Ballett Wolfgang Amadeus Szenenfoto von Rupert Larl
Produktion und Besetzung: Tanzstück von Marie Stockhausen . Libretto von Marie Stockhausen und Katajun Peer-Diamond . Musik von Wolfgang Amadé Mozart u. a.
Choreografie & Regie
Marie Stockhausen
Bühne & Kostüme
Andrea Kuprian
Dramaturgie
Romana Lautner
Mozart
Marco Marangio, Carlos Campo Vecino
Constanze
Lara Brandi, Camilla Danesi
Papa
Gabriel Marseglia, Martin Seget´a
Mama
Alice White, Brígida Pereira Neves
Schwester
Paula Tarragüel, Deia Cabalé
Salieri
Martin Seget´a, Nicola Strada
Cousine
Oumy Cissé, Pilar Fernández
Aristokraten
Lara Brandi, Deia Cabalé, Oumy Cissé, Camilla Danesi, Pilar Fernández, Sayumi Nishii, Brígida Pereira Neves, Paula Tarragüel, Alice White, Mikael Champs, Mingfu Guo, Mitsuru Ito, Gabriel Marseglia, Federico Moiana, Martin Seget´a, Nicola Strada, Carlos Campo Vecino
Die Musik
Lara Brandi, Deia Cabalé, Oumy Cissé, Camilla Danesi, Pilar Fernández, Sayumi Nishii, Brígida Pereira Neves, Paula Tarragüel, Alice White, Mikael Champs, Mingfu Guo, Mitsuru Ito, Federico Moiana, Martin Seget´a, Nicola Strada, Carlos Campo Vecino
Rezension:
Ballett Wolfgang Amadeus Szenenfoto von Rupert Larl
Marie Stockhausen, Choreografin am Tiroler Landestheater Innsbruck, das Tanzensemble und nicht zuletzt Wolfgang Amadeus Mozart bescherten dem Premierenpublikum am 22. Dezember ein magisches Weihnachtsgeschenk mit der Uraufführung des Tanzstückes «Wolfgang Amadeus». Die Bühne scheint auf den ersten Blick relativ schlicht (Andrea Kuprian), entpuppt sich aber als sehr effektvoll unter den verschiedenen Lichteinstellungen (Michael Reinisch). An der Hinterwand drei Türen, mit Türrahmen, welche beleuchtet werden können, mal offen mit Spiegeleffekten, mal geschlossen, darüber ein paar Wandlüster in wilder Anordnung. Rechts und links leicht-luftige, bodenlange Vorhänge, das Ganze mal in feinem Hellblau, gleissendem Gold-Gelb, düsterem Grau, je nach Stimmung der jeweiligen Szene. Dazu märchenhafte Kostüme (ebenfalls Andrea Kuprian): Wolfgang Amadeus in weinroten Unterkleidern mit herrlich blumigen Gehröcken, die sich bei seinen übermütigen Sprüngen wie Flügel öffnen, Konstanze mit einem schwarzen, weiten Rock aus Spitzen und durchsichtigem Tüll, verspielt und gleichzeitig elegant. Unglaublich übrigens, wie leichtfüssig Lara Brandi mit diesem doch recht voluminösen Kleid umgeht!
Flausen im Kopf
Ballett Wolfgang Amadeus Szenenfoto von Rupert Larl
Die Choreografin Marie Stockhausen ist überzeugt, dass Mozart vom Himmel gefallen ist, um uns seine Musik zu bringen. So lässt sie ihn dann auch kopfüber auf die Bühne gleiten, dirigierend, mit einem breiten Lachen im Gesicht. Während den folgenden 23 Bildern werden Episoden aus seinem Leben aufgegriffen, begleitet von unterschiedlichsten Musikstücken. Mal geht’s um Mozart als jungen, verrückten, überdrehten Jungen, mal um seine Liebschaft mit Konstanze, um die Liebe und Verehrung seines Vaters Leopold, auch um Salieris Neid. Später um den Verlust der Kinder und schlussendlich um seinen viel zu frühen Tod.
Leben und Sterben Mozarts
Ballett Wolfgang Amadeus Szenenfoto von Rupert Larl
Marco Marangio gibt einen sehr intensiven Mozart. Im ersten Teil ist er der ausgelassene Junge, ein Wirbelwind mit Flausen im Kopf. Herrlich, wenn er später die Ouvertüre aus «Le Nozze di Figaro» aus dem Orchestergraben dirigiert und seine «Musiker» animiert. Der enthusiastische Szenenapplaus glich wohl jenem, den der «richtige» Mozart sich damals in Prag erspielt hatte! Berührend und intensiv der Pas de deux zwischen ihm und Constanze gegen Ende seines Lebens, er jetzt beinahe nackt, verletzlich, verzweifelt, nicht wieder zu erkennen. Auch die Tänzer des Ensembles, vorher in breiten cremefarbenen Röcken, tragen am Ende nur noch deren Gerippe.
