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Nachwuchsförderung in der digitalen Gesundheitsforschung

Austausch über die Grenzen der Disziplinen hinweg, vielfältige
Möglichkeiten zur Vernetzung, Forschungsaufenthalte, Fortbildungen, auch
finanzielle Sicherheit – das alles und mehr  ermöglicht die „Early Career
Research Academy“, kurz ECRA. Mit ihr fördert der „Leibniz-
WissenschaftsCampus Digital Public Health“ (LWC) gezielt
Nachwuchswissenschaftler:innen, die sich mit der digitalen
Gesundheitsforschung befassen.

Sie ist Epidemiologin, er ist Philosoph, beide promovieren, beide
interessieren sich für die Wechselwirkungen zwischen Digitalisierung und
Gesundheit, beide leben in Bremen. Und doch ist es mehr als
wahrscheinlich, dass sich beide außerhalb der Early Career Research
Academy nie begegnet wären. Über die ECRA sagt Elida Sina: „Sie hilft mir,
meine Fähigkeiten als Wissenschaftlerin zu verbessern.“ Hans-Henrik Dassow
ergänzt: „Alleine wäre ich gar nicht auf die Idee gekommen, einzelne
Projekte zu verfolgen und sie auch zu publizieren.“

--- „Je stärker Kinder und Jugendliche soziale Medien nutzen, desto mehr
Zucker nehmen sie auf, desto häufiger konsumieren sie Fast Food.“ ---

Das Dissertationsthema von Elida Sina ist insbesondere für Eltern von
hoher Aktualität und Relevanz: Die 29-Jährige untersucht, welchen
langfristigen Einfluss TikTok, Instagram, YouTube und Co. auf die
Gesundheit von Kindern und Jugendlichen haben, etwa durch die
Beeinflussung ihrer Ernährungsvorlieben und Geschmackspräferenzen, was bis
zum Metabolischen Syndrom führen kann – einem gefährlichen Quartett aus
Übergewicht, erhöhten Blutzucker-, Blutfett- und Blutdruckwerten.

Dass die übermäßige Nutzung von digitalen und sozialen Medien zu
derartigen Erkrankungen führen kann, glauben viele zu wissen.
Wissenschaftlich nachgewiesen ist es aber noch nicht. Die Arbeit von Elida
Sina, die am BIPS promoviert, dem Bremer Leibniz-Institut für
Präventionsforschung und Epidemiologie, ist die erste ihrer Art. Sie
forscht dabei auch über eine wichtige Komponente: der Bedeutung von
Werbung, die das Essverhalten von Kindern und Jugendlichen nachweislich
beeinflusst.

Während Reklame für Alkohol und Zigaretten in vielen sozialen Medien
reguliert ist, darf die Nahrungsmittelindustrie dort unbegrenzt für
ungesunde Lebensmittel werben: für Zuckerbomben in fester und flüssiger
Form, für fettige und salzige Snacks – und das oft mit zweifelhaften
Methoden, indem sie Influencer:innen einspannt. „Sie haben einen besonders
großen Einfluss auf die Jugendlichen“, hat Elida Sina beobachtet. Ihr
Befund ist eindeutig: „Je stärker Kinder und Jugendliche soziale Medien
nutzen, desto mehr Zucker nehmen sie auf, desto häufiger konsumieren sie
Fast Food.“ Und desto größer ist die Gefahr zu erkranken. Ihre
Schlussfolgerung: „Wir brauchen dringend eine stärkere Regulierung.“

Auch Hans-Henrik Dassow betritt mit seiner Forschung Neuland, nur dass sie
weniger konkret, sondern eher von grundsätzlicher Natur ist. „Mein Thema
sind die ethischen Implikationen von Gesundheitsapps“, erzählt der
31-Jährige. Einerseits können Bewegungs-, Ernährungs- und
Menstruationsapps zu einem gesünderen Lebensstil animieren. Andererseits
erzählen die Daten viel über ihre Nutzer:innen und könnten missbraucht
werden. „Die positiven Effekte digitaler Intervention können ab einem
bestimmten Punkt in ihr Gegenteil umschlagen“, meint der wissenschaftliche
Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Universität Bremen.

