen“, so Dekan Bechmann. Darüber hinaus soll
eine Professur auf den Weg gebracht werden, welche den Studierenden
wichtige Kenntnisse und Knowhow für eine künftige eigene Praxis lehrt.
„Die jungen Menschen entscheiden sich bei der Wahl ihres Studiums nicht
dafür, später eine eigene Praxis zu eröffnen und eine Geschäftsperson zu
werden. Sie entscheiden sich für das Fach Medizin und wir zeigen ihnen die
künftigen Berufsfelder auf“, fasst Dekan Bechmann zusammen. Eine Befragung
unter Studierenden der Humanmedizin der Universität Leipzig ergab, dass
sich 77,9 Prozent der Studienanfänger in 2016 eine berufliche Tätigkeit
als Arzt/Ärztin vorstellen konnten. Sechs Jahre später, nach Ende des
Studiums in 2022, waren es 96,3 Prozent aus der gleichen Kohorte. Von den
Absolvent:innen gaben 14,6 Prozent mit steigender Tendenz an, sich für die
Facharztausbildung Allgemeinmedizin zu interessieren. Sie lagen damit an
dritter Stelle hinter der Fachrichtung Innere Medizin (20,4 Prozent) und
Anästhesiologie (17,6 Prozent) und vor dem Fach Chirurgie (7,8 Prozent).

„Die Allgemeinmediziner werden als Generalisten in einer älter werdenden
Bevölkerung noch wichtiger für die medizinische Grundversorgung sein“,
resümiert Prof. Dr. Markus Bleckwenn, Direktor des neuen Instituts für
Allgemeinmedizin. Das Institut setzt sich mit verschiedenen Lehrmodulen
und Projekten für die Förderung des Nachwuchses ein, um die
Medizinstudierenden auf die zukünftigen Herausforderungen in der
hausärztlichen wie landärztlichen Tätigkeit vorzubereiten.

Das Lehrprojekt MiLaMed der Universitäten Leipzig und Halle steht für
„Mitteldeutsches Konzept zur longitudinalen Integration landärztlicher
Ausbildungsinhalte und Erfahrungen in das Medizinstudium“ und zielt darauf
ab, mit neuen Lehrinhalten an der Uni sowie Praktika in ländlichen
Regionen für die Arbeit außerhalb der Großstadt zu begeistern. Die
Medizinische Fakultät fördert das Projekt nach der Pilotphase für weitere
fünf Jahre aus eigenen Haushaltsmitteln. Bei der Befragung der Leipziger
Absolvent:innen des Jahrgangs 2022 gaben 50,5 Prozent an, sich eine
Tätigkeit als Landarzt vorstellen zu können. Im Jahr 2010 waren es 33,3
Prozent. Weiterführende Studien-Angebote für den haus- und landärztlichen
Nachwuchs sind breit gefächert, beispielsweise mit dem Leipziger
Kompetenzpfad Allgemeinmedizin (LeiKA) und dem Leipziger Standort des
Kompetenzzentrums Weiterbildung Allgemeinmedizin Sachsen (KWASa).

Bei der Gründungsfeier des Instituts skizzierte Prof. Dr. Markus Bleckwenn
in seinem Vortrag „Zukunftsmodelle hausärztlicher Arbeit zur Sicherung
einer wohnortnahen und qualitativ hochwertigen medizinischen
Grundversorgung", innovative Ansätze wie zum Beispiel, die Arbeitsplätze
in den Hausarztpraxen an die Bedarfe der Behandler:innen anzupassen.
„Unser Institut möchte der Forschungsfrage nachgehen, wie Zukunftsmodelle
hausärztlicher Arbeit aussehen können, um eine wohnortnahe und qualitativ
hochwertige medizinische Grundversorgung gewährleisten zu können. Für
diesen Transformationsprozess braucht es aus unserer Sicht eine
Netzwerkstruktur, in der die Praxen mit den Herausforderungen nicht allein
zurechtkommen müssen, sondern sich gegenseitig unterstützen können“, so
der Direktor des neuen Instituts. Der Grundstock ist gelegt: Mittlerweile
umfasst das Lehrpraxen-Netzwerk der Medizinischen Fakultät circa 150
Hausarztpraxen und circa 80 Praxen konnten in jüngster Zeit für das
Forschungspraxen-Netzwerk „RaPHaeL“ gewonnen werden.

