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Orpheum Stiftung präsentiert: Tschaikowsky Sinfonieorchester Moskau, Tonhalle Zürich, 30.August 2015, besucht von Léonard Wüst

Tschaikowsky Sinfonieorchester MoskauBesetzung und Programm:

Tschaikowsky Sinfonieorchester Moskau
Dirigent: Vladimir Fedoseyev

Valery Kikta
Neues Werk, Uraufführung

Dmitri Schostakowitsch
Cellokonzert Nr. 1 Es-Dur op. 107
Solist: Aurélien Pascal

Sergej Rachmaninow
Klavierkonzert Nr. 3 d-Moll op. 30
Solist: Vadym Kholodenko

Rezension:

Grundsätzliches zur Orpheum Stiftung:

Einen Tag nach der „Streetparade“ der Raver rund ums Zürcher Seebecken mit ca. einer Million Besuchern, ging es beim 25 Jahr Jubiläum der Orpheum Stiftung in der Tonhalle beschaulicher zu und her. Im fast voll besetzten Konzertsaal begrüsste Gründer und Stiftungsratspräsident   Dr. Hans Heinrich Coninx die Besucher, erläuterte einige Eckdaten und nannte ein paar Zahlen der Stiftungsgeschichte. (Detailliertere Informationen finden Sie über den eingefügten Link am Ende des Artikels).  

Dirigent Vladimir FedoseyevGestartet wurde in den ersten Konzertteil mit einer Uraufführung des ukrainischen Komponisten Valery Kikta, die auf Wunsch und Anregung des Orpheum - Kuratoriumsvorsitzenden Vladimir Fedoseyev entstand und Hans Heinrich Coninx und dessen Gattin Christine Gerber Coninx gewidmet ist.

Die Introduktion klang irgendwie vertraut, kein Wunder, ähnelt sie doch dem Eurovisionssignet, Eurovisions-Melodie / Fenseh-Signet / nach Marc-Antoine Charpentier (1636-1704), entwickelte sich aber nach diesen paar Tönen immer eigenständiger und raumfüllender, eine Komposition, an die man sich durchaus gewöhnen könnte und das Zeug zum Klassiker hat, wenn sie öfter gespielt werden wird. (Auch Werke manch Heute als gross geltender Komponisten brauchten ihre Zeit zur Verbreitung und Popularisierung, Tonträger gabs ja noch nicht, mussten also nach und nach in den Salons der grossen Städte, mancherorts, wo vorhanden, in Konzertsälen meist von den Komponisten selbst aufgeführt werden. Auch Partituren und deren Kopien wurden seinerzeit noch teilweise, ja sogar meistens von Hand verfasst). Die Komposition wurde immer eindrücklicher und vertrauter und endete spektakulär. Das Orchester wurde für die Interpretation reichlich mit Applaus bedacht.

Solist am Cello Aurélien PascalEs folgte der, wie sich im Nachhinein erwies, Höhepunkt des Konzertabends, die Darbietung des Konzertes für Violoncello und Orchester in Es – Dur von Dmitri Schostakowitsch durch Aurélien Pascal. Mit erstaunlicher Abgeklärtheit an – oder wehklagte der junge Pariser mit seinem Instrument, die damals aktuelle Gefühlswelt des Komponisten nach aussen stülpend, dies natürlich mit einer blendenden Technik und viel Enthusiasmus, so gekonnt, dass man fast ein Raunen des Publikums zu hören vermeinte. Da staunte selbst das sehr sachkundige Publikum, wie reif der junge Musiker, das für den russischen Cellisten Mstislaw Leopoldowitsch Rostropowitsch (1927 – 2007) geschriebene Werk zelebrierte. Entsprechend fiel der Applaus für den Solisten und das ihn kongenial unterstützende Orchester aus.