Ihre Nutzung ist also ein Abwägungsprozess. Nur anhand welcher Kriterien
erfolgt er? Am Beispiel von  sechs verschiedenen Gesundheitsapps will
Dassow zeigen, wie die Daten erhoben und verwendet wer-den, auch welche
Lücken bestehen. „Mein Ziel ist, ethische Richtlinien zu entwickeln und
bisherige Prinzipien der Medizinethik in das digitale Gesundheitsalter zu
übersetzen.

Die Digitalisierung prägt die Gesundheit des Einzelnen wie das öffentliche
Gesundheitswesen immer stärker. Wie aber kann sie zum Nutzen aller
eingesetzt werden? Zur Verbesserung der Vorsorge, zur Verhinderung von
Krankheiten, zur Verlängerung des Lebens? Wie kann die Wissenschaft die
Unmengen an Daten zum Wohle aller verarbeiten, neue Konzepte entwickeln
und den Zugang zu digitalen Entwicklungen sichern, unabhängig von
Bildungsgrad, Herkunft und sozialer Situation? Und wie lässt sich dabei
die Privatsphäre und die Datensicherheit wahren?

„Das waren einige unserer Ausgangsüberlegungen bei der Gründung des
Leibniz-WissenschaftsCampus Digital Public Health“, erzählt Dr. Hajo Zeeb,
Professor für Epidemiologie mit den Schwerpunkten Prävention und
Evaluation an der Universität Bremen, Sprecher des LWC und Leiter der
Abteilung Prävention und Evaluation am BIPS. Das Forschungsinstitut ist
eine von drei Mitgliedseinrichtungen der U Bremen Research Alliance, die
den LWC 2019 aus der Taufe gehoben haben. Das Trio wird durch die
Universität Bremen und das Fraunhofer-Institut für Digitale Medizin MEVIS
vervollständigt.

--- „Uns ist es wichtig, junge Wissenschaftler:innen zu unterstützen,
ihnen eine  Entwicklungsperspektive zu geben.“ ---

„Durch den LWC sind neue Verbindungen unterein-ander entstanden, die die
Sichtbarkeit und Attraktivität der Gesundheitsforschung in Bremen nochmals
erhöht haben und in die jeder seine spezifischen Kenntnisse einbringt“,
sagt Zeeb. 3,6 Millionen Euro an Fördermitteln, verteilt über vier Jahre,
stehen zur Verfügung. Sie kommen zu je einem Drittel vom Land Bremen, von
der Leibniz-Gemeinschaft und vom BIPS selbst. Mit dem Geld werden
Forschungsprojekte (siehe Kasten: „Forschung am LWC“) ebenso finanziert
wie die ECRA, die ein wichtiger Bestandteil des LWC ist. „Uns ist es
wichtig, junge Wissenschaftler:innen zu unterstützen, ihnen eine
Entwicklungsperspektive zu geben“, sagt Zeeb. „Das hat sich mit ganz viel
Dynamik super entwickelt.“

Die ECRA ist kein fester Ort, sondern ein Netzwerk von Promovierenden und
Postdocs verschiedenster Fachrichtungen, die eigenverantwortlich mit einem
eigenen Budget Veranstaltungen, Workshops und Gastvorträge organisieren
sowie Konferenzen besuchen können. „Es gibt keine feste, vorgegebene
Struktur. Wir sind erwachsene Wissenschaftler:innen mit eigenen Ideen, die
wir versuchen, im Rahmen der ECRA umzusetzen“, beschreibt Dassow das
Prinzip. Dazu zählen auch ganz handfeste Themen, von denen alle
profitieren, wie Workshops zur Datenanalyse oder zum Schreiben von
Förderanträgen, eine überlebenswichtige Fähigkeit, gerade für junge
Wissenschaftler:innen. „Diese Angebote habe ich als sehr hilfreich
empfunden“, sagt Elida Sina.