„Durch die Institutsgründung wird sich die Sichtbarkeit der
Allgemeinmedizin erhöhen und die Wettbewerbsfähigkeit bei der Einwerbung
von Drittmitteln deutlich verbessern“, betont Prof. Bleckwenn. Das
Institut besteht aktuell aus 23 Mitarbeiter:innen und acht studentischen
beziehungsweise wissenschaftlichen Hilfskräften und basiert auf der
bisherigen Selbstständigen Abteilung für Allgemeinmedizin.

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Keine Scheu vor der Wiederbelebung: Herzdruckmassage rettet Leben

Herzstiftung zeigt, was man als Ersthelfer beim plötzlichen Herzstillstand
tun muss: Die vier Schritte der Wiederbelebung

Der plötzliche Herztod ist die Folge eines akuten Herz-Kreislaufversagens.
Jedes Jahr fallen dem plötzlichen Herztod in Deutschland ca. 65.000
Menschen zum Opfer. Er ist die Folge einer bösartigen Herzrhythmusstörung
(zumeist Kammerflimmern), die innerhalb weniger Sekunden zum
Herzstillstand führt. Nur durch eine erfolgreiche Reanimation kann ein
solcher Herzstillstand überlebt werden. „Die Überlebenswahrscheinlichkeit
einer Person mit Herzstillstand hängt wesentlich davon ab, wie frühzeitig
die Zeugen eines Herz-Kreislauf-Stillstands die Wiederbelebung
durchführen“, betont der Herzspezialist Professor Dr. med. Heribert
Schunkert, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen
Herzstiftung anlässlich der bundesweiten Herzwochen, die unter dem Motto
„Herzkrank? Schütze Dich vor dem Herzstillstand!“ (Infos unter
<www.herzstiftung.de/herzwochen>) stehen.

Jede Minute zählt! – Sofortige Herzdruckmassage für das Überleben
essenziell
Mit jeder Minute, die bis zur Wiederbelebung verstreicht, verringert sich
die Überlebenswahrscheinlichkeit um etwa 10 Prozent. Ein Herzstillstand
führt innerhalb weniger Minuten zum plötzlichen Herztod, wenn nicht sofort
ein Notarzt (112) gerufen und mit Wiederbelebungsmaßnahmen begonnen wird.
„Je schneller mit der Wiederbelebung durch Herzdruckmassage begonnen wird,
desto größer ist die Chance, dass der Patient überlebt“, hebt Prof.
Schunkert hervor. Ein Rettungswagen braucht bis zum Notfallort im
Durchschnitt neun Minuten. Bis dahin dient die Druckmassage zum
Überbrücken der Blutzirkulation, um Gehirn und andere Organe mit
Sauerstoff zu versorgen. „Wenn mit Wiederbelebungsmaßnahmen gewartet wird,
bis der Rettungsdienst mit dem Notarzt da ist, dann bedeutet das für
Betroffene nach wenigen Minuten den Tod oder ein Leben mit meist
schwersten bleibenden Hirnschädigungen“, warnt Prof. Schunkert, Ärztlicher
Direktor der Klinik für Herz- und Kreislauferkrankungen am Deutschen
Herzzentrum München. Helfer vor Ort – häufig sind es Angehörige, Freunde
oder Personen aus dem näheren Umfeld der Betroffenen - müssen daher
unmittelbar nach Absetzen des Notrufs (112) mit Wiederbelebungsmaßnahmen
beginnen:  Das heißt nach Prüfen und Rufen (112) sind die Schritte Drücken
und Schocken (AED) durchzuführen. Die vier Schritte der Reanimation im
Video „Prüfen, Rufen, Drücken, Schocken – und ein Leben retten!“:
<www.herzstiftung.de/herzwochen-videos> oder auf
<www.herzstiftung.de/wiederbelebung>.

