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Opéra des Nations Genf, Carmen, besucht von Gabriela Bucher – Liechti

Carmen, Szenenfoto von Magali Dougados
Carmen, Szenenfoto von Magali Dougados

Produktion und Besetzung:

Direction musicale John Fiore
Mise en scène & scénographie Reinhild Hoffmann
Costumes Andrea Schmidt-Futterer
Lumières Alexander Koppelmann
   
Carmen Ekaterina Sergeeva (10, 14, 16, 18, 20, 24 & 26 sept.)*
Héloïse Mas (12, 22, 27 sept.)*
Don José Sébastien Guèze (10, 14, 16, 18, 20, 24 & 26 sept.)*
Sergej Khomov (12, 22, 27 sept.)*
Escamillo Ildebrando D’Arcangelo
Micaëla Mary Feminear (10, 14, 16, 20, 24 & 26 sept.)*
Adriana González (12, 18, 22, 27 sept.)*
Mercédès Héloïse Mas (10, 14, 20, 24, 26 sept.)*
Carine Séchaye (12, 16, 18, 22, 27 sept.)*
Frasquita Melody Louledjian
Moralès Jérôme Boutillier
Zuniga Martin Winkler
Le Dancaïre Ivan Thirion
Le Remendado Rodolphe Briand
La Femme Brigitte Cuvelier
L’Homme Jean Chaize
Lillas Pastia Alonso Leal Morado
Une marchande Marianne Dellacasagrande
Un bohémien Wolfgang Barta
Chœur du Grand Théâtre
Direction Alan Woodbridge
 
Orchestre de la Suisse Romande  
Maîtrise du Conservatoire populaire de Musique,
Danse et Théâtre
Direction Magali Dami & Fruzsina Szuromi

 

Présentation de l’œuvre

Rezension:

Carmen Szenenbild,FotoMagaliDougados
Carmen Szenenbild, Foto Magali Dougados

Zum Saisonauftakt wird im Thèâtre des Nations in Genf Bizets «Carmen» gezeigt. Regisseurin und gleichzeitig verantwortlich für die Bühnengestaltung ist Reinhild Hoffmann, vor allem bekannt für ihre Pionierarbeit im deutschen Tanztheater.

Ein riesiger, dunkelblauer Fächer dient als Theatervorhang und ab und an auch als Projektionsfläche für kurze Videoeinspielungen zwischen den Akten. Nach der Ouvertüre – und dem ersten Auftritt des Todes – öffnet er sich und gibt den Blick frei auf ein reduziertes aber in seiner Reduziertheit faszinierendes Bühnenbild. Der Boden ist übersät mit schwarzen Konfetti, einige Silbrige blitzen da und dort auf, die Rückwand ist komplett schwarz, ein paar Tische aus hellem Holz sind und bleiben die einzigen Requisiten. Sie werden aber gekonnt eingesetzt, um szenisch immer wieder eine andere Atmosphäre zu schaffen. Überraschend, wie wenig es dazu braucht!

Ausdrucksstarke Bilder

Carmen Szenenbild, Foto Magali Dougados
Carmen Szenenbild, Foto Magali Dougados

Hoffmann überzeugt mit starken Bildern. Und auch wenn diese nicht unbedingt das feurig Spanische darstellen, sind sie von grosser Intensität. Oft stehen sich die Agierenden in Gruppen gegenüber, als wollten sie die zwei Welten des Don José und der Carmen symbolisieren. Auch kleine Gruppen werden sorgfältig arrangiert: wenn die drei Zigeunerinnen rechts und links von Le Dancaïre und Le Remendado flankiert dasitzen ist es, als posierten sie für ein kunstvolles Foto. Eindrücklich auch, wenn die Schmuggler sich Nachts rund um den «Hugel» aus Tischen niederlassen. Nichts scheint dabei dem Zufall überlassen und doch liegen die schwarzen Gestalten wie zufällig herum, das wirkt wie ein altes Gemälde.

Die Stimmung ist selten ausgelassen in dieser Carmen, das Unheil scheint allgegenwärtig, der Tod ist es auch, erscheint immer wieder mit Maske, Hut und schwarzem Mantel, entweder in weiblicher Begleitung oder allein an einem Tisch sitzend, mit dem Rücken zum Publikum, was ihn nicht minder bedrohlich macht.