Lara Brandi überzeugt als zarte, verspielte Constanze, die im Lauf des Geschehens erwachsen wird, Gabriel Marseglia ist ein schöner, stolzer, gradliniger Vater Leopold. Das sehr agile, homogene Tänzerensemble sorgt immer wieder für faszinierende Bilder, wobei den Tänzerinnen und Tänzern auch mimisch einiges abverlangt wird in diesem Stück.
Ballett Wolfgang Amadeus Szenenfoto von Rupert Larl
Stockhausen fasst Mozarts Leben und Schaffen sehr gut zusammen, poetische Szenen folgen auf amüsante, tiefe Traurigkeit und Verzweiflung auf Ausgelassenheit, dazu Mozarts Musik, auch mal live gesungen von den Tänzerinnen und Tänzern («Leck mich im Arsch»). Die vielgespielte Klaviersonate «Alla Turca» wird Step-tanzend interpretiert, Hüfte werden geschwungen zur Arie «Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen» aus der Zauberflöte und auch Papageno und Papagena fehlen nicht. Am Ende trifft Mozarts Musik auf Zulu-Gesang, während Mozart selber wieder kopfüber in den Himmel entschwindet.
Das Premierpublikum feierte seine Tänzerinnen und Tänzer und die ganze Crew ausgelassen und mit einer Standing Ovation, Mozart hätte das ganz bestimmt sehr gut gefallen.
Weitere Aufführungen noch bis Ende März 2020, praktisch alle jedoch bereits ausverkauft
Nachdem ich fünf Tage zuvor mit Bejamin Brittens „A midsummer nights dream“ meine Feuertaufe an einem der weltberühmtesten Opernhäuser der Welt erlebt hatte, begab ich mich deutlich entspannter zum Haus am Ring, obwohl „meine“ Strassenbahn, aufgrund der „Fridays for future“ Demos nicht fahren konnte und ich mir kurzfristig einen andern Anfahrtsweg suchen musste, was sich dann aber als nicht allzu kompliziert erwies, führte doch auch eine U Bahnlinie von meinem Ausgangspunkt Schwedenplatz zum Karlsplatz.
Auch die alte Wiener Dame am Ring ist technisch à jour
Mihoko Fujimura als die Amme, Nina Stemme als Baraks Weib
Ich war trotzdem genug früh vor Ort, sodass auch noch für einen Imbiss im Opern Café genügend Zeit verblieb bis zum Beginn von Richard Strauss` schattenloser Frau, die in ersten Kritiken gefeiert und von einer mir bekannten Wiener Kulturjournalistin hochgelobt wurde. Auch dieses traditionsreiche Haus verschliesst sich neuesten Techniken nicht und so konnte man sich mittels eines kleinen Bildschirms an seinem Platz über die Staatsoper per se und die Aufführung im Detail informieren und während der Aufführung auch die Texte der Arien und Dialoge genauer ansehen.
Relativ zurückhaltende Regie und eher unspektakuläres Bühnenbild
Andreas Schager als der Kaiser
Vor einer Art Voliere, hinter deren Behang die Kaiserin verborgen ist, trifft sich die Amme mit dem Geisterboten (resolut gesungen von Clemens Unterreiner). Im Hintergrund ist ein mächtiges, dunkles Gemäuer zu sehen, das sich später als eine Wand aus grauen Styroporfelsen entpuppt. Kombiniert mit den wallenden Umhängen, die alle Protagonistinnen und Choristinnen tragen (Kostüme: Clémence Pernoud), erweckt das Bühnenbild von Aurélie Maestre den Eindruck, als wohne man der Aufführung einer Antikentragödie um 1960 bei. Die statischen Arrangements von Vincent Huguet, der weder Chöre bewegt noch die Darsteller die große Bühne mit Leben füllen lässt, verstärken dies noch. Und seine Idee zum Stück erschöpft sich darin, zu zeigen, dass die Kaiserin wohl etwas mehr als bloß Mitleid mit dem von der Färberin attackierten Barak empfindet, so sind Huguets konzeptlose Arrangements einfach zu wenig für eine wirklich festliche Aufführung. Das Gute daran: das Regiekonzept von Vincent Huguet überlässt der Musik ungehindert das Feld, interpretiert nicht und behält die schauermärchenhafte Welt dieser vierten Zusammenarbeit von Strauss und Hofmannsthal bei. Christian Thielemann verwendet die Schalk’sche Originalpartitur, verzichtet auf Striche und führt das großartige Staatsopernorchester und das formidable Sängerensemble meisterhaft hin zu grandiosen Spitzenleistungen, auch wenn er es, für meinen Geschmack, einmal mehr, mit der Lautstärke etwas übertrieb.
