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Lucerne Festival, Sinfoniekonzert 5 Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks | Mariss Jansons | Denis Matsuev, 25. März 2018, besucht von Léonard Wüst

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks Foto Priska Ketterer
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks Foto Priska Ketterer

Besetzung und Programm:

Robert Schumann (1810–1856)
Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38 Frühlingssinfonie
Sergej Rachmaninow (1873–1943)
Rhapsodie über ein Thema von Paganini op. 43
Leonard Bernstein (1918–1990)
Divertimento für Orchestra

 

Rezension:

Denis Matsuev, Solist am Piano
Denis Matsuev, Solist am Piano

Russische Pianisten, die russische Kompositionen spielen, immer ein besonderes Vergnügen. Wenn sie davor auch noch die „Frühlingssinfonie“ von Robert Schumann meisterhaft vortragen, danach noch Leonard Bernsteins „Divertimento für Orchestra“ perfekt interpretieren, ist es gleich Konzertvergnügen „hoch drei“. Dazu noch begleitet von einem gutaufgelegten Orchester, was will Musikliebhaber mehr.

Frühlingserwachen in der Innerschweiz

Dirigent Mariss Jansons  Foto  Peter Meisel
Dirigent Mariss Jansons Foto Peter Meisel

Im praktisch ausverkauften Konzertsaal führte uns das Symphonieorchester des bayerischen Rundfunks unter der magistralen Leitung von Mariss Jansons mit Robert Schumanns Sinfonie Nr. 1 (auch Frühlingssinfonie genannt) musikalisch in den, auch in Luzern, an diesem Tag mit angenehmen Temperaturen und Sonnenschein sich meldenden Frühling. Der Komponist skizzierte das Werk in einem wahren euphorischen Schaffensrauch innerhalb von nur vier Tagen Ende Januar 1841, kurz nachdem er seiner angebeteten Clara Wieck begeistert von einer Sinfonie von Franz Schubert vorgeschwärmt hatte, deren Partitur er selbst anlässlich eines Wienaufenthaltes in dessen Nachlass gefunden hatte.

Skizziert innert vier Tagen, drei Wochen später auch instrumentiert

Konzertimpression, Dirigent Mariss Jansons Foto Priska Ketterer
Konzertimpression, Dirigent Mariss Jansons Foto Priska Ketterer

Für die Instrumentierung seiner eigenen Sinfonie brauchte er dann noch drei Wochen, bevor sie am 31. März desselben Jahres, nach ein paar kleineren Nachkorrekturen, im Leipziger Gewandhaus unter Leitung von Felix Mendelssohn uraufgeführt wurde, worauf Schumann in seinem Tagebuch notierte: Ein schöner, glücklicher Abend! Als Grundlage für seine Komposition diente ihm u.a.  das „Frühlingsgedicht“ des Leipziger Biedermeier – Poeten Adolf Böttger. Mächtig setzt Schumann die Fanfaren zu Beginn des ersten Satzes, der in der Folge breit aufgestellt, mächtig, ja fast wuchtig daherkommt, aber auch mal unvermittelt ins zart – frühlingshafte abgleitet, wobei sicher die Idee des Frühlings, der allmählichen Entfaltung der Natur aus kleinsten Keimzellen bei der Konzeption der diversen Themen eine Rolle spielte. Dirigent Mariss Jansons lebte das Frühlingserwachen psychisch , aber auch physisch voll mit, leitete er doch das Orchester mit ausschweifenden Gesten und vollem Körpereinsatz, mal streckte er sich, dann sackte er kurz zusammen und lebte die Partitur auch mimisch mit.

Oboe als Schlüsselinstrument der Sinfonie

Schumann wies der Oboe in allen Sätzen eine prägende Rolle zu, schwingt sie sich doch immer wieder in die Höhe, schwebt über dem Basisklang des Orchester, interagiert auch mal mit den Violinen, unterordnet sich wieder und fügt sich dann demütig ins Ganze ein. Die rassige, schwungvolle Umsetzung der Intentionen des Komponisten honorierte das Auditorium mit langanhaltendem, stürmischem Applaus, und beorderte so den Dirigenten noch ein paarmal auf die Bühne zurück, was diesen sichtlich emotional bewegte.