Laienreanimation bei plötzlichem Herzstillstand

Prüfen, Rufen, Drücken, Schocken – unbedingt in dieser Reihenfolge.
Das ist die überlebensentscheidende Basis einer erfolgreichen
Laienreanimation

Bei einem Herzstillstand hört das Herz auf zu schlagen oder es „zuckt“ nur
noch, das sogenannte Herzkammerflimmern (über 300 Herzschläge pro Minute).
Der Kreislauf bricht in Sekundenschnelle zusammen. Der Blutdruck sinkt
komplett „auf null“ ab. Herzmuskel, Gehirn und andere Organe werden nicht
mehr versorgt, geschädigt und im Zeitverlauf zunehmend zerstört.

Prüfen
Durch Hören, Sehen und Fühlen checken, ob der auf dem Boden liegende
Betroffene noch atmet (nicht länger als 10 Sekunden). Ist ein Lufthauch
aus dem Mund zu fühlen oder senkt und hebt sich dessen Brustkorb?

Rufen
112 ist überall in Europa ohne Vorwahl die medizinische Notfallnummer.
Name, genaue Adresse und Beschwerden nennen. Sind zwei Ersthelfer vor Ort,
ruft der an, der gerade nicht damit beschäftigt ist, Bewusstsein und
Atmung zu prüfen.

Drücken
Bei fehlender Atmung umgehend mit der Herzdruckmassage beginnen. Hierfür
den Handballen auf die Mitte des Brustkorbs legen, beide Hände
aufeinander. Dabei kontinuierlich 100-120mal/Minute mit gestreckten Armen
das Brustbein etwa 5-6 Zentimeter tief in Richtung Wirbelsäule
herunterdrücken. Um im Takt zu bleiben, können Lieder wie der Bee Gees-Hit
„Stayin‘ alive“ oder andere Songs mit einem Tempo von 100-120 bpm eine
gedankliche Stütze sein. „Es gibt kein Richtig oder Falsch bei der
Herzdruckmassage, Hauptsache man macht was“, erklärt Prof. Dr. med. Thomas
Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung.

Schocken
Sind zwei Helfer vor Ort, setzt einer die Herzdruckmassage ohne
Unterbrechung fort, während der andere einen Automatischen Externen
Defibrillator (AED) holt, sofern er weiß, wo sich einer in der Nähe
befindet. Das Gerät ist selbsterklärend und leitet Retter mit einem
integrierten Sprachmodul exakt an. Per AED kann das Herz im Idealfall
wieder in seinen natürlichen Rhythmus gebracht werden und die Pumpfunktion
wieder eigenständig übernehmen.

Professionelle Hilfe
Unbedingt so lange drücken und - sofern erforderlich - schocken (AED), bis
der Rettungsdienst die weitere notfallmedizinische Versorgung des
Patienten übernimmt oder der Betroffene Lebenszeichen zeigt. Das
Eintreffen des Rettungsdienstes dauert in Deutschland, je nach Bundesland,
in der Regel zwischen 8-10 Minuten. Der Rettungsdienst leitet weitere
Maßnahmen ein, die Klinik führt die Versorgung nach Einlieferung fort.

Zumeist zu Hause
64 % der Herz-Kreislauf-Stillstände treten in der eigenen Wohnung auf. Bis
zu 45 %
aller Ereignisse werden von Familienangehörigen, Freunden oder anderen
Personen beobachtet.

