Erste Kinderherztransplantation trotz unterschiedlicher Blutgruppe
Premiere am Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad Oeynhausen: Dank spezieller
Blutfilter-Methode bessere Überlebenschancen für schwer herzkranke Kinder
unter 2 Jahren
Im Kinderherzzentrum des Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW) in Bad
Oeynhausen hat ein kleines Mädchen am 16. September gemeinsam mit den
Eltern seinen zweiten Geburtstag gefeiert. Das ist ein kleines Wunder.
Denn die zweijährige Dalyah lebt, weil die Herzspezialisten um Prof. Dr.
Stephan Schubert und Prof. Univ. Dr. Eugen Sandica ein neues komplexes
Verfahren der Blutfilterung (Gycosorb Filter, Glycorex) einsetzten, um die
Transplantation eines blutgruppenungleichen Spenderherzens zu ermöglichen.
Die in Bad Oeynhausen erfolgte Kinderherztransplantation dieser Art, eine
sog. AB0-inkompatible Herztransplantation, wurde zum allerersten Mal in
Deutschlands größtem Herztransplantationszentrum durchgeführt. Der Stand
der Forschung zu diesem Thema und klinische Erfahrungen aus dem Ausland
lassen hoffen, schwer herzkranken und dringend auf ein Spenderherz
wartenden Kindern so angesichts weiterhin zunehmender Wartezeit besser als
bisher helfen zu können, sagen die Experten.
Bei einer Herztransplantation bedeutet eine Blutgruppenungleichheit
zwischen Empfänger und Spenderorgan grundsätzlich ein lebensbedrohliches
Risiko. Das deutsche Transplantationsgesetz erlaubt eine
Herztransplantation daher nur bei Kindern, die noch nicht zwei Jahre alt
sind. Weil bis zu diesem Alter das Immunsystem in aller Regel noch nicht
so ausgereift ist, kann eine Abstoßungsreaktion des Spenderorgans bei
entsprechender Vorbereitung während und nach der Operation vermieden
werden.
„Als Dalyah vor fünf Monaten zu uns kam, litt sie an einer nicht
heilbaren, genetisch bedingten Herzmuskelerkrankung“, berichtet Professor
Dr. Stephan Schubert, Klinikdirektor der Kinderkardiologie am HDZ NRW. „Im
Juli wurde sie auf die Warteliste für ein Spenderherz aufgenommen.“ Das
Problem: Die Chancen, ein geeignetes Spenderorgan zu erhalten, sind bei
sehr kleinen Kindern oft sehr gering. Oft überleben sie die Wartezeit
nicht. „Bei einigen Patienten gelingt eine Überbrückung dann auch nur mit
einer künstlichen Herzunterstützung. Diese Therapie ist im Vergleich zu
einer Herztransplantation gerade bei kleinen Kindern aber auch mit Risiken
verbunden, und die wollten wir bei Dalyah möglichst umgehen.“
Vorbereitung auf die Operation
In enger interdisziplinärer Abstimmung aller Voruntersuchungen erörtern
die Experten im HDZ den Fall ihrer kleinen Patientin mit dem Ergebnis,
dass eine Herztransplantation die vielversprechendste Therapiemöglichkeit,
dabei eine AB0-inkompatible Herztransplantation die am ehesten
wahrscheinliche Lösung darstellt. Dafür wurde die medikamentöse
Herzinsuffizienztherapie angepasst. „Auf der Kinderstation hat unsere
Patientin regelmäßig Unterstützungsmedikamente erhalten, so dass die Herz-
Kreislauffunktion vor der Transplantation stabil gehalten werden konnte“,
erläutert Professor Schubert. Überraschend meldet Eurotransplant schon im
August ein zur Verfügung stehendes Spenderherz mit der passenden Größe.
Wie erwartet, stimmen die Blutgruppen des verstorbenen Kindes und der
Patientin allerdings nicht überein.
Blutfiltration und Herz-Lungen-Maschine im OP-Saal
Professor Dr. Eugen Sandica zählt zu den erfahrensten Kinderherzchirurgen
in Europa. Gemeinsam mit einem 9-köpfigen und perfekt eingespielten
Operationsteam führt er Dalyahs Herztransplantation durch, die fünf
Stunden dauert. Möglich ist diese AB0-inkompatible Transplantation durch
ein erstmalig in Deutschland angewendetes komplexes Verfahren der
intraoperativen Blutfiltration. Hierbei wird an der Herz-Lungen-Maschine
zunächst das Blutplasma von den Blutzellen getrennt und anschließend
gefiltert, um Blutgruppen-Antikörper zu entfernen. Das von Antikörpern
reduzierte Plasma wird anschließend wieder dem Blutstrom zugeführt. Die
Filtration erfolgt so lange, bis ein kritischer Antikörper-Wert (sog.