Der nahezu total besetzte Konzertsaal (sogar die Plätze auf der Empore unter der Orgel, im Rücken des Orchesters, waren voll belegt), zeigt, welch grosse, treue Fangemeine sich dieses Orchester, seit dem Jahre 2004 alljährlich „in residence“ beim Luzerner Oster Festival, aufgebaut, respektive erspielt hat. Ein wichtiger Grund dafür ist auch der richtige Spürsinn für die Werksauswahl.

Rachmaninow und Bernstein im 2. Konzertteil

Konzertimpression, Denis Matsuev, Solist am Piano Foto Priska Ketterer
Konzertimpression, Denis Matsuev, Solist am Piano Foto Priska Ketterer

Mit Denis Matsuev, im Moment wohl der ausgewiesenste Spezialist schlechthin für Rachmaninow Interpretationen, gesellte sich für den zweiten Konzertteil ein ebenbürtiger Partner zu den andern Musikern. Die 24 Variationen der „Rhapsodie über ein Thema von Paganini“ boten ihm ausreichend Gelegenheit, diesem Ruf gerecht zu werden. Wie er diese Höchstschwierigkeiten meisterte, nötigte selbst seinen Mitmusikern Respekt ab.

Matsuev ist auch Botschafter des FIFA World Cup 2018 in Russland, zu dessen Eröffnung er ein Konzert auf dem Roten Platz in Moskau gestalten wird. Auch hatte er schon die Ehre, auf Einladung der Rachmaninow Stiftung, die Werke des Komponisten auf dessen eigenem Konzertflügel in der Villa „Senar“ (Wohnsitz der Rachmaninows von 1932 bis 1939) in Hertenstein am Vierwaldstättersee zu spielen.

Das Publikum genoss und honorierte am Schluss die aussergewöhnliche Darbietung des Pianisten mit grossem, stürmischem Applaus

Zum Konzertabschluss eine Leonard Bernstein Komposition

Zum 100 Jahr Jubiläum des Boston Symphony Orchestra (BSO), das er seit seiner Jugend kannte und dem er sehr verbunden war, komponierte Bernstein im Jahre 1980  das „Divertimento for Orchestra“. Gegliedert in acht Sätze, vermittelt sie die Art neue, eigenständige amerikanische Musik, die George Gershwin „erfunden“ hatte. Er bediente sich Themen diverser Komponisten, die er virtuos variiert. So lehnt sich der 1. Satz an Richard Strauss` „Till Eulenspiegel“ und Strawinskys „Petrouschka“ an.

Der 2. Satz vermittelt einen Walzer in der Art Tschaikowskys, Bernstein verbiegt aber vom üblichen 3/4  weiter bis zu einem  7/8 Takt. Die darauffolgende „Mazurka“ verweist auf „Chopin“, die kurze Sequenz der Oboe zum Ende jedoch,  ist dem Kopfsatz von Beethovens 5. Sinfonie entnommen. Bezug auf seine eigene „West Side Story“ nimmt er im „Samba“, mit einer Zwölftonreihe verweist er in „Turkey Trot“ auf Arnold Schönberg. Die jazzigen Blechbläser im „Blues“ sind eine Hommage an Gershwin. Den Kanon der drei Flöten des finalen Satzes widmet er allen verstorbenen Orchestermitgliedern und Dirigenten des BSO, auf den er einen rassigen Marsch folgen lässt, eine Art Mixtur zwischen „Stars and Stripes forever“ und dem „Radetzky Marsch“.

Das bayerische Orchester machte daraus seinen persönlichen Triumphmarsch, dies sehr zur Freude des Auditoriums, das dieses grandiose Konzert mit einer wahren Applauskaskade und Bravorufen belohnte.

Text: www.leonardwuest.ch Fotos: www.lucernefestival.ch

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Luzerner Theater, Faust-Szenen von Robert Schumann. Ein installatives Oratorium zwischen Bühne und Kirche, Premiere, 24. März 2018, besucht von Noémie Felber