Reduzierte Farben

Carmen Szenenbild, Foto Magali Dougados
Carmen Szenenbild, Foto Magali Dougados

Die Kostüme (Andrea Schmitt-Futterer) sind ähnlich reduziert. Die Soldaten tragen sandfarbenen Uniformen, die Arbeiterinnen der Tabakfabrik mehrheitlich Schwarz mit teilweise crèmefarbenen Röcken oder Blusen. Einziger Farbtupfer ist Carmens roter Schal. Lediglich Micaëla fällt aus dem Rahmen mit einem hübschen unschuldig-hellblauen Kleid. Im letzten Akt sind es vor allem die blütenweissen Hemden der Kinder, ihre roten Tücher und die in all dem Schwarz grell wirkenden Orangen, welche spannende Farb-Akzente setzen.

Herausragende Carmen

Carmen Szenenbild, Foto Magali Dougados
Carmen Szenenbild, Foto Magali Dougados

Eine dunkle, dramatische Inszenierung der Carmen, von Beginn an. Ekaterina Sergeeva gibt ihrer Figur aber die wilde Entschlossenheit, die Lebenslust und den Stolz durch ihre herausragende Stimme. Sie besitzt ein unglaubliches Stimmvolumen und Modulier-Möglichkeiten von flüsternd-leise über leidenschaftlich-dramatisch bis verführerisch-stolz. Sie spielt mit ihrer Stimme, wie sie mit den Männern spielt. Daneben kann leider Sébastien Guèze als Don  José nicht ganz mithalten. Seine Stimme scheint sich vor allem im ersten Teil nicht wirklich befreien zu können. Als Darsteller nimmt man ihm auch eher den scheuen Muttersohn ab als den vor Wut und Enttäuschung rasenden Liebhaber. Mary Feminear ist mit ihrem hellen, klaren Sopran eine wunderbare Micaëla und überzeugend in den Nebenrollen auch  Mercédès (Héloise Mas) und Frasquita (Melody Louledjian), Le Dancaïre (Ivan Thirion) und le Remendado (Rodolphe Briand). Die Kinder spielen und singen mit einer herrlichen Unkompliziertheit und der Genfer Chor begeistert einmal mehr!

Das Orchestre de la Suisse Romande unter John Fiore treibt das Ganze mit viel Schwung und Verve voran, intoniert die bekannten Weisen melodiös und harmonisch und pendelt mühelos zwischen Folklore und tragischen Themen. Das Orchester schaffte es, das Feurige der Partitur zu übersetzen und es ab und an einfliessen zu lassen, wo es auf der Bühne manchmal etwas fehlt.

Carmen Szenenbild, Foto Magali Dougados
Carmen Szenenbild, Foto Magali Dougados

Es ist eine ungewöhnliche Inszenierung, eher verhalten aber unglaublich sorgfältig und stringent von Anfang bis Schluss. Weder Bühnenbild noch Kostüme lenken ab von der Musik und den Stimmen, die Premieren-Besucher erlebten drei Stunden Bizet pur und bedankten sich mit viel Szenen- aber vor allem mit viel Schlussapplaus.

Kleine Fotodiashow der Protagonisten und der Produktion von Magali Dougados:

fotogalerien.wordpress.com/2018/08/22/opera-des-nations-genf-carmen-besucht-von-gabriela-bucher-liechti/

Text: www.gabrielabucher.ch  Fotos: www.geneveopera.ch

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Luzerner Theater, Traumland Eine theatrale Schiffstour von Kornél Mundruczó und Kata Wéber, Première, 8. September 2018, besucht von Léonard Wüst

Traumland Foto Ingo Hoehn, das illuminierte Hotel Sankt Niklausen
Traumland Foto Ingo Hoehn, das illuminierte Hotel Sankt Niklausen

Produktionsteam Inszenierung: Kornél Mundruczó Text: Kata Wéber Dramaturgie: Soma Boronkay, Sandra Küpper

 

Rezension:

MS Saphir
MS Saphir

Der Spielort der Produktion, die „MS Saphir“, ist ein Flaggschiff der Schifffahrtsgesellschaft des Vierwaldstättersee (SGV) und erst seit dem Jahre 2012 in Betrieb. Sie eine Perle unter den SGV Schiffen zu nennen wäre verfehlt, da sich  ja ein Saphir nicht zu einer Perle abwerten lässt. Auf jeden Fall  hat Intendant Benedikt von Peter auch diesmal wieder eine ungewöhnliche Spielstätte gewählt.