Solist am Piano Vadym KholodenkoDann, im zweiten Konzertteil erklang es endlich: Das Leitmotiv des dritten Klavierkonzertes, das mich immer in eine Rachmaninowendlosschlaufe versetzt, die durchaus belastend sein kann nachts, wenn Du nicht mehr raus- und keinen Schlaf mehr findest. Wahrscheinlich trägt dazu auch „Shine“(der Weg ans Licht) die 1996, Oscar -   preisgekrönte verfilmte Biografie von David Helfgott bei. Fedosejef   ging den Part, von dem ja verschiedene, von Rachmaninow selber überarbeitete Versionen existieren, erstaunlich zügig an, was mich auf eine Spieldauer um die 42.50 Minuten spekulieren liess, meistens sind es so um die 44. Khodolenko nahm dann eigenmächtig etwas Tempo weg, keineswegs weil er technisch nicht in der Lage wäre, die äusserst anspruchsvolle Aufgabe zu meistern, mir schien eher, er könne dadurch mehr Persönlichkeit einbringen. Der Solist wurde aber bei den Orchestereinsätzen vom Dirigenten wieder angetrieben. Später fanden sich die beiden auf einem angenehmen Tempo, bei dem man sich auch als Zuhörer nicht überfordert fühlte, ist es doch, laut Berechnungen, von allen großen Klavierkonzerten das mit den meisten Noten pro Sekunde im Klavierpart. Schlussendlich dauerte die Nummer 3 gestoppte 43:07. So oder so war jede Sekunde ein Hochgenuss, dementsprechend heftig applaudierte das Auditorium den Protagonisten, die daraufhin noch zwei kleine Zugaben darboten, wovon die zweite eine Kurzversion eines mir unbekannten Walzers. Zu einer Standing Ovation reichte es dann doch nicht ganz, das hing wahrscheinlich auch mit einem gewissen Gerechtigkeitssinn gegenüber dem ebenso grandiosen Solocellisten Aurélien Pascal im ersten Konzertteil zusammen. Entspannt freudig machte ich mich auf die Fusswegschlaufe Richtung Hauptbahnhof, war es doch für mich ein Novum dieses Rachmaninow - Klavierkonzert live erlebt zu haben, kannte ich doch nur diverse Versionen ab Tonträgern.

Nachtrag zum Tempo beim Klavierkonzert Nr. 3 von Sergej Rachmaninow:

(Könnte eventuell die Erklärung sein: Quelle Wikipedia: Russische Pianisten bevorzugen allerdings i. d. R. die klanggewaltigere Original-Kadenz, die heute als ossia gedruckt wird. Einige Pianisten mischen die Kadenzen; dann wird mit der schnelleren angefangen und einige Takte vor Presto in die originale übergeleitet).

Rachmaninow Klavierkonzert Nr.3 d-moll
Allegro ma non tanto, 17:53 Intermezzo:Adagio, 27:38 Finale:Alla breve

Rachmaninow Klavierkonzert Nr.3, Denis Matsuev

www.youtube.com/watch?v=SYXL_dex69Q

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos: orpheum.ch/ger/

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Lucerne Festival im Sommer 2015: Sinfoniekonzert 17, SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, François-Xavier Roth, Dirigent, Sabine Meyer, Solistin Klarinette, besucht von Gabriela Bucher – Liechti

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und FreiburgBesetzung und Programm:

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg François-Xavier Roth, Dirigent Sabine Meyer, Solistin Klarinette

György Ligeti (1923-2006) Lontano für grosses Orchester

Márton Illés (*1975) Re-akvarell für Klarinette und Orchester
(Auftragswerk von LUCERNE FESTIVAL und des Norddeutschen Rundfunks | Uraufführung)

Béla Bartók (1881-1945) Konzert für Orchester Sz 116

Rezension:

Man hätte dem SWR Symphonieorchester Baden-Baden und Freiburg an seinem allerletzten Konzert einen etwas besser besetzten Saal gewünscht. (Ab nächstem Jahr fusioniert es mit dem Radio Sinfonieorchester Stuttgart). Am ausgezeichneten Ruf des Orchesters konnte es nicht liegen und schon gar nicht an der hochkarätigen Solistin Sabine Meyer an der Klarinette. Aber es gab wohl gleich mehrere Gründe für das Wegbleiben der Besucher: Ein vielleicht letzter wunderschöner Sommersonntag, die Tatsache, dass es sich um eine Matinée handelte und ein nicht ganz so gängiges Programm mit Werken von Ligeti und Bartok, dazu eine Uraufführung des jungen ungarischen Komponisten Màrton Illés.

 

Wer sich an diesem hochsommerlichen Sonntag ins kühle KKL gewagt hatte, erlebte ein musikalisches Ereignis der Sonderklasse. Das Konzert begann mit «Lontano» für grosses Orchester von György Ligeti, einem einsätzigen Orchesterstück, welches der Komponist im Auftrag des Südwestfunks Baden-Baden geschrieben hatte. Mit den ersten Tönen fühlte man in eine andere Welt versetzt. Der Dirigent François-Xavier Roth liess das grosse Orchester zeitweise wie auf Zehenspitzen daherkommen. Das sanfte, sphärische Flimmern erinnerte an eine Fata Morgana, die Töne schienen im Saal zu schweben, schoben sich heran, flirrten im Raum, die brummenden Bässe legten sich darunter wie Motorengeräusche. Der Klangteppich schwoll an, fiel in sich zusammen und bäumte sich ein letztes Mal auf, bevor er in einem einzigen Ton, lediglich einem schwachen Summen, endete und dabei einmal mehr die fantastische Akustik des Weissen Saals unterstrich.

 

Sabine Meyer, Solistin Klarinette_c_Thomas RabschIm Auftrag von Lucerne Festival schrieb Màrton Illés «Re-akvarell», ein Konzert für Klarinette und Orchester. Er widmete das Werk dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg sowie der Klarinettistin Sabine Meyer. Zwei langsame Sätze rahmen einen schnellen. Neben sechs Hörnern und unzähligen Holzbläsern werden Harfe, Klavier, Akkordeon und drei Schlagzeuge eingesetzt, trotzdem kommt das Stück leichtfüssig und filigran daher. Die Solistin Sabine Meyer spielte oder wob vielmehr anfänglich über mehrere Takte einen einzigen Ton, übergab diesen ans Orchester, welches daran weiter spann, reihte sich wieder ein, nur um sich gleich wieder herauszuschälen und eine neue Melodie zu kreieren. Manchmal stiegen die Töne wie Seifenblasen aus ihrem Instrument, manchmal fragte man sich, wie sie diese aus ihrem Instrument herauszauberte. Das Orchester griff ihre Melodien immer wieder auf, fiel in sich zusammen, ein gegenseitiges Anspornen, das sich ins Atemlose steigerte. Wie Wellen rollten die Akkorde an, ein Aufschrei des Orchesters, rasende Läufe der Solistin und ein letztes Verlöschen. Das Publikum feierte begeistert den Komponisten, die Solistin, das Orchester und den Dirigenten.

 

Als letztes Stück folgte nach der Pause Béla Bartoks Konzert für Orchester, eines seiner bekanntesten Stücke und zugleich eines der zugänglichsten. Das Werk trägt den Namen Konzert, weil die einzelnen Instrumente mehrheitlich solistisch eingesetzt werden. Wehmütige, pathetische Momente wechselten sich mit tänzerischen und humorvollen Passagen. François-Xavier Roth konnte mit dem SWR Sinfonieorchester aus dem Vollen schöpfen, eine mitreissende, kraftvolle und temporeiche Interpretation.

 

Mit einer Schubert-Zugabe verabschiedete der Dirigent das Orchester, das, so seine dem Publikum zugewandte Bemerkung, als Vertreterin der Avantgarde nach Ansicht einiger Politiker «überflüssig» geworden sei.