Faust Szenen Foto Ingo Hoehn
Faust Szenen Foto Ingo Hoehn

Produktionsteam: Musikalische Leitung: Clemens Heil Inszenierung: Benedikt von Peter Bühne: Natascha von Steiger Kostüme: Lene Schwind Video: Bert Zander Licht: Clemens Gorzella Choreinstudierung: Mark Daver Dramaturgie: Laura Schmidt, Sylvia Roth Besetzung: Sebastian Geyer (Faust / Dr. Marianus) Rebecca Krynski Cox (Gretchen / Sorge / Una Poenitentium) Vuyani Mlinde (Mephisto / Böser Geist / Pater Profundus) Magdalena Risberg (Elfe / Engel / Seliger Knabe / Sorge) Sarah Alexandra Hudarew (Engel / Schuld / Mater Gloriosa) Robert Maszl (Ariel / Engel / Geist / Pater Ecstaticus) Gianna Lunardi (Elfe / Mangel / Seliger Knabe) Bernt Ola Volungholen (Geist / Engel / Pater Seraphicus) Jeanette Neumeister (Not) Chor und Extrachor des LT Mitglieder des 21st Century Chorus Luzerner Sinfonieorchester Luzerner Mädchenchor und Luzerner Sängerknaben

Rezension:

Faust Szenen Foto Ingo Hoehn
Faust Szenen Foto Ingo Hoehn

Ein gespenstisch geschminkter Kinderchor, eine Braut mit meterlanger Schleppe, Fausts Schuldregister, das vom Luzerner Theater hängt: Momentaufnahmen, die den Besuchern der Faust-Szenen noch lange in Erinnerung bleiben werden. Doch nicht nur diese einzelnen Bilder, das gesamte Konzept der Inszenierung unter Benedikt von Peter ist so aussergewöhnlich, dass es sich ins Gedächtnis einbrennt. Und zwar zu Recht, schliesslich wird nicht alle Tage ein Oratorium theatralisch dargestellt.

Altbekannt und doch neu

Faust Szenen Foto Ingo Hoehn
Faust Szenen Foto Ingo Hoehn

Wie schon zahlreiche Komponisten vor ihm bediente sich Robert Schumann am Stoff von Goethes «Faust». Anders als seine Kollegen behandelt er allerdings nicht nur den ersten Teil, sondern auch die Fortsetzung «Faust II». Der Kompositionsprozess war langwierig und dauerte fast zehn Jahre. Die Uraufführung aller drei Teile und der Ouvertüre erfolgte 1862, sechs Jahre nach dem Tod des Komponisten. Der schwer depressive Schumann begann das Werk für Solostimmen, Chor und Orchester mit dem Ziel, eine Oper zu schaffen, näherte sich aber immer mehr einem Oratorium an. Schlussendlich entstand ein Werk, das zwischen den beiden musikalischen Formen steht, zwischen Licht und Schatten, zwischen Himmel und Hölle.

Zwischen den Welten

Faust Szenen Foto Ingo Hoehn
Faust Szenen Foto Ingo Hoehn

Den Anfang macht eine Versammlung auf dem Platz vor der Jesuitenkirche. Der Luzerner Mädchenchor und die Luzerner Sängerknaben präsentieren Schumanns Choral «Wenn mein Stündlein vorhanden ist». Komponiert wurde dieser in Endenich in einer Anstalt für psychisch Erkrankte, wo der Komponist seine letzten beiden Lebensjahre verbracht hat. Aus der Jesuitenkirche ertönt nach Abschluss des Chorals das Luzerner Sinfonieorchester mit der Ouvertüre der Faust-Szenen und gemeinsam mit Gretchen im Brautkleid begibt sich das Publikum ins Theater.

Faust Szenen Foto Ingo Hoehn
Faust Szenen Foto Ingo Hoehn

Die Zuschauenden finden sich in Fausts Erinnerungen wieder. Die Bühne ist komplett schwarz gehalten, bis auf einige eindrückliche Projektionen und die Darstellung des Sonnenaufgangs wird Licht nur sehr sparsam eingesetzt. Faust erinnert sich an Gretchen, ihre gemeinsame Zeit, seinen Verrat, ihre Hinrichtung. Er ist verzweifelt, heimgesucht von albtraumhaften Visionen und der Erscheinung Mephistos.
Nach 45 Minuten geht es wieder nach draussen, auf den Platz vor der «Box», von welcher herab ein mit Megaphon bestückter Faust eine Rede an die Menschheit hält. Vom gegenüberliegenden Theater aus antwortet ihm Mephisto und die beiden Protagonisten liefern sich ein gesangliches Duell.
Nach Fausts Tod beginnt die letzte Station in der Jesuitenkirche: die Himmelfahrt. Folgt auf Fausts ständigen Wechsel zwischen Schuldgefühl und Vergessen endlich die Erlösung durch einen Engel in Gestalt von Gretchen? Oder ist dies nur ein Trick seines ständigen Begleiters Mephisto?