Über die Inszenierung von Kornél Mundruczó und die Geschichte von Kata Wéber

Die Musiker erzeugen sphärische Klänge zum Geschehen Foto Ingo Höhn
Die Musiker erzeugen sphärische Klänge zum Geschehen Foto Ingo Höhn

Nichts scheint mehr zu überraschen, alles ist bekannt. Im Zeitalter des Offensichtlichen sind alle Informationen abrufbar. Aber wenn wir genau hinsehen und zuhören, ist unsere Umgebung plötzlich gar nicht mehr so offensichtlich. Wenn wir am Ufer des Sees stehen und auf das Wasser blicken, auf die Berge rundherum, mit den richtigen Augen, dann nehmen wir sie wahr: die mythische Welt abseits der bekannten Pfade. Bevölkert von unbekannten Wesen.

Mundruczós Filme wurden mehrfach in Locarno und Cannes ausgezeichnet. Er arbeitet an den grössten Theater- und Opernhäusern. Bekannt für seine Grenzgänge zwischen den Genres, sucht er immer wieder nach neuen Ausdrucksformen für Themen, die sich mit lokalen Ereignissen beschäftigen, um auf grössere Zusammenhänge zu schliessen.

Die Theaterleute hatten noch etwas mit den Tücken der Technik zu kämpfen an dieser, auch für sie, ungewohnten, weil neuen Spielstätte. So verliess denn die „Saphir“ Pier 5 beim KKL Luzern mit Verspätung, was aber die Vorfreude der Besucher keineswegs trübte. Zu sehr war man gespannt, was die Theatercrew wieder ausgeheckt hatte. Nachdem jede/r seinen Kopfhörer für das Audioerlebnis überreicht bekommen hatte, ergatterte man sich einen Platz an einem der Tische. Für einmal war also nicht Theaterbestuhlung angesagt, sondern man beliess es so, wie die Schiffskonstruktion im Unterdeck es vorgab, was sich im Folgenden als nicht so optimal erweisen sollte.

Da im Bug, ebenso wie im Heck gespielt wurde, war man gezwungen, um möglichst  alles mitzubekommen, dauernd sich umzupositionieren und den Hals zu recken und zu verdrehen, was der an und für sich sonst schon etwas abstrusen Handlung, keinesfalls dienlich war und ein gewisses Unbehagen im Auditorium auslöste.

Der Plot im, Kurzbeschrieb:

Die suchende Tina vor der Diawand Foto Ingo Hoehn
Die suchende Tina vor der Diawand Foto Ingo Hoehn

Eine junge Frau, Tina, anfangs zwanzig, rastlos auf der Suche nach einer ihr zusagenden Arbeit, nach dem Sinn des Lebens, Liebe und Anerkennung und ein 30 Jahre älterer, charmanter, lebenserfahrener Fotograf, Roger, sind Insassen eines Zuges, der am 22. März 2017 bei der Einfahrt in den Bahnhof Luzern entgleist. Sie als Mitglied eines Chores, der nach Mailand zu einem Konzert unterwegs ist, er, um eine Reisereportage über diverse Sitzbänklein in Luzern zu realisieren. Also so Bänke, die an Uferpromenaden, an Aussichtspunkten usw. platziert sind, damit sich die lustwandelnden darauf setzen können, um sich auszuruhen, allenfalls um das Panorama zu bewundern.