Fehlende Kenntnisse
Weltweit erleiden alljährlich 67 bis 170 von 100 000 Menschen einen Herz-
Kreislauf-Stillstand außerhalb eines Krankenhauses. Der plötzliche Herztod
gehört damit weltweit zu den häufigsten Todesursachen. Nur 2 bis 20
Prozent der Patienten überleben. Das liegt unter anderem daran, dass die
Scheu die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, groß ist. Oft fehlen die
notwendigen Kenntnisse.

Der Ratgeber „Herzkrank? Schütze Dich vor dem Herzstillstand!“ (158 S.)
kann kostenfrei per Tel. unter 069 955128-400 (E-Mail:
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.) angefordert werden. Leicht verständlich
informieren Herzexperten über die wichtigsten Ursachen des Herzstillstands
und wie Vorbeugung, Diagnose und konsequente Behandlung von
Herzerkrankungen helfen, das Risiko eines plötzlichen Herztods auf ein
Minimum zu reduzieren. Überlebende eines plötzlichen Herztods berichten
eindrücklich in Patientenportraits. Weitere Infos unter
<www.herzstiftung.de/herzwochen>

Notfall-Set
Das Herznotfall-Set der Deutschen Herzstiftung kann kostenfrei unter
www.herzstiftung.de/herznotfall-set bestellt werden. Gerne können
Interessierte oder auch medizinisches Fachpersonal das
Informationsmaterial auch telefonisch unter 069 955128-400 oder per E-Mail
unter <Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.> anfordern.

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Diabetes und Sport

Welcher Sport eignet sich bei Diabetes? Wie passen Leistungssport und
Diabetes zusammen? Der Wissenschaftspodcast zum Weltdiabetestag am 14.
November.

Diabetes mellitus gilt als DIE Volkskrankheit. 8,5 Millionen Deutsche
leben mit der so genannten Zuckerkrankheit, Tendenz steigend. Der
Weltdiabetestag am 14. November möchte auf diese Entwicklung aufmerksam
machen, über die Krankheit aufklären und auf frühzeitige Prävention
hinweisen. Aus diesem Anlass befasst sich auch die neueste Folge des
Wissenschaftspodcasts der Deutschen Sporthochschule Köln mit Diabetes. Im
Vordergrund steht dabei, wie körperliche Aktivität und Sport helfen
können.

Prof. (FH) PD Dr. Christian Brinkmann leitet an der Sporthochschule die
Arbeitsgruppe Diabetes, Sport und Bewegung. Als Diabetes-Experte spricht
er im Podcast über die Erkrankung selbst, über Messmethoden und
Behandlungsformen. Er erklärt, welche Unterschiede es zwischen Diabetes
Typ 1 und Typ 2 gibt – insbesondere bezogen auf Sport und Bewegung.
Körperliche Aktivität nimmt beispielsweise in der Therapie von Diabetes
Typ 2, dem so genannten Alterszucker, eine wichtige Rolle ein. „Bewegung
hilft hier zum Beispiel, Glukosespitzen zu vermeiden“, erklärt Brinkmann.
Studien zeigen, dass Sport und die richtige Ernährung sogar dafür sorgen
können, dass Patient*innen mit Typ-2-Diabetes ohne Medikamente auskommen
können. Prof. Brinkmann schildert, welche Sportarten sich dazu eignen und
warum eine Mischung aus Kraft- und Ausdauertraining besonders förderlich
scheint.