Einmal im Monat tauscht sich die Gruppe per Zoom aus. Informatiker:innen,
Jurist:innen, Gesundheitswissenschafler:innen und Ökonom:innen sind
darunter. Es ist diese Diversität der Zusammensetzung, die sie alle
besonders schätzen. „Interdisziplinäres Arbeiten ist nicht immer einfach“,
weiß Dassow. „Wir verfolgen unterschiedliche Methoden und haben
abweichende Vorstellungen von Wissenschaft. Der Austausch aber ist sehr
wertvoll, wir haben eine gemeinsame Sprache entwickelt. Durch das
interdis-ziplinäre Arbeiten verstehe ich sogar mein eigenes Vorhaben
besser.“

Und es entstehen gemeinsame Projekte. So hat Dassow gemeinsam mit einem
ECRA-Kollegen ein Papier zu „Dark Patterns“ veröffentlicht – manipulative
Designs oder Prozesse, die Nutzer:innen einer Website oder App zum
Anklicken einer bestimmten Einstellung und damit zur Zustimmung verleiten
sollen, etwa durch farbliche Hervorhebung. Ein anderer Teilnehmer gründete
mit zwei Partnerinnen ein Start-up, das digitale Lösungen für werdende
Mütter anbietet.

30 junge Wissenschaftler:innen bilden den Kern der ECRA, weitere 30 bis 40
stoßen gelegentlich hinzu. Von einem Erfolgsmodell spricht Zeeb, das auch
außerhalb Bremens auf immer größeres Interesse stoße und die
Gesundheitsforschung in der Hansestadt weiter stärke. „Wichtig ist, den
Teilnehmenden zu vermitteln, dass sie eine wichtige Rolle für den Erfolg
von gemeinsamen Forschungsprojekten spielen und nicht nur Zuarbeiter:innen
sind“, meint Zeeb. Und natürlich solle ihnen möglichst eine Perspektive
geboten werden.

Elida Sina hat diese Perspektive. Sie wird ihre Forschung am BIPS
fortsetzen. Das Fortbestehen des LWC und damit der ECRA ist zumindest bis
Anfang 2024 gesichert, dann läuft die Förderung aus. Zeeb ist guter Dinge,
dass sie für weitere vier Jahre verlängert wird. Und Hans-Henrik Dassow?
Seine Zukunft ist offen, er hat mit seiner Promotion später angefangen als
Elida und könnte von einer Verlängerung der Förderung profitieren.

Originalpublikation:
Impact – Das Wissenschaftsmagazin der U Bremen Research Alliance

In der U Bremen Research Alliance kooperieren die Universität Bremen und
zwölf Forschungsinstitute der vier deutschen Wissenschaftsorganisationen
sowie das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz - alle mit
Sitz im Bundesland.

Das seit 2019 erscheinende Magazin Impact dokumentiert die kooperative
Forschungsstärke der Allianz und ihre gesellschaftliche Relevanz.
„Nachwuchsförderung in der digitalen Gesundheitsforschung“ wurde in
Ausgabe 7 (Februar 2023) veröffentlicht.

https://www.bremen-
research.de/fileadmin/user_upload/Einblicke/Impact_7/Ausgabe_7_IMPACT_Magazin_U_Bremen_Research_Alliance.pdf

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Ausschreibung Deutscher Forschungspreis für Allgemeinmedizin

Seit dem Jahr 2008 wird in zwei- bis dreijährigem Turnus der Dr. Lothar
und Martin Beyer-Preis als Forschungspreis für die Allgemeinmedizin
vergeben. Für 2023 wird der Preis neu ausgeschrieben. Beim Dr. Lothar und
Martin Beyer-Preis handelt sich um einen der wenigen – und gleichzeitig
den am höchsten dotierten – Forschungspreis in der Allgemeinmedizin. Die
Preisverleihung findet im Rahmen des 57. Kongresses der Deutschen
Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) am 29.
September 2023 in Berlin statt.

In diesem Jahr ist es wieder so weit: Der Forschungspreis für
Allgemeinmedizin – der Dr. Lothar und Martin Beyer-Preis – wird von der
Deutschen Stiftung für Allgemeinmedizin und Familienmedizin neu
ausgeschrieben, unterstützt von der Deutschen Gesellschaft für
Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Verliehen wird der Preis für
Forschungsarbeiten, die zur Verbesserung des Versorgungsmanagements von
Patientinnen und Patienten in allgemeinmedizinischen Praxen beitragen.
Durch die Ausschreibung dieses Forschungspreises wird ein Ansporn gesetzt,
um die Forschung zu notwendigen Themen der hausärztlichen Versorgung
voranzutreiben.