Titer) unterschritten wird. Hierdurch wird eine Reaktion des Körpers
aufgrund der Blutgruppenunterschiede verhindert, ohne dass es notwendig
ist, das Blut der kleinen Patientin über massive risikobehaftete
Bluttransfusionen auszutauschen.
Die Kinderherz-Anästhesisten Prof. Dr. Andreas Koster und Henning Starke
sowie die Kardiotechniker Rainer Block und Michael Kaufmann übernahmen
neben der wichtigen Überwachung und Steuerung der Vitalwerte die mehrfache
Erhebung der Laborwerte, mit der die Antikörper-Titer während der Zeit an
der Herz-Lungen-Maschine überwacht werden. Das setzt auch ein extrem
leistungsfähiges Labor voraus, da die Messergebnisse der aufwendigen
Labortests in kürzester Zeit zur Verfügung stehen müssen, um die Therapie
entsprechend anzupassen.
In Bad Oeynhausen warten aktuell drei Kinder (bis 15 Jahre) auf ein
Spenderherz, eines davon ist erst wenige Monate alt. Vor allem im
Kinderbereich ist seit Jahren mit zunehmenden Wartezeiten zu rechnen. „Die
Möglichkeit einer Herztransplantation trotz Blutgruppenungleichheit würde
ihre Überlebenschancen signifikant erhöhen und vor allem die Wartezeit
verringern“, sagen die Klinikdirektoren des Bad Oeynhausener
Kinderherzzentrums. Über 200 Kinder unter 18 Jahren haben hier bereits ein
Spenderherz erhalten, das Jüngste war ein zwei Tage alter Säugling.
Von ihrer schweren Operation hat sich Dalyah inzwischen erholt. Am
Entlassungstag dürfen ihre Eltern sie glücklich in die Arme und mit nach
Hause nehmen. Dort wollen sie noch viele Geburtstage miteinander feiern.
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Als Spezialklinik zur Behandlung von Herz-, Kreislauf- und
Diabeteserkrankungen zählt das Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-
Westfalen (HDZ NRW), Bad Oeynhausen mit 35.000 Patientinnen und Patienten
pro Jahr, davon 14.600 in stationärer Behandlung, zu den größten und
modernsten Zentren seiner Art in Europa.
Das Kinderherzzentrum und Zentrum für angeborene Herzfehler des HDZ NRW
wird von Prof. Dr. Stephan Schubert, Direktor der Klinik für
Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler, und Prof. Univ. Dr. Eugen
Sandica, Direktor der Kinderherzchirurgie und angeborene Herzfehler,
gemeinsam geleitet. Es zählt zu den international führenden Kliniken zur
Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit angeborenem Herzfehler und ist
zertifiziertes Zentrum für die Behandlung von Erwachsenen mit angeborenen
Herzfehlern (EMAH). Zur ausgewiesenen Expertise des Zentrums zählt die
Therapie des gesamten Spektrums von angeborenen Herzfehlbildungen im
Neugeborenen-, Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter. Jährlich werden hier
über 1.000 Patienten mit herausragenden Ergebnissen auch im
internationalen Vergleich stationär sowie 4.500 bis 5.000 Patienten
ambulant betreut.
Hintergrundinformation
329 Herzen wurde 2021 in Deutschland transplantiert, davon 63 in Bad
Oeynhausen.
2022: In diesem Jahr sind am größten deutschen Herztransplantationszentrum
in Bad Oeynhausen bereits 70 Herztransplantationen durchgeführt worden
(Stand: 20.09.2022), davon 5 Herztransplantationen bei Kindern (drei von
ihnen waren jünger als 3 Jahre alt)
Auf der aktiven Warteliste auf ein Spenderherz befinden sich derzeit rd.
130 Patientinnen und Patienten aus Bad Oeynhausen (darunter 3 Kinder bis
15 Jahre).
Insgesamt warten in Deutschland 727 Patientinnen und Patienten aktuell auf
eine Herztransplantation (Stand: September 2022).
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