Menschen mit Diabetes Typ 1 leben häufig seit ihrer Kindheit oder Jugend
mit der Diagnose. Tennisspieler Alexander Zverev ist ein prominentes
Beispiel. Brinkmann berichtet über seine Erfahrungen mit
Leistungssportler*innen: „Wenn Leistungssportler*innen die Diagnose
öffentlich machen, ist das auch insofern gut, weil sie als Vorbilder für
junge Menschen mit Diabetes dienen und zeigen können, dass mit Diabetes
Spitzenleistungen möglich sind.“ Zudem spricht der Sportwissenschaftler
über aktuelle Diabetes-Studien und Forschungsprojekte, an denen er
beteiligt ist. Zum Beispiel über ELSAH, ein EU-Projekt, das zum Ziel hat,
ein cleveres elektronisches Pflaster zu entwickeln, welches mit Hilfe von
Mikrosensoren Biomarker (z.B. Glukose) messen und per Funk an ein Endgerät
übermitteln kann. Und Prof. Brinkmann gibt einen Ausblick, inwiefern
künstliche Intelligenz bei der Behandlung von Diabetes oder in der
Sporttherapie unterstützen könnte. „Eine Runde mit …“ ist auf allen
gängigen Podcast-Plattformen und auf der Website der Deutschen
Sporthochschule Köln zu finden: https://www.dshs-koeln.de/einerundemit

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Parkinson-Krankheit durch Umwelttoxine?

Die Zunahme an neurodegenerativen Alterserkrankungen wie M. Parkinson
übersteigt die durch den demografischen Wandel erwarteten Zahlen. Nur eine
Minderheit der Fälle ist genetisch erklärbar. Die Erforschung der
Ätiologie und der Pathomechanismen erhärtet zunehmend den Verdacht, dass
„Lifestyle“ und Umweltfaktoren bzw. -toxine eine Rolle spielen,
beispielsweise in Kombination mit der genetischen Disposition. Es vergeht
kein Monat, in dem nicht neue Publikationen zu dem Thema erscheinen.

Die Parkinson-Krankheit gehört zu den chronischen neurodegenerativen
Erkrankungen, die bisher nicht heilbar oder kausal behandelbar sind. Seit
Jahren nehmen Inzidenz und Prävalenz der Erkrankung zu – eine Ursache
dafür ist der demografische Wandel, der generell zu einer Zunahme
altersassoziierter Erkrankungen führt. Jedoch ist die Zunahme von
Parkinson überproportional, also deutlich stärker als allein durch die
Überalterung der Gesellschaft erklärt werden kann [1]. So litten im Jahr
2016 weltweit 6,1 Millionen Menschen an der Parkinson-Krankheit, 2,4-mal
mehr als im Jahr 1990 (2,5 Millionen). Der Anstieg war in Ländern mit
hohem soziodemografischem Index (der SDI beinhaltet Pro-Kopf-Einkommen,
Bildung, Fertilität) am niedrigsten und in Ländern mit mittlerem SDI am
höchsten.

Seit Jahren nehmen Hinweise zu, dass bei der Entstehung der Parkinson-
Krankheit auch Umweltfaktoren, insbesondere Schadstoffe oder Umwelttoxine,
beteiligt sein können.

Dass Partikelschadstoffe aus der Luft und andere Umwelttoxine sich auf das
Nervensystem auswirken, ist unumstritten. Die Folgen bzw. neurologischen
Symptome bei akuten Vergiftungen zeigen sich oft direkt, wohingegen
langfristige Folgeschäden nur schwer auf eine bestimmte Ursache
zurückzuführen sind. Dennoch wurden in der Umwelt- und Arbeitsmedizin
bereits viele Kausalzusammenhänge zwischen jahrzehntelangen, z.B.
berufsbedingten, Schadstoffexpositionen und entsprechenden Spätfolgen
identifiziert und anerkannt. Bei den potenziellen Zusammenhängen von
Umweltfaktoren mit Alterserkrankungen ist dieser Weg aber vermutlich noch
weit. So beschäftigt sich inzwischen auch das Umweltbundesamt [2] mit der
Thematik und unterstützt die entsprechende Forschung.