Patchwork Truppe

Faust Szenen Foto Ingo Hoehn
Faust Szenen Foto Ingo Hoehn

Die Inszenierung des Luzerner Theater fordert ein ausgefeiltes Zusammenspiel der Beteiligten. Unter der Leitung von Clemens Heil spielt das Luzerner Sinfonieorchester live in der Jesuitenkirche und wird akustisch an die anderen Spielorte übertragen. Der Chor des Luzerner Theaters wird sowohl von einem Extrachor als auch den Kinderchören und Mitgliedern des 21st Century Chorus’ unterstützt. Solistisch sind nicht nur festangestellte Ensemblemitglieder des Luzerner Theaters zu hören: Die Rolle des Fausts übernimmt Sebastian Geyer, der normalerweise an der Oper Frankfurt spielt. Doch egal woher die verschiedenen Musizierenden kommen, ihre Leistungen waren auf hohem Niveau und begeisterten.
Ohne Zweifel, die Faust-Szenen sind in dieser Inszenierung eine einmalige Angelegenheit. So sah es auch das Publikum, welches von der Aufführung begeistert war. Der Schlussapplaus der Premiere mit einer Standing Ovation ist wohl Beweis genug.

Szenenfotos von Ingo Hoehn

fotogalerien.wordpress.com/2018/01/26/luzerner-theater-falstaff-szenenfotos-von-ingo-hoehn/

Trailer über die Produktion:

http://www.luzernertheater.ch/falstaff

Text: www.noemiefelber.ch

Fotos:   Ingo Höhn  www.luzernertheater.ch

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Lucerne Festival, Sinfoniekonzert 4 Ensemble intercontemporain | Ensemble der LUCERNE FESTIVAL ALUMNI | Matthias Pintscher | Solisten, 23. März 2018, besucht von Léonard Wüst

LUCERNE FESTIVAL, Oster-Festival 2018: Sinfoniekonzert 4; Matthias Pintscher dirigiert das Ensemble intercontemporain zusammen mit dem Ensemble der LUCERNE FESTIVAL ALUMNI. Copyright: LUCERNE FESTIVAL / Priska Ketterer
LUCERNE FESTIVAL, Oster-Festival 2018: Sinfoniekonzert 4; Matthias Pintscher dirigiert das Ensemble intercontemporain zusammen mit dem Ensemble der LUCERNE FESTIVAL ALUMNI. Copyright: LUCERNE FESTIVAL / Priska Ketterer

Besetzung und Programm:

Gilles Durot  Xylorimba
Samuel Favre  Glockenspiel
Ann Veronica Janssens  Visualisierung (Lichtkonzept)
Olivier Messiaen (1908–1992)
Des canyons aux étoiles für Klavier, Horn, Xylorimba, Glockenspiel und Orchester

 

Rezension:

Das Werk kann Messiaen-„Anfängern“ nicht empfohlen werden, es ist zu vielschichtig, zu kompliziert, wohl auch zu umfangreich für einen Einstieg, gleichwohl aber eines der bedeutendsten Orchesterwerke des 20. Jahrhunderts, so Edwin Baumgartner in der Wiener Zeitung. Also alles andere als leichte Kost, die das Auditorium im gut besetzten Saal erwartete.

Aussergewöhnliche Töne im Konzertsaal des KKL Luzern

Dirigent Matthias Pintscher  Foto Felix Broede
Dirigent Matthias Pintscher Foto Felix Broede

Es waren dann auch sehr aussergewöhnliche, ungewohnte Klänge, die den Konzertsaal erfüllten, hatte doch Olivier Messiaen u.a. 82 Vogelstimmen für seine Komposition transkribiert und in das Auftragswerk der amerikanischen Mäzenin Alice Tully eingefügt. „Des Canyons aux Étoiles . . .“ ist ein Wunder des Klanges: Mit außergewöhnlicher Besetzung, die auch eine Wind- und eine Sandmaschine einschließt, verleiht der Komponist der Musik eine einzigartige Textur, die sowohl die majestätische Landschaft, ihre Einsamkeit und die sie bewohnenden Vögel vor dem inneren Auge des Zuhörers Gestalt annehmen lässt. Einem normal bis groß besetzten Bläserensemble (mit u. a. immerhin 4 Flöten und 4 Klarinetten) stehen Solo-Klavier, umfangreiches Schlagzeug, aber nur 13 solistische Streicher gegenüber. Dazu hat der erste Hornist konzertante Aufgaben zu erfüllen. Das Werk enthält Kantilenen von nahezu riskanter Süße ebenso wie Choräle in grandios resonierenden Akkorden und virtuose Klavierkaskaden.