Besetzung und das Staatsopernorchester brillieren
Clemens Unterreiner als Geisterbote
Camilla Nylund ist eine wahrlich anmutige Kaiserin, die durch Verzicht schließlich alle erlöst. Sie meistert die Herausforderungen ihrer Rolle mit bravouröser Ausdauer, silbrig blühender Stimmkraft und phänomenaler Aura. Nina Stemme als Färberin ist eine Klasse für sich: ausdrucksstark, wortdeutlich und ungeheuer präsent. Die Szenen zwischen ihr und ihrem Mann Barak (erstmals Tomasz Konieczny mit seinem außergewöhnlichen, metallischen Timbre) gehen zu Herzen.
Mihoko Fujimura als Amme agiert mit stolzer Entschlossenheit, setzt mehr auf milde Kühle denn auf aufwieglerische Glut aber als Figur bleibt sie etwas eindimensional und verbreitet kaum dämonische Aura. Auf Andreas Schager als stattlichem Kaiser ist Verlass. Musikdramatik pur!
Unterschiedliche Diven im Jubiläumsjahr
Marcus Pelz als der Einarmige, Rafael Fingerlos als der Einäugige, Tomasz Konieczny als Barak, Michael Laurenz als der Einarmige
Der Wiener Staatsoper erging es im Mai ähnlich wie dem US-amerikanischen Gesamtkunstwerk „Cher“: Teile von ihr feiern Geburtstag. Im Falle der Wiener Institution ist es heuer der hundertfünfzigste. Doch wichtiger als der makellos renovierte Gebäudekörper des Hauses am Ring sind seine inneren Werte. „O Welt in der Welt!“ ruft die Färberin in der Frau ohne Schatten aus, als ihr die Amme für kurze Zeit ein luxuriöses Eigenheim vorgaukelt. (Zitat Stefan Ender) Ein halbes Hundert an verschiedenen Bühnenwelten zaubert man dem Publikum an der Wiener Staatsoper in jeder Spielzeit in den Abendstunden vor. Bezüglich der Jubiläums-Premiere – entschied man sich daher logischerweise für eine Märchenoper mit der Frau ohne Schatten von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal. Diese Oper feiert wiederum selbst einen runden Geburtstag: Im Oktober 1919 wurde sie zu Beginn von Strauss‘ Direktionszeit an der Wiener Staatsoper uraufgeführt.
Besetzung: das Nonplusultra
Christian Thielemann Foto Matthias Creutziger
Wen bittet denn der aktuelle Hausherr Dominique Meyer für eine so prestige- und geschichtsträchtige Unternehmung ans Dirigentenpult? Natur- bzw. kunstgemäß Christian Thielemann, den Mann für alle deutsch-romantischen Fälle. Und der gebürtige Berliner brachte zwei Frauen mit, die für diese Oper nah dran sind am besetzungstechnischen Nonplusultra: Nina Stemme und Camilla Nylund.
Xanthippenhaft
Tomasz Konieczny als Barak, Camilla Nylund als die Kaiserin
Nina Stemmes Sopran ist dichter, markanter als der von Mihoko Fujimura (liegt deren Stärke doch eher im Mezzobereich) und im Fortissimo von stählerner Tragfähigkeit. Stemme schafft mit der Färberin, Strauss‘ Hommage an seine Gattin Pauline, die berührendste und auch die menschlichste Figur des Triummulierats. Überraschenderweise bleibt nicht die im Libretto dominierende xanthippenhafte Seite ihres Wesens haften, sondern ihre Verzweiflung und ihr Leid. Eine Idealbesetzung für die Kaiserin ist Camilla Nylund. Ihre hohen Töne sind glasklar und fadengrad. Wundervoll nicht nur die Souveränität, mit der die Finnin ihre Partie durchmisst, auch die Schlichtheit bei der Prüfungsszene berührt.