Seit längerer Zeit wird beispielsweise die Rolle des industriellen
Lösungsmittels Trichlorethylen (TCE) bei der Entstehung des M. Parkinson
diskutiert. Vor wenigen Monaten erschien eine Publikation [3], die dafür
den bisher überzeugendsten Beweis erbracht hat [4]. Bisher umfasste die
Literatur weniger als 20 Menschen, die nach TCE-Exposition an Parkinson
erkrankten. Diese neue Kohortenstudie untersuchte über 340.000 US-
Veteranen, die 1975−1985 für mindestens drei Monate in Camp Lejeune, North
Carolina, stationiert waren. Dort war es damals zu einer Verunreinigung
des Trinkwassers mit organischen Lösungsmitteln gekommen: Es wurde mehr
als das 70-Fache der zulässigen Menge TCE nachgewiesen. Die heutigen
Veteranen waren damals ungefähr 20 Jahre alt und lebten dort ca. zwei
Jahre. Die Auswertung der Krankenunterlagen der nun ungefähr 60 Jahre
alten Soldaten zeigte, dass das Parkinson-Risiko um 70 % höher war
(Prävalenz 0,33 %; OR 1,70; p<0,001) als in einer Vergleichsgruppe eines
anderen Camps ohne Trinkwasserkontamination (Prävalenz 0,21 %). Bei den
Camp-Lejeune-Veteranen fanden sich außerdem häufiger Symptome, von denen
bekannt ist, dass sie dem Ausbruch der Bewegungsstörung vorausgehen.

Weitere Substanzen, für die ein konkreter Verdacht besteht, wurden in
letzter Zeit publiziert. Aktuelle Arbeiten [5, 6] geben einen Überblick
zur möglichen Rolle von Organophosphor-Verbindungen (Pestiziden) bei der
Entstehung neurodegenerativer und neurologischer Entwicklungsstörungen. Es
werden Zusammenhänge mit der Parkinson-Krankheit beschrieben, aber auch
mit der Alzheimer-Krankheit, der Aufmerksamkeitsdefizit-
Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Autismus und anderen entwicklungsbedingten
Neurotoxizitäten, wie z. B. geistiger Behinderung. „Die mögliche Bedeutung
von Pestiziden für die Zunahme von neurodegenerativen Erkrankungen wie
Parkinson wird bei der derzeitigen europaweiten Diskussion bezüglich der
Reduktion der Pestizidbelastung und des Glyphosat-Verbots zu wenig
berücksichtigt“, kritisiert Prof. Dr. med Daniela Berg, Kiel, Präsidentin
des diesjährigen DGN-Kongresses. Tatsächlich werden sowohl bezüglich
Glyphosat wie auch bei der am 24.10.2023 im Umweltausschuss der EU
diskutierten „Sustainable Use Regulation“ (SUR) von Pestiziden primär der
Artenschutz und die möglichen Auswirkungen auf Krebserkrankungen genannt.
Dabei sind die neurotoxischen Wirkungen von Pestiziden schon lange
bekannt. Die Tatsache, dass Substanzen wie MPTP und Rotenon, die als
Pestizid verwendet wurden bzw. noch werden, auch genutzt werden, um
Tiermodelle für die Erforschung der Parkinsonerkrankung zu generieren,
sollte ebenso in die aktuellen Diskussionen einfließen, wie die Tatsache,
dass die Parkinson-Erkrankung in Frankreich bei Personen, die in der
Landwirtschaft gegenüber Pestiziden exponiert waren (z.B. in
Weinanbaugebieten), als Berufskrankheit anerkannt wird.