Traumland Foto Ingo Hoehn
Traumland Foto Ingo Hoehn

Sie lernen sich kennen an einem Stand, den die Rettungskräfte aufgebaut hatten, um Getränke zu verteilen, Auskunft zu geben usw. Nach einem kurzen Wortwechsel schliessen sie sich zu einer Zweckgemeinschaft zusammen. Sie soll ihm assistieren bei der Fotoreportage über die Bänke, deren es insgesamt 33 sind. Daraus macht die Autorin dann die 33 Schweizer Bankgeheimnisse, verfolgt diesen Strang aber leider nicht weiter. Die abgehobene Story verbindet sie dann mit Tatsachen und Fiktionen, die den, nun von katarischen Investoren wiederbelebten mystischen Bürgenstock umranken. So steht die tatsächliche Hochzeit von Audrey Hepburn mit Mel Ferrer im Jahre 1954 auf dem Bürgenstock gegenüber dem fiktiven Geist von Carlo Ponti, der verzweifelt darauf wartet, dass seine so geliebte Sophia (Loren) auch endlich das Zeitliche segnen möge, damit sie auf dem Berg über dem Vierwaldstättersee wieder vereint wären.  Ziemlich weit hergeholt und überspitzt, aber ziemlich humorlos und ohne jegliche Ironie. So schaukelt die Geschichte dann seicht dahin, ganz wie die „Saphir“ auf den, auch nicht sehr hohen Wellen des Vierwaldstättersees, während ca. 80 Minuten entlang den Schauplätzen, wo sich die fiktive Geschichte zugetragen haben soll.

Umsetzung der Geschichte

Traumland Foto Ingo Hoehn
Traumland Foto Ingo Hoehn, Tina unterhält sich mit einem Geist

Etwas mystische Musik als Intro (Xenia Wiener, (Keyboard, Elektronik), Janos Mijnssen (Violoncello), die im Bug platziert sind. Unvermittelt taucht eine verstörte Frau beim Eingang auf, bricht an der Bartheke zusammen, wird dann von einem Crewmitglied an ihren Platz an einem der Tische geführt,  worauf  alsbald die Stimme von Tilo Werner über das Audiosystem zu hören ist, der die Geschichte vorträgt. Der Monolog wird aufgelockert, oder vielmehr kompliziert, durch Diaprojektionen auf eine Leinwand im Bug des Schiffes, womit die mühsame  „Wendehalsgeschichte“ ihren Anfang nimmt. Während das ungleiche Paar mit einem Ford Mustang durch Luzern fährt, auf der Suche nach den verschiedenen Bänklein und einer geeigneten Unterkunft und die Story ihren Lauf nimmt, sind sie plötzlich da auf der „Saphir“:

Die Geister, die wir nie gerufen haben

Traumland Foto Ingo Hoehn
Traumland Foto Ingo Hoehn

Dies, weil inzwischen Roger in den Bergen ums Leben gekommen ist oder sich sonst irgendwie aus Tinas Leben verabschiedet hat und nun vergeistert unter uns weilt. Und da ja selten ein Geist alleine kommt, sind es auch hier zahlreiche, die stumm und fast regungslos, aber keineswegs bedrohlich im Couloir zwischen den Tischen stehen, während die Stimme uns über Kopfhörer auf dem Laufenden hält, wie sich die Dinge weiter entwickeln und/oder in welche (geordnete?) Bahnen Tinas Leben einbiegt. Zwischendurch gibt’s auch mal Lieder zur Auflockerung. Währenddessen nähert sich die „Saphir“ dem unwirklich illuminierten Hotel Sankt Niklausen am See (dem Belle Epoque Gebäude am Fusse des Bürgenstock) an.

Da jetzt, nebst den Aktionen im Bug und Heck auch noch die Aktionen am Ufer gesehen werden wollen, werden die gewendeten Hälse noch mehr strapaziert, aber dafür die zähe Geschichte etwas aufgelockert, zumal beim Hotel, das schon längere Zeit geschlossen ist, eine Art Scheiterhaufen brennt, worauf  der Feueralarm des Hotels ausgelöst worden ist. Viel Rauch umhüllt die Geister, welche die Hotelpromenade bevölkern.  Das Geschehen wird jetzt dramatischer und Wiebke Kayser übernimmt den Part der Erzählerin, jetzt nicht mehr nur über das Headset, sondern sie ist, auf einem Stuhl im Gang sitzend, auch visuell präsent. Zum Abschluss wird das Publikum noch aufgefordert die Geister zu umarmen, damit diese wieder verschwänden.

Ein kleines Mädchen ist die einzige, das dazu den Mut aufbringt, eines der Gespenster umarmt und dabei sichtlich Spass hat, vor allem, als dieses tatsächlich verschwindet. Die anderen müssen dann durch eine Umarmung der Erzählerin wieder in die Traumwelt zurückgeschickt werden. Eine, einen sehr zwiespältigen Eindruck hinterlassende Uraufführung findet damit doch noch einen versöhnlichen Abschluss.