Dreifaltigkeit
Tomasz Konieczny als Barak, Nina Stemme als sein Weib
Die Männer fallen gegenüber dieser Dreifaltigkeit weiblichen Idealgesangs leicht ab: Andreas Schager singt als Kaiser viele durchsetzungsstarke, wohlklingende Töne, gestaltet aber manche Phrasenenden wie nebenbei. Wenn er höher und lauter singt, wirkt es, als hätte ihn jemand dazu zu fest getreten. Für Wolfgang Kochs Färber wünscht man sich Selbiges: Sein Barak fällt, auf hohem Niveau, etwas ab, erinnert körpersprachlich eher an einen Weinconnaisseur, als an einen gutherzigen Arbeitsesel. Exzellent die mittleren und kleinen Partien, herausragend der Staatsopernchor, sowohl die engelsgleichen Frauen als auch die heldenstarken Männer.
DetailfuchsThielemann
Camilla Nylund als die Kaiserin
Zu einer der berührendsten Szenen, musikalisch wie auch szenisch, wird die Annäherung, die Regisseur Vincent Huguet dem Färberpaar im 1. Akt gönnt. Der scheue Kuss, die kurze Innigkeit, und dazu die zärtlichen Klänge des Orchesters: wundervoll. In Summe agiert Thielemann aber zu detailfuchsig und kontrollfixiert, als dass man als Hörer vollkommen berauscht aus der Vorstellung hätte herausstolpern können. Und das will bei dieser Besetzung etwas heißen.
Vincent Huguet ist, trotz allen Schwächen, insgesamt eine stimmungsvolle, eingeschränkt abwechslungsreiche Einrichtung der Märchenoper gelungen. Selbst Laien verstehen die Handlung, und es gibt kein Einheitsbühnenbild: Das ist doch schon mal was. Dass der Franzose im 2. Akt mit den dazu gedichteten toten Soldaten mutmaßlich an die Entstehungszeit der Oper erinnern und einen Schuss Realismus in Hofmannsthals Märchenspiel bringen wollte, wirkt fremdkörperartig und zu gesucht. Die Bühne von Aurélie Maestre zeigt meist einen vielseitig bespielten Steinbruch, die Kostüme von Clémence Pernoud sind in einem einigermaßen geschmackvollen indifferent zeitlos angesiedelt.
Beifall und vereinzelte Bravorufe
Mihoko Fujimura als die Amme
Nach viereinhalb Stunden hat das Märchen ein Ende. Die Kaiserin hat gelernt, dass Menschsein bedeutet, sich zu plagen und zu stinken: Aber sie will trotzdem dazugehören. Die beiden aufsässigen Frauen haben sich in die patriarchale Ordnung gefügt: Die Färberin wird von der Keifzange zur devoten Dienerin ihres Gatten, die Kaiserin hat die Prüfungen ihres Vaters, des Geisterkönigs Keikobad, tipptopp absolviert. Zur Belohnung dürfen die beiden endlich zueinander finden.
Musikalisch im Rang des Außergewöhnlichen, szenisch einfach gestrickt, austauschbar: Auf diesen Nenner lässt sich die „Frau ohne Schatten von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal bringen. Ein Ereignis: Dirigent Christian Thielemann und das philharmonisch aufspielende, sensationelle Orchester der Wiener Staatsoper. Wie Klangmagier Thielemann bei diesem komplexen Werk alle Register seine Könnens zieht, welch herrliche Klangfarben, welch fantastische Nuancen, welch dramatische Ausbrüche hier hörbar werden, sucht seinesgleichen. Ein verdienter beifallssturm für Dirigent und Orchester war die logische Folge.
Tomasz Konieczny als Barak
Ebenso verdient, wie die Jubelstürme für die meisten Sänger. So ist Camilla Nylund eine Kaiserin von Weltformat, sie singt diese Partie mit traumhafter Sicherheit, höchster Intensität und atemberaubender vokaler Klarheit. Wie auch Nina Stemme eine Färberin der Extraklasse ist. Die Sopranistin bewältigt diese unfassbar anspruchsvolle Partie mit einer selten gehörten, packenden Souveränität. Als Amme hat es Mihoko Fujimura da stimmlich schon etwas schwerer, sie meistert die Rolle aber mehr als achtbar. Tenor Andreas Schager gibt einen fabelhaften Kaiser mit fast allen geforderten Höhen, Tomasz Konieczny glänzt als überaus lyrischer Barak, Clemens Unterreiner ist ein sehr markanter Geisterbote.