Abschliessend feierten die Konzertbesucher die Süddeutschen Musiker mit langanhaltendem Applaus und einer Standing Ovation.

Text: www.gabrielabucher.ch

Fotos: www.lucernefestival.ch

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Lucerne Festival im Sommer 2015: Sinfoniekonzert 10 – Boulez-Hommage 7 Lucerne Festival Academy Orchestra | Ensemble intercontemporain | Mariano Chiacchiarini | Julien Leroy | Matthias Pintscher, besucht von Léonard Wüst

     Pierre Boulez und das LUCERNE FESTIVAL ACADEMY OrchestraProgramm und Besetzung:

Lucerne Festival Academy Orchestra Ensemble intercontemporain Mariano Chiacchiarini Dirigent (Peszat) | Julien Leroy Dirigent (Moussa) | Matthias Pintscher Dirigent

«Ein Tag für Pierre Boulez»

György Kurtág (*1926) Neues Werk
Auftragswerk von LUCERNE FESTIVAL | Uraufführung

Wolfgang Rihm (*1952) Fusées 2
Auftragswerk von LUCERNE FESTIVAL | Uraufführung

Piotr Peszat (*1990) Pensées Étranglées für Orchester
Auftragswerk im Rahmen der Roche Young Commissions | Uraufführung

Samy Moussa (*1984) Neues Werk für Orchester
Auftragswerk im Rahmen der Roche Young Commissions | Uraufführung

Matthias Pintscher (*1971) Osiris für Orchester

Pierre Boulez (*1925) Notations I-IV und VII. Fassungen für Klavier und Orchester

Rezension:

Ungewöhnlich neu und spannend war die Konzerteinführung. Pierre Boulez` Notations in den Augen und Ohren von 17 Schülern der 4. Klasse des Primarschulhauses Burg in Büron ((Kanton Luzern, Lehrperson Ingrid Guntern), erarbeitet in einem Workshop, umgesetzt und vorgeführt mit Musik, Tanz und Pantomime, teilweise auf eine Leinwand projiziert mit Vibraphonen vorgetragen, moderiert von Tobias Bleek vom „Klavier – Festival Ruhr“.

Pierre Boulez (Georg AnderhubLUCERNE FESTIVAL)Erstaunlich, mit wieviel Fantasie und Einfühlungsvermögen die jungen Schüler die Zwölftonwerke zusammen entwickelten und umgesetzt haben, beispielsweise indem sie sich pantomimisch von Mäusen zu Drachen und wieder zurück verwandelten, mit entsprechenden selbst dargebotenen Tonabfolgen auf den Vibraphonen. Scheinbar finden junge, nicht vorbeeinflusste Schüler einfacheren Zugang zu neuer Musik, als so manch gestandener Konzertgänger.

Diejenigen, die die Einführung besuchten, liessen sich jedenfalls positiv überraschen und spendeten den Surentaler Arrangeuren den verdienten Beifall, wofür sich diese, mit schon fast routinierten Verbeugungen, auch artig bedankten. Alle hatten ihren Spass, die Gebenden und die Nehmenden. Die optimale Vorbereitung für das folgende Konzert, das mit gleich vier Uraufführungen programmiert war. Kurzfristig wurde die Reihenfolge aber abgeändert, das Werk von Pjotr Peszat rückte in den zweiten Konzertteil, dafür folgte die Komposition „Osiris“ von Matthias Pintscher den drei übrigen Uraufführungen zum Schluss des ersten Teils. Eine gute Entscheidung, wie sich später herausstellte.