Kleine Fotodiashow der Produktion von Ingo Hoehn:

fotogalerien.wordpress.com/2018/09/07/luzerner-theater-traumland-premiere-8-september-2018-besucht-on-leonard-wuest/

Trailer von Tele1 über die Aufführung:

https://www.tele1.ch/sendungen/1/nachrichten#451116_6

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos: www.luzernertheater.ch

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Luzerner Theater, Im Amt für Todesangelegenheiten, Eine Slapstick-Oper von Klaus von Heydenaber für das 21st Century Orchestra, besucht von Gabriela Bucher – Liechti

Szenenfoto der Produktion von Ingo Hoehn
Szenenfoto der Produktion von Ingo Hoehn

Produktionsteam

Musikalische Leitung: William Kelley, Klaus von Heydenaber Inszenierung: Viktor Bodó Bühne: Márton Ágh Kostüme: Fruzsina Nagy Licht: David Hedinger-Wohnlich Choreinstudierung: Mark Daver Dramaturgie: Gábor Thury, Anna Veress, Johanna Wall

 

Rezension:

Im Amt fuer Todesangelegenheiten Szenenfoto vonIngo Hoehn
Im Amt fuer Todesangelegenheiten Szenenfoto vonIngo Hoehn

Einführung im 3. Stock: Vom Theaterplatz her Alphornklänge, vom Theatersaal letzte Probe-Sequenzen des Orchesters, irgendwie symbolisch für den Premierenabend der spartenübergreifenden Slapstick-Oper «Im Amt für Todesangelegenheiten». Denn was auf der Bühne des Luzerner Theaters während zwei Stunden abgeht, bewegt sich quer durch die Musikgeschichte, ein wilder Mix in jeder Hinsicht, der aber mindestens musikalisch gesehen vollkommen aufgeht.

Alphorn wird zwar nicht geblasen auf der Bühne, weder im Amt für Todesangelegenheiten im ersten Stock, wo die Angestellten alle in denselben blauen Arbeitsmänteln und denselben Frisuren das nächste Todes-Opfer bestimmen, noch unten in der Metrostation, wo unterschiedlichste Charakteren aufeinandertreffen. Das Alphorn mag fehlen, aber ansonsten pendelt das 21st Orchestra lustvoll zwischen Spätromantik und Musical, Jazz und Werbejingle, Filmmusik und moderner Klassik. All das mehr oder weniger wortlos, eine Oper sei ja auch nicht unbedingt immer verständlich, meinte der Komponist in einem Interview. Und so singt der Chor im Amt englische Zahlenreihen, Gianna, die unglücklich Verlassene ergibt sich mit viel Herz-Schmelz in italienischen Arien mit relativ wenig Inhalt, vom fotografierende Clochard gibt’s nur ein «please sign» wenn er denn Fotografierten das Bild unter die Nase hält und Sofia, die Weltretterin, fragt jeden, ob er fünf Minuten habe, um die Erde zu retten. Viel mehr Text ist da, bis kurz vor Schluss, nicht drin.

JacquesTati, Porgy und James Dean

Im Amt fuer Todesangelegenheiten Szenenfoto vonIngo Hoehn
Im Amt fuer Todesangelegenheiten Szenenfoto vonIngo Hoehn

Skurrile Gestalten allesamt, ihre jeweilige Lebensgeschichte erfährt man vorgängig im Programmheft. Zwei, dreimal stolpert dann noch Jacques Tati über die Bühne, der Feuerwehrmann-Darsteller im Werbejingle erinnert mit seiner tiefen Stimme an Gershwins’ Porgy und der zugedröhnte Clochard (ein umwerfender Lukas Darnstädt in Mimik und Gestik, sein Körper scheint aus Gummi zu sein) hat etwas von James Dean, derselbe Ausdruck melancholisch-trauriger Ziellosigkeit. Trotzdem scheint er derjenige zu sein, der die Fäden in der Hand hat und die Charakteren auf dem Schachbrett des Lebens, oder doch eher des Todes hin- und herschiebt.