Zwar zündet das orchestrale Giftgemisch nicht von Anbeginn, doch Thielemann, der alte Alchemist und Hexenmeister, weiß ganz genau, welche Hebel und Kräuter er in Bewegung setzen muss. Wenn der deutsche Klangzauberer, der in Salzburg, und, nach seinem Disput mit Andris Nelsons im Sommer 2016, teilweise auch in Bayreuth in Ungnade gefallen ist, sich aus seinem Arsenal an schier unermesslicher Energie und Geheimrezepturen bedient, verwandeln sich die Wiener Philharmoniker in einen Organismus, der gemeinsam atmet und das Prädikat weltbestes Opernorchester einmal mehr verdient.
Kleine Fotodiashow der Produktion von Michael Pöhn, Wiener Staatsoper GmbH:
Les Indes galantes Szenen Foto von Magali Dougados
Produktion und Besetzung: Direction musicale Leonardo García Alarcón Assistant direction musicale Fabian Schofrin Assistant direction musicale Rodrigo Calveyra Mise en scène Lydia Steier Assistant mise en scène Maurice Lenhard Assistant mise en scène Luc Birraux Chorégraphie Demis Volpi Scénographie Heike Scheele Costumes Katharina Schlipf Assistante décoratrice Annika Tritschler Lumières Olaf Freese Dramaturgie Krystian Lada Direction des chœurs Alan Woodbridge
Hébé / Émilie / Zima Kristina Mkhitaryan Amour / Zaïre Roberta Mameli Phani Claire de Sévigné Fatime Amina Edris Bellone / Osman / Adario Renato Dolcini Ali Gianluca Buratto Don Carlos / Damon Anicio Zorzi Giustiniani Huascar / Don Alvaro François Lis Valère / Tacmas Cyril Auvity
Cappella Mediterranea Ballet du Grand Théâtre de Genève Chœur du Grand Théâtre de Genève
Rezension:
Les Indes galantes Szenen Foto von Magali Dougados
«Les Indes Galantes» ist eine Ballett-Oper von J.P. Rameau, bestehend aus einem Prolog und vier Szenen, welche inhaltlich nichts miteinander zu tun haben. Mal geht’s um einen grossmütigen Türken, mal um die Inkas in Peru, dann um Persien und schlussendlich um die Indianer Nordamerikas, also um «entfernte Länder und deren wilde Bewohner». Nicht einfach, dies in der heutigen Zeit umzusetzen.
Die zentrale Idee der Inszenierung von Lydia Steier, der amerikanischen Regisseurin, beruht auf der langsamen, progressiven Destruktion eines Theaters während der Aufführung. Am Ende übernimmt die Natur, Pflanzen spriessen aus dem Boden und ranken sich den Säulen hoch zu den völlig verlotterten Logen.
Gewalt gegen Liebestaumel
Les Indes galantes Szenen Foto von Magali Dougados
Da ist viel los auf der Bühne des Grand Théâtre – ein Theater im Theater, eine Bühne mit bereits recht heruntergekommenen Logen, fünf riesige Lüster, da und dort ein paar Requisiten, links ein roter Theater-Vorhang. Lazarett-Betten mit Militär-Wolldecken stehen herum. Drauf tummeln sich Paare, zu zweit, zu dritt, unter den Klängen der Arie «Vous qui d’Hébé suivez les lois» (Kristina Mkhitaryan als Hébé und auch als Emilie und Zima). Das ist erst Mal ein harmonisches Bild mit den Tänzerinnen und Tänzern in blassrosa Kostümen, unter die sich auch Sängerinnen und Sänger gemischt haben, auch wenn’s recht zur Sache geht über, auf und neben den Betten. Folgt Auftritt Bellone (Renato Dolcini, auch als Osman und Adario) der diesem Liebesgetümmel ein Ende macht. Eine Heerschar schwarzer, lärmender Soldaten verbreitet Furcht und Schrecken, fuchtelt mit Pistolen und Gewehren, rohe Gewalt gegen Liebestaumel. Die Soldaten reissen den roten Bühnenvorhang herunter, dahinter erscheinen Requisiten, welche nun nach und nach eingesetzt werden: Ein Federwedel, eine Windmaschine, aber vor allem eine Kiste mit der Aufschrift „Die Entführung aus dem Serail“. Aus dieser holt Bellone einen Turban und ein groteskes Kostüm mit riesigen Brüsten und einem Schwabbelbauch. Ende des Prologs, Anfang der ersten Szene: Aus Bellone wird der Türke Osman, aus Hébé wird Emilie. Die Soldaten haben sich zurückgezogen und über die Logen verteilt. Von dort verfolgen sie das Geschehen interessiert, lärmend und applaudierend.
