Vollständig überarbeitete Leitlinie zu Diagnostik und Therapie von geburtsbedingten Blutungen erschienen
Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen
Fachgesellschaften e.V. (AWMF) hat die S2k-Leitlinie Peripartale
Blutungen, Diagnostik und Therapie herausgegeben. Es handelt sich um eine
vollständig neue Überarbeitung der Vorgängerversion aus dem Jahr 2016.
Berlin, im September – Die postpartale Blutung (PPH), also eine
mütterliche Blutung nach der Geburt, zählt mit einer Prävalenz von 0,5 bis
1,9 % zu den Hauptursachen der Müttersterblichkeit – auch in der
westlichen Welt. Sie stellt eine Notfallsituation dar, die eine rasche
Entscheidung und v.a. eine exakte Diagnose und Ursachenanalyse notwendig
macht, um die korrekten therapeutischen Maßnahmen in interdisziplinärer
Zusammenarbeit rechtzeitig einzuleiten.
Im Deutschsprachigen Raum wird die PPH als ein Blutverlust von ≥ 500 ml
(nach vaginaler Geburt) bzw. von ≥ 1000 ml nach Sectio caesarea definiert.
Unabhängig vom sichtbaren Blutverlust muss bei klinischen Zeichen eines
hämorrhagischen Schocks (Schock-Index (HF / RRsys) > 0,9) von einer PPH
ausgegangen werden.
Durch das Erkennen vorgeburtlicher Risikofaktoren können vorbeugend
Maßnahmen eingeleitet werden. Das Schulen des geburtshilflichen Personals
und das Erstellen von Leitlinien bzw. Managementalgorithmen sowie ein
unmittelbares leitliniengerechtes Handeln liefern einen entscheidenden
Beitrag zur Senkung der Häufigkeit, Morbidität und Mortalität peripartaler
Blutungskomplikationen.
Aufgrund der vorhandenen Datenlage lassen sich für nahezu alle Schritte in
der Therapie der PPH zum jetzigen Zeitpunkt wenige evidenzbasierten
Empfehlungen ableiten, weshalb es sich hier um eine S2k-Leitlinie handelt.
PD Dr. med. Dietmar Schlembach hat die Leitlinie für die Deutsche
Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG) koordiniert:
„Verschiedene Ursachen, insbesondere mangelnde Kontraktion der
Gebärmutter, aber auch Traumata, Plazenta- oder Gerinnungsprobleme, können
– ggf. in Kombination – zu einer PPH führen. Es freut mich, dass es in den
letzten Jahren gelungen ist, in Zusammenarbeit mit einem
interdisziplinären und interprofessionellen Team von ExpertInnen
verschiedener Fachgesellschaften, durch die Erstellung einer Leitlinie mit
Handlungsalgorithmus das Management der Notfallsituation „PPH“ zu
verbessern.“
Risikostratifizierung und Prävention
Exakte Anamnese, Ultraschalldiagnostik, Einschätzung eines
Blutungsrisikos, präpartale Vorstellung in der Geburtsklinik sowie die
rechtzeitige Vorbereitung auf einen erhöhten Blutverlust helfen das Risiko
für eine PPH und deren Folgen auf die mütterliche Morbidität und
Mortalität zu reduzieren.
Insbesondere Schwangere mit Risikofaktoren für eine Plazentationsstörung
sollten frühzeitig von Spezialisten untersucht werden, erhärtet sich der
Verdacht, wird die frühzeitige Vorstellung in in einer Geburtsklinik mit
geeigneter Organisationsstruktur und Versorgung durch ein
interdisziplinäres Team mit größtmöglicher Expertise empfohlen.
Prophylaktische Gabe kontraktionsfördernder Medikamente in der
Plazentaperiode reduziert Blutungen nach der Geburt
Zudem weisen die AutorInnen darauf hin, dass verstärkte Nachblutungen in
der Regel ohne Vorboten beziehungsweise Risikofaktoren aufträten. Eine
engmaschige Überwachung nach der Geburt ist die Basis für eine frühzeitige
Entdeckung. Zudem, so lautet eine weitere Empfehlung, sollte die „aktive
Leitung der Plazentaperiode“ nach vorgeburtlicher Aufklärung bei jeder
Geburt durchgeführt werden. Das verringert nachweislich das PPH-Risiko um
bis zu 66 %. Entscheidende Maßnahme im Rahmen der aktiven Leitung der
Plazentaperiode bleibe die prophylaktische Gabe von kontraktionsfördernden
Medikamenten, sogenannter Uterotonika. Grundsätzlich verhindert deren
Einsatz in der Plazentaperiode ca. 50-70% der verstärkten postpartalen
Blutungen und reduziert die Notwendigkeit der therapeutischen Anwendung
von Uterotonika um ca. 50%, wobei die medikamentösen Empfehlungen sowohl
für die vaginale Geburt gelten als auch für den Kaiserschnitt.
Komplett überarbeiteter Behandlungsalgorithmus „PPH 2022“
In weiteren Kapiteln beleuchtet die Leitlinie unter anderem medikamentöse
Maßnahmen zur Behandlung, Uterustamponade, operative Maßnahmen,
interventionell-radiologische Maßnahmen, Hämostase und
Gerinnungsmanagement sowie dem Transport im Rahmen des
Schnittstellenmanagements zwischen Kliniken als auch der außerklinischen
und der klinischen Geburtshilfe und fasst diese in einem Algorithmus „PPH
2022“ übersichtlich und schnell verfügbar zusammen.
Verständliche Kommunikation im Sinne der Patientensicherheit
Mit Blick auf die Patientinnensicherheit und im Sinne einer gemeinsamen
Entscheidungsfindung soll die Gebärende/Wöchnerin und ihre Begleitung
möglichst von Beginn an in verständlicher Weise über die Blutung und das
Vorgehen informiert werden. Zudem schlagen die AutorInnen vor, dass eine
Person aus dem beteiligten geburtshilflichen Team mit der Frau und ihrer
Begleitung ein strukturiertes Nachgespräch führt.
Zusammengefasst verfolgt die vorliegende Empfehlung die Prävention und die
rechtzeitige Therapie klinisch relevanter postpartaler Blutungen zur
Senkung der mütterlichen Morbidität und Mortalität. Dank dieser neuen
Leitlinie sollen betroffene Patientinnen besser versorgt sowie Probleme im
Management dieses Phänomens reduziert werden. Die Empfehlung richtet sich
an FrauenärztInnen, AnästhesistInnen, IntensivmedizinerInnen,
GerinnungsspezialistInnen, LabormedizinerInnen, Hebammen und das
Pflegepersonal im OP und auf der Wochenstation sowie interessierte
PatientInnenkreise. An der Erstellung der 183-seitigen Handlungsempfehlung
waren neben der DGGG e.V. insgesamt 14 Fachgesellschaften beteiligt.
Die vollständige Leitlinie finden Sie hier:
https://www.awmf.org/leitlinie
Leitlinien sind Handlungsempfehlungen. Sie sind rechtlich nicht bindend
und haben daher weder haftungsbegründende noch haftungsbefreiende Wirkung.
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