Es begann lautstark mit dem Werk von Samy Moussa (dirigiert von Julien Leroy), dementsprechend fast ohne beruhigende Streicher, die Bühne war hauptsächlich den Schlaginstrumenten vorbehalten, erst ganz am Schluss wurde die Partitur etwas sanfter, versöhnlicher. Das Publikum fand Gefallen an den ungewohnten Tönen und applaudierte den Komponisten auf die Bühne, was dieser sich, strahlend, gerne gefallen liess. Anschliessend übernahm Matthias Pinscher das Dirigieren. Es folgten leisere Töne beim Auftragswerk des Lucerne Festivals des Ungarn György Kurtag, ein Komponist der Boulez – Generation (*1926), auch diese gefielen den Zuhörern die nun gespannt waren, was der, ebenfalls anwesende Wolfgang Rihm im Auftrag des Lucerne Festival komponiert hatte. Im Gegensatz zu den andern Komponisten, kennt man Rihm doch schon einigermassen an den Gestaden Vierwaldstättersees. Es begann irgendwie psychedelisch sphärisch geheimnisvoll, mit relativ kleiner Besetzung. Es waren nur acht Streicher, wovon vier Kontrabässe und ein Cello, den Bläsern und der Rhythmussektion zugesellt, etwas gewöhnungsbedürftig, aber auch diese Komposition bestand die Feuertaufe mit Bravour, bestätigt durch den Applaus, bei dem Dirigent Pinscher den Komponisten auch auf die Bühne bat. Dann erklang zum ersten Mal am Lucerne Festival „Osiris“, Pintschers Komposition aus dem Jahre 2007, die Pierre Boulez zusammen mit dem Chicago Symphony Orchestra 2008 in Chicago uraufgeführt hatte, wahrlich eine Komposition für ein grosses Orchester in jeder Bedeutung des Wortes. Inspiriert durch das gleichnamige Bild von Joseph Beuys gelang Pinscher ein wirklich grosser Wurf, der alles enthält, was zeitlose Oeuvres ausmacht. Alle Ressourcen und Facetten des fabelhaften, von Pierre Boulez und Festival - Intendant Michael Häfliger gegründeten Orchesters voll ausschöpfend, setzte Pintscher seine Visionen in akustische Bilder um, zeitgenössische Musik, richtungsweisend wie von Mentor und Förderer Boulez angedacht. Wie der grosse Meister immer betont, darf Musik nie zu Ende sein, sondern sie ist ein immerwährender Schöpfungsakt, der kontinuierlichen Anpassung verpflichtet. Unter Beifallstürmen endete dieser erste Konzertteil und man begab sich aufgewühlt und emotional tief berührt in die Pause.

Matthias PintscherFür den Start des zweiten Konzertteils mit Pjotr Peszats „Pensees étranglées“ übernahm Mariano Chiacchiarini das Kommando am Dirigentenpult. Auch diese Komposition benötigt einen zahlenmässig gross besetzen Klangkörper und kommt trotzdem nicht grossspurig larmoyant daher, der junge Pole ist eher der Mann der leisen Töne, der sparsamen Gestik, nicht im Ausdruck, nur im Klangvolumen. Dies sah oder hörte auch das Auditorium so, dementsprechend der zustimmende Applaus. Zwischenspiel in Form einer kurzen Talkshow, für die Pintscher alle anwesenden Komponisten und Dirigenten dieses Abends auf die Bühne bat und um eine Aussage zur Beziehung des jeweiligen zu Pierre Boulez nachfragte. So gaben alle kurze Statements ab oder kleine Anekdoten zum Besten, wie auch Pintscher selber sein erstes Zusammentreffen mit dem grossen Musiker schilderte, gedacht als Einleitung zur Darbietung der „Notations“ I bis IV und VII. Präsentiert wurden diese dann in Form der Gegenüberstellung der ursprünglichen Klavierversionen, die Boulez als Zwanzigjähriger 1945 in Paris verfasste und den für Orchester bearbeiteten Notations I bis IV von 1978 und der Fassung der siebten aus dem Jahre 1998. Den Pianopart spielte Andrew Zhou, Student der Lucerne Festival Academy. Die Notations sind keine Ohrwürmer, sondern eben Bewertungen, d.h. alles in der Zwölftontechnik verfasst, die Interpretation ist offen, wie dies die Büroner Schüler bei der Einführung demonstriert hatten. Es ergaben sich reizvolle Direktvergleiche der verschiedenen Schaffungsphasen des Genies Boulez dem Vorwärtsdrang, der Befreiung von vermeintlichen Zwängen der Kompositionsarchitektur zum Erschaffen neuer Klangwelten, nicht bloss durch moderner arrangierte Musikliteratur. Wie eng Pintscher mit Boulez verbunden ist, zeigte sich sehr in der Umsetzung der Boulez Ideen durch das von ihm geleitete Festival Academy Orchestra. Dieses lief denn auch zur absoluten Topform auf in Form eines gewissen Spielrausches bis zur finalen Krönung mit der Notation VII. Eine Applauskaskade durch das überwältigte Publikum, fast ehrfürchtig dargeboten, diesen Zaubermoment festhaltend. Das war nicht eine kleine Nachtmusik sondern eine grosse Abendmusik als Krönung dieses denkwürdigen Tages der „Hommage an Pierre Boulez“, welcher leider aus gesundheitlichen Gründen nicht physisch anwesend sein konnte.