Zurück auf Feld 1

Im Amt fuer Todesangelegenheiten Szenenfoto vonIngo Hoehn
Im Amt fuer Todesangelegenheiten Szenenfoto vonIngo Hoehn

Und so wird im Amt geräuschvoll aber wortlos der nächste Todeskandidat ausgesucht, in der Metrostation wird sich gestenreich aber wortlos begegnet, ab und an herrscht ein unglaubliches Gewusel auf der Bühne. Vier Protagonisten sterben im ersten Akt, erwachen aber im zweiten wieder zum Leben, was dem Amt für Todesangelegenheiten nicht sehr gelegen kommt. Also wird das Stück kurzerhand rückwärts gespult, eine irrwitzige Szene, musikalisch und schauspielerisch. Zuletzt erklärt der zum geschniegelten Anzugträger avancierte Clochard dem Publikum das Geschehene und Gesehene – als «Moral von der Geschicht»? und die Toilettenfrau im Toilettenpapierkostüm (eine stimmlich überzeugende Diana Schnürpel) wird doch noch zur Operndiva und verliert sich in einer langen, einmal mehr unverständlichen Arie. Da zieht sich das Ganze dann doch etwas hin.

Der Zug ist abgefahren

Im Amt fuer Todesangelegenheiten Szenenfoto vonIngo Hoehn
Im Amt fuer Todesangelegenheiten Szenenfoto von Ingo Hoehn

Man amüsiert sich, ganz klar, die Gags sind zwar manchmal etwas gar offensichtlich und überzeichnet. Wird einer zum Sterben erkoren, erscheint auf der digitalen Anzeige der Hinweis «In 5 Minuten fährt ihr letzter Zug» und «die U-Bahn Gesellschaft wünscht ihnen eine gute Reise», teilweise wähnt man sich in einem alten Komik-Film wenn Nacken knacken zum Gotterbarmen, Türen krachen, Stühle umfallen und der Coiffeur sich ein Messer in den Bauch rammt. Lampen bersten bei hohen Tönen und dann ist da noch der «Disco-Geier» aus der ungarischen Mythologie – Slapstick eben. Aber das wahre Ereignis, das wirklich Spezielle an diesem Abend ist die Musik von Klaus von Heydenaber und das 21st Century Orchestra, für welches er sie geschrieben hat.

Wie das Orchester da vom einen Musikstil in den anderen wechselt, mühelos, leichtfüssig, fliessend, rhythmisch und schwungvoll, das ist ungemein lustvoll und eine reine Freude. Es bleiben ein paar Fragen, aber es bleiben auch viele witzige Bilder. Ein tolles Bühnenbild (Márton Ágh), starke Stimmen, überzeugende Schauspieler und, man kann es nicht genug erwähnen, fantastische Musik mit einem fantastischen Orchester!

Kleine Fotodiashow der Produktion von Ingo Hoehn:

fotogalerien.wordpress.com/2018/09/06/luzerner-thaater-im-amt-fuer-todesangelegenheiten-premiere-7-september-besucht-von-gabriela-bucher-liechti/

Text: www.gabrielabucher.ch

Fotos: www.luzernertheater.ch

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Lucerne Festival, Sinfoniekonzert 19 Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam | Manfred Honeck | Anett Fritsch, 5. September 2018, besucht von Léonard Wüst

Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam
Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam

Besetzung und Programm:

Manfred Honeck  Dirigent

Richard Wagner Vorspiel zum dritten Akt aus der Oper Die Meistersinger von Nürnberg

Alban Berg Fünf Orchesterlieder op. 4 nach Ansichtskarten-Texten von Peter Altenberg

Anton Bruckner Sinfonie Nr. 3 d-Moll WAB 103, Dritte Fassung von 1889 in der Edition von Leopold Nowak

 

Rezension:

Dirigent Manfred Honeck
Dirigent Manfred Honeck

Die Mitteilung des Amsterdamer Royal Concertgebouw Orchestra vom Juli diesen Jahres schlug ein wie eine Bombe: Man habe die Zusammenarbeit mit dem Chefdirigenten Daniele Gatti per sofort beendet. Der Grund: Gatti soll Musikerinnen sexuell belästigt haben. Erste Vorwürfe waren in der «Washington Post» aufgetaucht; zwei Sopranistinnen schilderten dort Vorfälle aus den Jahren 1996 und 2000. In der Folge haben dann auch Musikerinnen des Concertgebouw Orchestra «unangebrachtes Verhalten» ihres Chefdirigenten beklagt. Das reichte für eine fristlose Entlassung. Deshalb stand nun anstelle von Gatti der österreichische Dirigent Manfred Honeck, Chefdirigent des Pittsburgh Symphony Orchestra am Pult.