Für viele Pestizide ist ein direkt toxischer Effekt auf das Nervensystem
nachgewiesen. So auch für Glyphosat, welches zu Veränderungen der
Neurotransmitter- (Überträgerstoff-) Konzentrationen im Nervensystem und
zu einem zellschädlichen Milieu beiträgt. Parkinsonerkrankungen wurden
sowohl nach akuter [7] wie auch nach chronischer [8] Glyphosat-Exposition
beobachtet. Neben dem direkt toxischen Effekt müssen auch mögliche
indirekte Effekte, beispielsweise über eine Veränderung des Mikrobioms,
bedacht werden. Außerdem beeinflussen genetische Variationen (sogenannte
Polymorphismen) die individuelle Anfälligkeit für eine Neurotoxizität. „Es
besteht gerade angesichts der rapiden steigenden Zahl der Parkinson-
Erkrankungen ein dringender Bedarf, den möglichen Beitrag von Pestiziden
weiter zu erforschen und in die aktuellen Diskussionen mit einzubeziehen“,
so Prof. Daniela Berg.

Im Gegensatz zum früher häufiger gesehenen Manganismus, der akuten
Toxizität von Mangan (Mn), ist die chronisch-kumulative Toxizität einer
lebenslangen niedrig dosierten Mn-Exposition noch nicht ausreichend
erforscht. Eine neue Arbeit fasst das bisherige Wissen zu den
langfristigen Auswirkungen von Mn aus epidemiologischen und
experimentellen Studien zusammen [9]. Es zeigt sich, dass sich bei
chronischer niederschwelliger Exposition (gegenüber der akuten) die Mn-
Ablagerung auch auf Hirnregionen ausdehnt wie die Substantia nigra. Die
typischen motorischen Parkinson-Symptome sind durch Degeneration der
dopaminergen Neuronen in der Substantia nigra bedingt. Es ergibt sich die
dringende Vermutung, dass eine Kombination aus Expositionsdauer,
-intensität und genetischer Anfälligkeit die Mn-induzierte Neurotoxizität
(mitochondriale Dysfunktion, Neuroinflammation, oxidativer Stress und
gestörte Proteinhomöostase) beeinflusst. Die Daten deuten nach Ansicht des
Autorenteams darauf hin, dass Mn in Zukunft ein großes Gesundheitsrisiko
darstellt und kumulativ höchstwahrscheinlich zum Parkinson-Ausbruch und
-Fortschreiten beiträgt. Mit Blick auf die zunehmende Verbreitung von Mn
in der Umwelt (z. B. an Arbeitsplätzen), sei es unbedingt erforderlich,
diesen modifizierbaren Faktor weiter zu erforschen, zu definieren und
entsprechende Sicherheitsvorkehrungen zu treffen.

Studien zeigten bereits, dass sowohl die langfristige als auch die
kurzfristige Exposition gegenüber Luftschadstoffen mit einem erhöhten
Parkinson-Risiko verbunden sein kann, während es keine Aussagen zur
Auswirkung einer mittelfristigen Exposition gab. Eine retrospektive
Beobachtungsstudie aus China [10] zeigt nun einen statistisch
signifikanten Zusammenhang zwischen mittelfristiger Schwefeldioxid
(SO2)-Exposition und M. Parkinson bei fast 40.000 Fällen (über 2.191 Tage,
2014-2019). So entsprach der Anstieg pro 1 μg/m3 SO2 einem Anstieg
monatlicher ambulanter Arztbesuche wegen Parkinson von 2,34 %. Die
Ergebnisse unterstreichen nach Ansicht des Autorenteams, wie wichtig es
ist, neben der bisherigen Fokussierung auf die lang- oder kurzfristigen
Auswirkungen, auch der Rolle mittelfristiger SO2-Belastung der Luft bei
der Entwicklung der Parkinson-Krankheit mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Notwendig seien mehr Forschung und politische Maßnahmen im Bereich der
öffentlichen Gesundheit.

Die Liste der Substanzen, die darüber hinaus im Fokus stehen, ist lang:
Darunter sind neben Feinstaub, Pestiziden, Lösemitteln, neurotoxischen
Metallen (wie Mangan, Blei, Quecksilber, Cadmium) auch Mikroplastik und
Nanopartikel, Mineralöle, chemische Weichmacher, Bisphenol A (BPA), da sie
mit typischen biochemischen Parkinson-Merkmalen (wie mitochondrialer
Dysfunktion, Störungen der Metallhomöostase und Aggregation von Proteinen)
in Verbindung gebracht werden.