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos: www.lucernefestival.ch

 

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Lucerne Festival im Sommer 2015: Sinfoniekonzert 7 Kammerorchester Basel | Trevor Pinnock | Klaus Maria Brandauer | Solisten, besucht von Léonard Wüst

KammerorchesterBasel (c)Christian-FlierlProgramm und Besetzung:

Kammerorchester Basel | Trevor Pinnock | Klaus Maria Brandauer | Solisten

Trevor Pinnock | Klaus Maria Brandauer Kammerorchester Basel | Mitglieder der Basler Madrigalisten: Gunhild Lang-Alsvik Sopran | Ilze Paegle Sopran | Londa Deborah Loosli Mezzosporan | Bernadeta Sonnleitner Mezzosporan | Trevor Pinnock Dirigent | Klaus Maria Brandauer Sprecher | Lauryna Bendziunaite Sopran | Ursula Eittinger Mezzosopran

Henry Purcell (1659-1695) Suite aus der Masque The Fairy Queen Z. 629 (eingerichtet von Trevor Pinnock)

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) Ein Sommernachtstraum opp. 21 und 61 Ouvertüre und Bühnenmusik

Rezension:

Brandauer Klaus Maria_c_ChristofMattesEs war absehbar und es kam auch so: Der programmierte Sommernachtstraum mit rezitierten Texten wurde fast zur „One man Show“ des Klaus Maria Brandauer.