Richard Wagner Vorspiel zum dritten Akt aus  „Die Meistersinger von Nürnberg“

Arturo Toscanini mit dem ad hoc Eliteorchesterbeim Concert de Gala auf Tribschen 25. August 1938
Arturo Toscanini mit dem ad hoc Eliteorchesterbeim Concert de Gala auf Tribschen 25. August 1938

Mit diesem Vorspiel eröffnete Arturo Toscanini im legendären „Concert de Gala“ mit einem ad hoc Elite Orchester am Tribschen beim Richard Wagner Haus am 25. August 1938 die allerersten  „Internationalen Musikfestwochen“ Luzern (IMF), welche im Jahre 2001 in „Lucerne Festival“ umbenannt wurden. Dieses kurze Werk war optimal für die Musiker um sich einzuspielen und das Publikum so richtig ins Konzert einzustimmen.

Die Solistin des Alban Berg Liederzyklus

Anett Fritsch zählt zu den wenigen Sängerinnen, die alle drei zentralen Frauenrollen in „Le nozze di Figaro“ verkörperten und sie konnte u.a. schon diese Preise ernten: 2001 Internationaler Johann-Sebastian-Bach-Wettbewerb den ersten Preis und Preisträgerin 2006 und 2007 am Internationalen Gesangswettbewerb der Kammeroper Schloss Rheinsberg. Die deutsche Sopranistin (*1986), für die es das Debut am Lucerne Festival war,  gibt in der Saison 2018/19 die Arminda in La finta giardiniera von W. A. Mozart an der Mailänder Scala unter der Leitung des Schweizer Dirigenten  Diego Fasolis.

Alban Berg Fünf Orchesterlieder op. 4 nach Texten von Peter Altenberg

Solistin Anett Fritsch mit Dirigent Manfred  Honeck, Foto Priska Ketterer
Solistin Anett Fritsch mit Dirigent Manfred Honeck, Foto Priska Ketterer

Verstörend die Komposition des Arnold Schönberg Schülers, irgendwie nachvollziehbar die ungnädig ablehnende Aufnahme beim Wiener Publikum, das bis anhin ja nur tonale Musik kannte, bei der Erstaufführung (inkl. Unmutsäusserungen wie Tumulte, Pfiffe, Gelächter, Geschrei usw.) Ein veritabler Skandal, die Veranstaltung musste gar abgebrochen werden. Ein Arzt, der Augenzeuge war,  gab zu Protokoll, dass die Musik bei einigen Besuchern äussere Anzeichen einer schweren Depression auslösten. Da Berg atonal komponierte und für ihn der Ausdruck „Emanzipation der Dissonanz“ einen hohen Stellenwert hatte, erstaunen die Reaktionen nicht, bloss deren Heftigkeit.

Zum Werk und dessen Interpretation:

Anett Fritsch  Sopran
Anett Fritsch Sopran

Bereits in Takt 2 setzt die Singstimme ein. Diese ahmt, im Gegensatz zu den Bläsern, in ihren ersten zwei Takten das Taktmetrum rhythmisch nach. Sie beginnt mit einer chromatisch absteigenden Linie, die im Takt 3 einen Ganzton höher sequenziert wird. Der Text „Über die Grenzen des All“ wird hierbei konsequent syllabisch ausgedeutet, jeder Silbe wird ein Viertel zugeordnet und durch die Taktart wird das daktylische Metrum des Textes umgesetzt. Dem Wort „All“ wird allerdings durch ein Tritonus-Intervall abwärts (G-Cis) der bisher tiefste und längste Ton, eine Halbe, zugeordnet und somit deutlich hervorgehoben. Der Tritonus gilt als diabolus in musica, weshalb man diese Stelle auch als Vorausblick auf den Inhalt des dritten Verses sehen könnte. Ein weiterer Tritonus befindet sich in Takt 5 auf die beiden letzten Viertel. Auch hier wäre der Tritonus (As-D) als schlechtes Zeichen deutbar, oder besser als Schuldzuweisung an das „du“, dass seine spätere Situation selbst zu verantworten hat. Äusserst souverän sang sich Anett Fritsch durch die sehr anspruchsvolle Partitur, präzis und souverän supportiert von Dirigent und Orchester und frenetisch applaudiert vom Auditorium.