Konsternation im Publikum
Les Indes galantes Szenen Foto von Magali Dougados
Kostümwechsel und langsame Demontage des Theaters markieren so die Szenen-Übergänge. Nicht alles ist für alle schlüssig, das spürt und hört man mit dem Pausenapplaus: Viele Buh-Rufe, etliche Pfiffe, verhaltenes Klatschen, etliche Besucher sind nicht wirklich «amused». «Wenn Rameau das sehen könnte» sagt eine ältere Dame leicht abfällig zu ihrer Begleiterin. Viele Sitze bleiben leer nach der Pause an diesem Sonntag-Nachmittag.
Nach der Pause dann der riesige Vorhang mit dem Bild eines Teils der Freske aus dem Foyer des Grand Théâtre. Die wunderbare Musik Rameaus, das Tänzerpaar, das diese leichtfüssig und elegant interpretiert, bereitet einen nicht wirklich vor auf die folgende Szene: Dunkle Nacht, ein paar Feuer brennen, Gestalten sitzen drum herum, eingehüllt in Decken, Kriegsverletzte treffen ein.
Versöhnendes Ende
Les Indes galantes Szenen Foto von Magali Dougados
Das Theater im Theater zerfällt weiter, von Szene zu Szene. Gewalt, Krieg, Liebe, Terror bleiben Hauptthemen des Geschehens. Es herrscht oft ein Gewusel auf der Bühne, das kann wunderschön sein, wenn z.B. Phani ganz in Weiss ihre Arie «Viens, Hymen» singt, getragen von Tänzern und Sängern in weissen Kostümen. Es wird aber fast unerträglich, wenn einer der Kriegsverletzten einen Todeskampf austrägt, so realistisch, dass man einen Moment nichts anderes mehr wahrnehmen kann. Das Ganze hat etwas Grandioses, gleichzeitig aber auch etwas Dekadentes. Irgendwie versöhnlich, fast erlösend die letzte Szene, wenn Chor und Solisten unter leisem Schneegestöber und gedimmtem Licht das «Forêts paisibles» anstimmen. Der Applaus fiel schlussendlich wärmer aus, als dass man es in der Pause hätte vermuten können.
Les Indes galantes Szenen Foto von Magali Dougados
Die Stimmen der Solisten lassen keine Wünsche offen, der Chor des Grand Théâtre ist grossartig, wie üblich, die Tänzerinnen und Tänzer fügen sich wunderbar ein in die verschiedenen Szenen. Allein das Ensemble «Cappella Mediterranea», leicht erhöht im Orchestergraben, unter der Leitung des Argentiniers Leonardo García Alarcón wäre eine Reise nach Genf wert. Man verlässt das Grand Theater aber mit gemischten Gefühlen, irgendwo zwischen Irritation und Staunen und mit, trotz allen des leisen Gefühls, vielleicht doch etwas Ausserordentliches erlebt zu haben.
Kleine Fotodiashow der Produktion von Magali Dougados:
alome zwischen Herodes links und Herodias rechts Foto Ingo Hoehn
Produktionsteam Musikalische Leitung: Clemens Heil Inszenierung und Bühne: Herbert Fritsch Mitarbeit Bühne: Marco Brehme Kostüme: Victoria Behr Licht: David Hedinger-Wohnlich Choreinstudierung: Mark Daver Dramaturgie: Rebekka Meyer Besetzung Heather Engebretson (Salome) Hubert Wild (Herodes)Solenn Lavanant Linke (Herodias)Jason Cox (Jochanaan)OpernensembleHerrenchor des LTLuzerner Sinfonieorchester
Rezension:
Heather Engebretson spielte die Salome
Pech ist, wenn deine Hauptdarstellerin sich ein paar Tage vor der Premiere einen so starken viralen Infekt einfängt, dass sie nicht singen kann, Glück, dass sie zum Agieren noch in der Lage ist. Also hast Du die Schauspielerin auf der Bühne, jetzt brauchst Du noch eine gute Stimme, die die Rolle auch perfekt intus hat. Doppeltes Glück, wenn Du dann tatsächlich jemand findest, wie dies bei der Luzerner „Salome Premiere“ der Fall war. Sera Gösch hat die Rolle im Februar und März dieses Jahres im Staatstheater Wiesbaden erfolgreich verkörpert.
Salome nicht als „Femme fatale“
Sera Gösch sang die Salome
Salome: Jung und schön, wird sie von Hauptmann Narraboth ebenso vergöttert wie von ihrem Stiefvater Herodes, der bereit ist, ihr für nur einen einzigen Tanz jeden Wunsch zu erfüllen. Salome selbst allerdings begehrt nur eines: den Kopf des Propheten Jochanaan. Seinen Mund zu küssen, ist alles, was sie will. Egal, ob der Kopf dann noch am Körper klebt oder nicht.