Aber von Anfang an. Der erste Konzertteil mit der Semi – Opera von Henry Purcell, uraufgeführt am 2. Mai 1692 in London, war eine der teuersten Produktionen jener Zeit und die erzielten Einnahmen deckten bei weitem die Kosten nicht, obwohl sie durchaus erfolgreich war und Zuspruch fand. Pinnock stellte für das heutige Konzert eine kleine Suite aus Purcells umfangreicher Bühnenmusik zusammen, die sowohl Instrumental – als auch Gesangsnummern umfasste, beginnend mit der festlichen fünfteiligen Symphonie to Act 4, beinhaltend die Ouvertüre mit zwei Trompeten, Kesselpauke und Streichern, bei denen, laut Purcell, die Sonne aufgeht, „bis sie schliesslich in vollem Glanz am Himmel steht und die Szene taghell beleuchtet“. Dann das schmerzlich - süsse von den Streichern eingeleitete und durch den Chor abgerundete „If love`s a sweet passion“, die Titanias Liebe zu dem in einen Esel verwandelten Zettel wiedergibt. Hier beeindruckten zwei Solistinnen sowie die vier Sängerinnen der Basler Madrigalisten, je drei Sopranistinnen und Mezzosopranistinnen. Während Lauryna Bendziunaite (Sopran) anfänglich noch etwas Mühe bekundete, sich von den Chorsängerinnen abzuheben, gelang dies Mezzosopranistin Ursula Eittinger überzeugend. Das Orchester, ausser den Cellisten alle stehend, der Dirigent auf dem Cembalo spielend Harmonien setzend, liess PinnockTrevor_c_Peer-Lindgreenuns hineingleiten in Purcells Welt der „Fairy Queen Z. 629“. Die Basler besonders beeindruckend in den leisen Passagen und mit überragenden, präzis gesetzten Bläsereinwürfen. Pinnock führte seine Mitmusiker mit fast unmerklichen Bewegungen aus den Handgelenken und Fingerzeigen, auf grosse ausholende Gesten konnte, oder wollte er verzichten. Gemeinsam mit den Sängerinnen boten sie eine überzeugende Darbietung dieses, relativ selten programmierten Werkes aus der Zeit vor dem Siegeszug der italienischen Oper in Grossbritannien. Die litauische Sopranistin steigerte sich kontinuierlich und brillierte im Duell mit dem Oboisten Matthias Arter, welcher dafür am Schluss einen Extraapplaus entgegen nehmen durfte. So überzeugte der erste Konzertteil das Publikum, welches mit Applaus nicht sparte und sich anschliessend gutgelaunt in die Pause begab.

Zweiter Konzertteil mit Felix Mendelssohns Sommernachtstraum, komponiert im zarten Alter von grad mal 17 Jahren. Frenetisch applaudierend empfing das Auditorium die auf die Bühne zurückkommenden Musiker und natürlich besonders den sich dazugesellenden Klaus Maria Brandauer. Dieser rezitierte dann auch gleich zwei Sätze, setzte sich nachher auf einen Stuhl, vermeintlich vor sich hindösend, während das Orchester die Ouvertüre zügig intonierte. Alle irgendwie unschlüssig, ob Brandauer wirklich eingenickt war, oder das nur spielte. Die Frage wurde dann schnell geklärt, brachte er sich doch als aufgeweckter Sprecher wieder ein und zurück ins Geschehen, in dem er auch zügig das Diktat übernahm und die Szene beherrschte. Zwischendurch wurde auch wieder musiziert, was aber, leider, fast etwas zur Nebensächlichkeit verkam und fast unterging. Zu dominant war Brandauer bei seinen Monologen und bot, fast dozierend,   eine Lehrstunde der Schauspielkunst mit allen Facetten der Sprachgewalt, Mimik und Gestik. Fast irritierend präsent erdrückte er seine Lauryna Bendziunaite, SopranBühnenpartner. Als er dann auch noch improvisierte, hatte er den Konzertsaal endgültig monopolisiert und erstaunt nahm man zur Kenntnis, wieviel Platz eine einzelne Person beanspruchen kann. Spielerisch deutete er dann sogar ein kleines Tänzchen mit dem Dirigenten an, was dieser amüsiert mitmachte. Dann aber meldete sich das Orchester mit dem bekannten Hochzeitsmarsch tongewaltig zurück und übernahm das Zepter wieder, was der Burgtheatermime mit den Worten schön, immer wieder schön quittierte. Weiter gings mit dem Zwischenspiel Melodram, bevor Brandauer zum Rüpeltanz bat, bestens dargeboten von den dazu herausgeforderten Instrumentalisten, wiederum gefolgt von einem Melodram, dem das grosse Finale mit allen Sängerinnen folgte, wo dann die Solosopranistin noch einen Glanzpunkt setzte, der das Gleichgewicht von Text und Musik wieder einigermassen ins Lot brachte.

 

Ursula Eittinger MezzosopranEin spezieller Abend der neue Akzente setzte und bei dem die Aufführenden mit einer Standing Ovation belohnt wurden.

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos: www.lucernefestival.ch

kammerorchesterbasel.ch/de/orchester/

 

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