„All diese Studien geben nicht übersehbare Hinweise, dass Umwelttoxine die
Parkinson-Inzidenz zusätzlich erhöhen können, was eine Erklärung für den
überproportionalen Anstieg sein kann“, so Prof. Berg, Kiel. „Zweifellos
ist künftig die Politik, aber auch jeder Einzelne gefordert, damit
entsprechende Expositionen minimiert werden. Ferner sollte dringend in
Forschung investiert werden, die die Zusammenhänge von Umwelttoxinen und
neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson aufdeckt und die
krankheitsbedingenden Mechanismen aufklärt.“

[1] Dorsey ER, Elbaz A, Nichols E et al. Global, regional, and national
burden of Parkinson's disease, 1990-2016: a systematic analysis for the
Global Burden of Disease Study 2016. Lancet Neurol 2018; 17 (11): 939-953
[2] https://www.umweltbundesamt.de/umweltschadstoffe-alterskrankheiten
[3] Goldman SM, Weaver FM, Stroupe KT et al. Risk of Parkinson Disease
Among Service Members at Marine Corps Base Camp Lejeune. JAMA Neurol 2023
May 15; e231168 doi: 10.1001/jamaneurol.2023.1168. Online ahead of print.
PMID: 37184848 PMCID: PMC10186205 DOI: 10.1001/jamaneurol.2023.1168
[4] Wadman M. Solvent exposure strongly linked to Parkinson's. Science.
2023 May 19;380(6646):683. doi: 10.1126/science.adi7660. Epub 2023 May 18.
PMID: 37200442.
[5] Mostafalou S, Abdollahi M. The susceptibility of humans to
neurodegenerative and neurodevelopmental toxicities caused by
organophosphorus pesticides. Arch Toxicol. 2023 Oct 3. doi:
10.1007/s00204-023-03604-2. Epub ahead of print. PMID: 37787774.
[6] Paul KC, Krolewski RC, Lucumi Moreno E et al. A pesticide and iPSC
dopaminergic neuron screen identifies and classifies Parkinson-relevant
pesticides. Nat Commun. 2023 May 16;14(1):2803. doi:
10.1038/s41467-023-38215-z. Erratum in: Nat Commun. 2023 Jun
23;14(1):3747. PMID: 37193692; PMCID: PMC10188516.
[7] Barbosa ER, Leiros da Costa MD, Bacheschi LA et al. Parkinsonism after
glycine-derivate exposure. Mov Disord. 2001 May;16(3):565-8. doi:
10.1002/mds.1105. PMID: 11391760.
[8] Wang G, Fan XN, Tan YY, Cheng Q, Chen SD. Parkinsonism after chronic
occupational exposure to glyphosate. Parkinsonism Relat Disord. 2011
Jul;17(6):486-7. doi: 10.1016/j.parkreldis.2011.02.003. Epub 2011 Mar 2.
PMID: 21367645.
[9] Lucchini R, Tieu K. Manganese-Induced Parkinsonism: Evidence from
Epidemiological and Experimental Studies. Biomolecules. 2023 Jul
30;13(8):1190. doi: 10.3390/biom13081190. PMID: 37627255; PMCID:
PMC10452806.
[10] Hu Y, Zhou C, Tan C, Liu J, Huang X, Liu X, Yao C, Li D, Huang Q, Li
N, Long J, Li X, Li Y, Zhou L, Cai T. The association between
intermediate-term sulfur dioxide exposure and outpatient visits for
Parkinson's disease: a time-series study in southwestern China. Environ
Sci Pollut Res Int. 2023 Sep;30(44):99694-99703. doi:
10.1007/s11356-023-29408-6. Epub 2023 Aug 24. PMID: 37615914.

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