Immer im Mittelpunkt der Kopf des Jochanaan
Regisseur Herbert Fritsch, verantwortet auch das Bühnenbild, überstülpt Salome aber nicht den Mantel der frühreifen, aggressiven, hormongesteuerten Männerverführerin, sondern inszeniert sie als, ungezogene, verwöhnte Göre, die aufmüpfig, trotzköpfig gewohnt ist, ihren Willen immer durchsetzen. Heather Engebretson, passend unschuldig rosa gekleidet (Kostüme Victoria Behr), gibt diesen Part hinreissend in Mimik und Gestik ein gekonnter Mix aus kindlicher Pöbelei und aufmüpfiger Pubertierender. Eine Klasseleistung, muss ihr Spiel doch absolut synchron zum Gesang der links am Bühnenrand die Rolle der Salome intonierenden Sera Gösch sein. Eine grosse Herausforderung auch für die Musiker des Luzerner Sinfonieorchesters unter der Leitung von Clemens Heil, die souverän gemeistert wird.
«Ich will deinen Mund küssen, Jochanaan!»
Jochanaan und die kindliche Salome Foto Ingo Hoehn
«Salome» ist die Tragödie einer dysfunktionalen Familie zwischen Begehren und Grausamkeit, mit Musik, die schillert wie Seide. Dem von Oscar Wilde 1891 symbolistisch verdichteten Stoff der biblischen Geschichte vom irrsinnigen Herodes, der lüsternen Herodias, der verwöhnten Prinzessin Salome und dem asketischen Propheten Johannes, der Jesus getauft hat, ist schwer beizukommen, ohne sich nur auf einen erotischen angehauchten Tanz und ein abgetrenntes Haupt zu konzentrieren. Ganz kopflos geht auch nicht, also den Kopf grad richtig in den Mittelpunkt platzieren. Da Fritschs Bühnenbild nicht üppig schwül orientalisch daherkommt, sondern recht spartanisch, als blauer Raum mit zwei grossen goldenen Herrscherthronen die von einem gigantischen Vollmond beschienen werden, ist der, aus dem Boden herausragende Kopf des Jochanaan, ganz natürlich Mittelpunkt des anfänglichen Geschehens, bei dem zuerst zwei, zur Bewachung des Gefangenen Propheten abgeordnete Soldaten, die Bühne auf und ablaufen, worauf kurz darauf der in Salome vernarrte Hauptmann Narraboth auftaucht und die Musik einsetzt mit einem hochzüngelnden Klarinettenlauf. Zwischen Moll und Dur changiert das, vor allem aber im Tritonusabstand der Tonarten. Gemalt wird eigentlich nur das Aufziehen des Vorhangs, und doch steckt in dieser Klangzelle die Architektur des ganzen Einakters – bis hin zu jenem gleißenden Cis-Dur, in dem Salomes Liebesduett mit einer Leiche gipfelt.
Zum Geschehen am Palast des Herodes Antipas, des Tetrarchs von Judäa
Salome Szenenfoto von Ingo Hoehn
Der junge Hauptmann Narraboth beobachtet Salome, die einem Festgelage im Inneren des Palastes beiwohnt. Besorgt warnt ihn ein junger Page davor, die Prinzessin so anzusehen, da sonst Schreckliches geschehen könne. Johannes der Täufer (in der Oper „Jochanaan“), der von Herodes in einer Zisterne gefangen gehalten wird, da er die Ehe von Herodes und Herodias anprangerte, ruft aus der Tiefe immer wieder Prophezeiungen nach oben. Salome stürzt ins Freie. Sie kann die lüsternen Blicke ihres Stiefvaters und das Benehmen seiner Gäste nicht mehr ertragen.
Narraboth öffnet widerwillig die sprichwörtliche Büchse der Pandora
Salome Szenenfoto von Ingo Hoehn
Als erneut Jochanaans Verwünschungen an die Oberfläche dringen, wird Salome neugierig und kann mittels ihrer Verführungskünste bei Narraboth erwirken, dass dieser entgegen Herodes’ Verbot die Zisterne öffnen und den Propheten herauskommen lässt. Herauf kommt, mit einem um die Hüften gewundenen Leinentuch, Jachanaan (Jason Cox) und singt den Mann Gottes mit seinem kraftvollen Bariton und damit auch einer Glaubensgewalt, die so gar nichts frömmisch Zurückhaltendes hat, sondern die extreme Überzeugung des Eiferers verströmt.