Messiaens transkribierte Vogelstimmen als Herzstück der Komposition

Dirigent und Pianist im Dialog
Dirigent und Pianist im Dialog

Vogelrufe, scheinbar abstrakter Konstruktivismus und Freude am Schönklang verbinden sich zu leuchtendem Gotteslob. Eben diese religiöse Botschaft begriffen die Musikkritiker anlässlich der New Yorker Uraufführung im November 1974 nicht, oder wollten sie nicht verstehen, wie sich der Komponist bitter beklagte. Dagegen reagierte das Publikum äusserst enthusiastisch auf das grandiose avantgardistische Klanggemälde. Es gibt kein Leitmotiv, woran sich der Zuhörer festhalten könnte, keine Repetitionen, alles ist im Fluss und unbeständig wie die Naturgewalten, die die beschriebenen Landschaften über Jahrmillionen geformt haben. Man wähnte sich eher an einem Zeremoniell, denn an einem Konzert. Dirigent Matthias Pintscher leitete eher passiv, viel mit Augenkontakt, statt mit Gesten. Besonders innig der lautlose Dialog mit dem Solisten am Konzertflügel.

Exzellente Solisten überzeugten durchwegs

Solist am Piano Hidéki Nagano Foto Franck Ferville
Solist am Piano Hidéki Nagano Foto Franck Ferville

Es war denn auch der japanische Pianist Hidéki Nagano, der die Aufführung am nachhaltigsten prägte, dies als Primus inter Pares, da am häufigsten als Solist in Aktion. Gefordert auch die Schlagwerke, ins besonders Gilles Durot am Xylorimba, Samuel Favre am Glockenspiel und dazu der grossartige Solist am Horn Jean-Christophe Vervoitte. Diese Protagonisten durften sich dann am Konzertende auch alle einen Extraapplaus abholen. Ein Schlussapplaus, der sehr kräftig und langanhaltend ausfiel, fast etwas ehrfürchtig das Gebotene würdigend.

 

Länge des Werkes fordert nicht nur die Musiker, sondern auch das Auditorium

Dirigent Matthias Pintscher Foto Priska Ketterer
Dirigent Matthias Pintscher Foto Priska Ketterer

Das Werk ist, mit einer Spieldauer von ca. 1 Stunde und 40 Minuten aussergewöhnlich lang, fast zu lang, widerspiegelt aber die von Messiaen tonal beschriebenen Landschaften wahrscheinlich bis in das kleinste Detail. Ihm hatten es ja vor allem auch die vielfältigen Rottöne angetan, wie er auch schriftlich festhielt. („Es gibt Schlösser, Türme, Verliese, es gibt Kanzeln, Brücken, Fenster und dann, noch schöner, gibt es die Farben! Alles ist rot, alle Arten von Rot, rot – violett, rosé, dunkles Karmesinrot, Scharlachrot, alle möglichen Nuancen von Rot, eine aussergewöhnliche Schönheit“) notierte er, während seine Frau, die bekannte Konzertpianistin Yvonne Loriod,  Fotos der Landschaften machte.

Unnötige Lichtinstallation  

Diriigent und Solisten holen sich den Spezialapplaus ab, Foto Priska Ketterer
Diriigent und Solisten holen sich den Spezialapplaus ab, Foto Priska Ketterer

Kleiner Wehmutstropfen: Die angekündigte Visualisierung (Lichtkonzept) des Konzertes der weltbekannten Art Performerin  Ann Veronica Janssens, hat diesen Namen nicht verdient, war eher störend, denn ergänzend oder gar bereichernd. Die an die Wände projizierten farbigen Lichtkegel wirkten wie die Spielerei eines Kindes mit einer grossen Taschenlampe.