Zitat des Wiener Literaten  Edmund Wengraf:

„Das Wiener Theaterpublikum gehört zu dem gefürchtetsten der Welt, nicht wegen seiner kritischen Schulung, sondern wegen seiner Blasiertheit, wegen der anspruchsvollen Lässigkeit, mit der es dasitzt und unterhalten sein will, ohne seinerseits hierzu mit der allermindesten Anstrengung beizutragen. Man sitzt im Theater wie im Kaffeehaus. Hier will man nicht lesen, sondern nur blättern, dort will man nicht nachdenken, sondern nur amüsiert sein.“

Als wenn die Reaktion des Publikums für die Komponisten nicht schon kränkend genug gewesen wäre, kam für Alban Berg noch hinzu, dass Schönberg die Lieder regelrecht ablehnte. Berg zog daraus die Konsequenz für sich und lies sein op. 4 nicht mehr aufführen. Die erste vollständige Aufführung der Altenberglieder gelang erst – nach Alban Bergs Tod 1935 – im Jahre1952 unter Jascha Horenstein in Rom.

Das Schwergewicht Bruckner im 2. Konzertteil

Anton Bruckner widmete die gewaltige Dritte Sinfonie seinem grossen Idol Richard Wagner, «dem unerreichbaren, weltberühmten und erhabenen Meister der Dicht- und Tonkunst». Für Wagner war der anhängliche Bruckner aber bloss ein nützlicher Idiot; immerhin konnte er mit dessen Namen dem Kollegen Brahms eins auswischen, indem er Bruckner als das dritte große „B“ nach Bach und Beethoven bezeichnete. Speziell bei der Umsetzung der Sionfonie ist, dass in der Regel  Scherzo und Finale  immer zuerst geprobt werden, denn deren Streicherpassagen haben es in sich!

Anton Bruckner Sinfonie Nr. 3 d-Moll 3. Fassung von 1889 in Edition von Leopold Nowak

Das Finale beginnt wie ein kreisender Vogelschwarm. Das zupackende Hauptthema ist rhythmisch aus dem ersten Satz und harmonisch aus dem Scherzo gewonnen. Das zweite Thema ist ein Simultanthema: Im Vordergrund dreht sich ein Kirmestanz, im Hintergrund zieht eine Prozession. Das wilde dritte Thema assoziiert Orgelwirkung mit seinen hinterherhallenden Bassgängen. Dirigent Honeck führte zügig, gut dosiert in den Lautstärken, mit viel Gestik und Körpereinsatz durch die Partitur, nahm zum optimalen Zeitpunkt Tempo heraus, das er exakt am richtigen Punkt wieder forcierte. überdehnt genüsslich etwas die kurzen Pausen, die Bruckner dramaturgisch eingebaut hat. Die Symphonie endet in triumphalem D-Dur – wie es das Hauptthema versprochen hatte.

Eine eher etwas unterkühlte Interpretation

Die Interpretation konnte nicht wirklich berühren, etwas seelen- emotionslos, irgendwie zu technisch. Der Dirigent fand den direkten Draht zu seinen Mitmusiker nicht. Wahrscheinlich hat die „Affäre Gatti“ doch mehr Spuren hinterlassen, die Musiker des Concertgebouw Orchestra möglicherweise doch mehr verunsichert als gemeinhin angenommen.

Die Akklamation des Publikums am Schluss war trotzdem langanhaltend, wenn auch eher höflich, denn begeistert.

Trailer, Renée Flemming: Alban Berg – Lieder Op. 4 „Altenberg Lieder“ (Lucerne Festival, Claudio Abbado)

www.youtube.com/watch?v=C31WYsdo0D8

Text: www.leonardwuest.ch Fotos: www.lucernefestival.ch

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