Der „heilige“ Mann fasziniert die junge Prinzessin
Salome Szenenfoto von Ingo Hoehn
Salome ist fasziniert von dem jungen Propheten, der gegen Herodes und seine Frau wettert. Als sie sich ihm zu erkennen gibt, weist er ihre Annäherungsversuche jedoch scharf zurück und ermahnt sie, nach „des Menschen Sohn“ zu suchen, damit er ihr ihre Sünden vergebe, und hört bereits die „Flügel des Todesengels“ im Palast rauschen. Doch die junge Prinzessin hat nur Augen für Jochanaan; Narraboth ersticht sich, als er Salomes immer heftiger werdende Schwärmerei mitbekommt. Als sie sich weiterhin uneinsichtig zeigt, verflucht Jochanaan sie und kehrt wieder in die Zisterne zurück.
Salome Szenenfoto von Ingo Hoehn
Herodes (Hubert Wild als schleimig-geiler, tuntenhafter Lüstling) betritt mit seiner Festgesellschaft die Szene, da Salome nicht wieder zurückkam. Mit dabei auch Solenn‘ Lavanant-Linke, die als Herodias mit ihrem einschneidenden Mezzosopran und royalem Auftreten punktet. Spontan entscheidet sich der Tetrarch, das Fest auf der Terrasse fortzusetzen. Er entdeckt Narraboths Leichnam, als er auf dessen Blut ausrutscht, und lässt ihn fortschaffen. Kurz darauf hört er in der Luft ein seltsames Rauschen, wie von „mächtigen Flügeln“. Er bietet Salome Wein, Früchte und den Platz ihrer Mutter an, doch sie lehnt ab. Jochanaan ruft wilde Verwünschungen aus seinem Gefängnis, die Herodias auf sich bezieht. Sie fordert, den Propheten den Juden auszuliefern, die seit Monaten nach ihm schreien. Nach einem heftigen religiösen Streit der fünf Juden und weiteren Rufen aus der Zisterne bittet Herodes Salome, für ihn zu tanzen. Auch diese Bitte lehnt sie zunächst ab, willigt aber ein, als der Tetrarch ihr als Belohnung verspricht, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Nachdem sie ihm einen Eid abgenommen hat, tanzt sie den „Tanz der sieben Schleier“. Nachdem sie zu Herodes’ Freude den Tanz vollführt hat, äußert die Prinzessin ihren Wunsch: den Kopf des Jochanaan auf einer Silberschüssel. Herodes versucht sie umzustimmen, da er fürchtet, ein Unheil könne ihn treffen, wenn er einen heiligen Mann hinrichten lässt. An seinen Eid gebunden, muss er schließlich nachgeben und einwilligen. Salome nimmt den Kopf entgegen und steigert sich in einen ekstatischen Liebestaumel, als sie ihn besingt.
Die Juden tanzten um das goldene Kalb, Salome um den Kopf des Propheten
Royale Herodias
In der Schlussszene nimmt Salome Besitz vom Kopf des Jochanaan. „In wilder Wollust küsst und saugt sie das Blut von den toten Lippen. Ihre ekelhafte Sinnlichkeit verströmt sie in einem taumelnd-berauschten Gesang, alles um sich vergessend. Die Musik türmt sich zu einem dramatischen Höhepunkt auf, der mit einer unorthodoxen Kadenz endet. Abgestoßen von Salomes Verhalten, bekommt Herodes es mit der Angst zu tun, als sich plötzlich der Mond verdunkelt, und möchte in den Palast zurückkehren. In der Dunkelheit hört man Salome, die das abgeschlagene Haupt geküsst hat. Der Mond bricht wieder hervor und beleuchtet die Prinzessin. Da befiehlt Herodes: „Man töte dieses Weib!“ Soldaten stürzen sich auf das Mädchen und begraben sie unter ihren Schilden.Das Auditorium zeigte sich beeindruckt und applaudierte dementsprechend langanhaltend. Dass keine stehende Ovation zustande kam, ist wohl dem Umstand geschuldet, dass man einer „Doppelten Salome“ zujubelte, deswegen etwas verunsichert war, wem wieviel vom Applaus gehört, der singenden, oder der schauspielernden Prinzessin. Anyway, das Ensemble auf der Bühne wusste ebenso zu überzeigen, wie die weniger sichtbaren im Orchestergraben. Eigentlich müsste man nochmals hingehen, wenn Heather Engebretson wieder genesen ist, und eine „ganze“ Salome geben kann.