Text: www.leonardwuest.ch Fotos: www.lucernefestival.ch

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Lucerne Festival, Sinfoniekonzert 2 Filarmonica della Scala | Riccardo Chailly, 21.März 2018, besucht von Léonard Wüst

Filarmonica della Scala Riccardo Chailly Foto Peter Fischli
Filarmonica della Scala Riccardo Chailly Foto Peter Fischli

Besetzung und Programm:

Pjotr Iljitsch Tschaikowsky (1840–1893)
Sinfonie Nr. 2 c-Moll op. 17 Kleinrussische
Dmitri Schostakowitsch (1906–1975)
Drei Stücke aus der Oper Lady Macbeth von Mzensk op. 29
Igor Strawinsky (1882–1971)
Petruschka. Ballett in vier Bildern (Fassung von 1947)

 

Rezension:

Riccardo Chailly, Foto Teatro alla Scala
Riccardo Chailly, Foto Teatro alla Scala

Riccardo Chailly, seit 2015 Musikdirektor an der Mailänder Scala, mit seinem eigentlichen Stammorchester, der Filarmonica della Scala (gegründet im Jahre 1982 von seinem Mentor Claudio Abbado) im Konzertsaal des KKL in Luzern, eine äusserst spannende Konstellation, amtiert Chailly seit 2016 doch auch als Chefdirigent des „Lucerne Festival Orchestra“. Demnach fast so etwas wie ein doppeltes Heimspiel.

Tschaikowskys „Sinfonie Nr. 2, genannt die „kleinrussische“, im ersten Konzertteil

Konzertimpression, Foto Priska Ketterer
Konzertimpression, Foto Priska Ketterer

Während eines Aufenthaltes auf dem Hofe seines Schwagers in Kamenka ( Kamjanka) in der heutigen Ukraine, die man damals, zu Zarenzeiten,  Kleinrussland nannte, komponierte Tschaikowsky diese Sinfonie, aufbauend auf drei kleinrussischen Volksliedern und geprägt von ländlichen Eindrücken dieses Sommers 1872. Das Werk wurde am 7. Februar 1873 in Moskau uraufgeführt, die total revidierte Fassung am 12. Februar 1881 in Sankt Petersburg. Ausser das erste der Lieder, das bekannte „Drunter bei Mutter Wolga“ ist es ein schon fast fröhliches, heiteres Werk, im Gegensatz zu doch eher düsteren anderen Kompositionen des in Kamsko-Wotkinski Sawod (heute Wotkinsk, Udmurtien), geborenen Künstlers. Mit der Kombination statischer Variationsreihen mit einem dynamischen Sonatensatz und deren harmonisch – tonale Verschiebungen scheint der Komponist bereits im folgenden, dem 20. Jahrhundert, angekommen.  Dirigent Chailly führte denn das Orchester fast beschwingt durch die Partitur, die trotz der scheinbarer Leichtigkeit, doch einige Tücken aufweist, die aber keinerlei Problem darstellten für das routinierte, im Jahre 1982 von Claudio Abbado gegründete Orchester aus Mailand.

Konzertimpression, Foto Priska Ketterer
Konzertimpression, Foto Priska Ketterer

Die relativ selten gespielte Sinfonie, die zum ersten Mal überhaupt am Lucerne Festival aufgeführt wurde, sowie deren Interpretation durch die Protagonisten, vermochte das Publikum zu begeistern, das dementsprechend kräftigen, langanhaltenden Applaus spendete. Gutgelaunt und aufgeräumt begab man sich in die folgende Pause.

Etwas Schostakowitsch und viel Strawinsky im zweiten Konzertteil

Konzertimpression, Foto Priska Ketterer
Konzertimpression, Foto Priska Ketterer

Ebenfalls erstmal am Lucerne Festival aufgeführt wurde zuerst die Suite aus der Oper „Lady Macbeth von Mzensk“, Schostakowitschs verstörende Adaption des Klassikers. Da offensichtlich die Musik nicht liniengetreu war, resultierte damals der folgende Verriss in der „Prawda mit dem Titel „Chaos statt Musik“: Zitat: „und das alles ist grob, primitiv und vulgär, sodass in keiner Weise von Satire die Rede sein“. Man vermutet bis heute, dass Stalin selbst der Autor dieser Zeilen war. Schostakowitsch fiel denn auch prompt für eine lange Zeit in Ungnade, seine Werke nur noch selten gespielt bis zu seiner Rehabilitation. Die Suite widerspiegelt die damals im Lande herrschende Verrohung, die brutalen Sitten und die Atmosphäre beständiger Gewalt im Volk. Er verfasste sie, die drei Zwischenspiele koppeln sollte, höchst selbst kurz nach Abschluss der Opernpartitur. Eine Aufführung aus dieser Zeit ist nicht dokumentiert, sodass der 8. Juni 2005, Aufführung durch das Radio – Sinfonieorchester Stuttgart, als eigentliche Uraufführung gilt. Auch dieses kurze Werk und dessen Interpretation fanden den Gefallen des Auditoriums, das wiederum begeistert applaudierte.

Krönender Abschluss mit Strawinsky

Konzertimpression, Foto Priska Ketterer
Konzertimpression, Foto Priska Ketterer

Die Gelegenheit, um noch einmal so richtig ihr grosses Können demonstrieren, bot sich den Musikern mit dem letzten Werk des Abends, dem 1910 von Igor Strawinsky in Paris für die Compagnie der Ballets Russes komponierten „Petrouschka“, zu welchem der Komponist, zusammen mit Alexandre Benois, auch das Libretto verfasste. Ursprünglich als Konzertstück für Klavier und Orchester konzipiert, adaptierte Strawinsky den Stoff für das Ballett, erschuf mit seinen Puppenfiguren eine Fantasiewelt, die er aber in den Rahmen einer realen Welt, den Sankt Petersburger Fastnachtsmarkt einbettete.

Ein Werk mit zwei völlig unterschiedlichen Klangwelten

Konzertimpression, Foto Priska Ketterer
Konzertimpression, Foto Priska Ketterer

So entstehen eigentlich zwei Klangwelten, die real – folkloristische mit Jahrmarktsgeräuschen u.a. von Drehorgeln, Ausrufern usw. und die surreale Klangwelt der Puppen, die in einer Dreiecksbeziehung gefangen sind. Berühmtheit erlangte vor allem das Leitmotiv Petrouschkas, eines auf – und absteigenden Dreiklangs, ein total schräger, weil bitonal aus C Dur und Fis Dur. was zusammen den berühmten  „Petrouschka Akkord“ ergibt, ähnlich bekannt wie Wagners „Tristan Akkord“. Riccardo Chailly schälte die Nuancen der Komposition feinfühlig heraus, liess es, immer mit vollstem Körpereinsatz, auch mal krachen, zelebrierte die Pianissimo mit zarten Fingergesten, lobte mit zustimmendem Kopfnicken, forderte mit ausholenden Armbewegungen mehr Tempo ein. Die Filarmonica ergab sich ihrem Leiter, interpretierte die Komposition in Perfektion, auch mal mit einem leisen Schmunzeln, dann wieder energisch kraftvoll. Die Figuren, der Kasperl (Petruschka), die selbstverliebte Ballerina und der ebenso prächtige, wie dumme Mohr, präzis herausgearbeitet, kontrapunktierten das kommune Jahrmarktstreiben. Absolute Weltklasse, ob Solisten, das Orchester als gesamtes und die Interpretation. Dementsprechend begeistert fiel dann der Schlussapllaus aus, der Maestro wurde immer wieder auf die Bühne zurück applaudiert. Chailly genoss sichtlich die Oviationen und wie ihm sein „Heimpublikum“ huldigte und so gewährte er dann doch noch eine Zugabe.

Dirigent Riccardo Chailly
Dirigent Riccardo Chailly

Für diese wählte er die Ouvertüre des „Wilhelm Tell“ von Gioachino Rossini, wie mir schien, um mit diesem Gassenhauer doch noch eine stehende Ovation zu provozieren in etwa so, wie zum Abschluss des Neujahrskonzerte im Saal des Wiener Musikvereins Am Ende der „Radetzky Marsch“ dazu gehört. Dies löste durchaus geteilte Reaktionen aus. Während die einen dies wohl als Hommage an die Innerschweiz empfanden, wenn Chailly mit dem lombardischen Orchester unseren Nationalhelden musikalisch hochleben liess,  waren etliche der Meinung, etwas russisches, oder zumindest slawisches, wäre passender gewesen zum Abschluss. Ein grosser kräftiger Schlussapplaus war den Protagonisten, im praktisch vollbesetzten Saal dennoch sicher, wenn es auch nicht  ganz für eine „Standing Ovation“ reichte.

Text: www.leonardwuest.ch Fotos: www.lucernefestival.ch

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