Die Thematik der Forschungsbeiträge kann sich sowohl mit spezifischen
Feldern innerhalb der hausärztlichen Versorgung (z.B. Familienmedizin,
Schnittstellen, Digitalisierung) als auch mit spezifisch hausärztlichen
Vorgehensweisen in Früherkennung, Diagnostik, Therapie und
Entscheidungsfindung/Beratung oder spezifischen Konzepten zur Verbesserung
bzw. Sicherstellung hausärztlicher Versorgung (im Praxisteam) bzw.
spezifischen hausärztlichen Herausforderungen als erste Anlaufstelle
befassen. Zur Qualitätssteigerung in der Versorgung von Patientinnen und
Patienten tragen auch erfolgreiche Konzepte in der Ausbildung und
Weiterbildung sowie Projekte, die auf Organisationsebene in
allgemeinmedizinischen Praxen durchgeführt wurden, bei.

Der Forschungspreis wird für herausragende abgeschlossene
Forschungsarbeiten ausgeschrieben. Der 1. Preis ist mit 10.000 Euro, der
2. Preis mit 5.000 Euro dotiert. Zusätzlich wird ein Preis für Forschung
des ärztlichen Nachwuchses z.B. in Form von Dissertationen verliehen,
welcher mit 2.000 Euro dotiert ist. Das Preiskomitee behält sich vor,
einzelne Preisklassen zu teilen oder zusammenzulegen. Bei der Vergabe des
Preises werden folgende Kriterien bewertet: Relevanz des Themas für die
hausärztliche Versorgungspraxis; methodische Reife; Bedeutung des
Forschungsansatzes für die allgemeinmedizinische Theoriebildung.

Es gelten folgende Teilnahmebedingungen: Es handelt sich um eine
abgeschlossene Forschungsarbeit. Die Bewerbungen um den Forschungspreis
sollen eine Projektbeschreibung (maximal 10 Seiten) mit Zusammenfassung,
Hintergrund, Methodik, Resultaten, Diskussion und Schlussfolgerungen
enthalten, ferner eine kurze biographische Darstellung der Bewerberinnen
und Bewerber inklusive der nicht-wissenschaftlichen Teammitglieder, die
wesentlich zum Projekterfolg beigetragen haben, sowie Hinweise/Belege zu
wissenschaftlichen Publikationen.

Berücksichtigt werden Bewerbungen aus dem deutschsprachigen Raum. Die
Preisträger werden bis spätestens 31. August 2023 benachrichtigt. Die
Entscheidung des Preiskomitees ist endgültig, der Rechtsweg ist
ausgeschlossen.

Die Preisverleihung findet im Rahmen des 57. Kongresses der Deutschen
Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) am 29.
September 2023 in Berlin statt.

Bewerbungsschluss ist der 30. April 2023, Bewerbungen bitte per E-Mail an:
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Mehr zur Ausschreibung: https://bit.ly/41bTrxG

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Gesetzentwurf zur Vermeidung von Arzneimittelengpässen ohne Schutz von Krebsmedikamenten - Betroffene enttäuscht

Die steigende Zahl von Arzneimittelengpässen hatte in den letzten Jahren
besonders Krebspatientinnen und -patienten betroffen. Unverzichtbare
Arzneimittel aus dem Bereich der Generika fehlten, u. a. für Brust-,
Darm-, Lungen- und Bauchspeicheldrüsenkrebs, aber auch für die
Leukämietherapie und die Stammzelltransplantation. Konkrete Abhilfe wurde
mit dem Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und
Versorgungsverbes­serungsgesetz (ALBVVG) versprochen. In dem am 5. April
2023 von Bundes­gesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach
vorgestellten Kabinettsentwurf fehlen diese Maßnahmen. Die Betroffenen und
die Verordner sind enttäuscht.

Erfolgreiche Krebstherapie erfordert Vertrauen, nicht nur in die
behandelnden Ärztinnen und Ärzte, sondern auch in die politisch
Verantwortlichen.

Die Zahl der Liefer- und Versorgungsengpässe bei Arzneimitteln ist
besonders im letzten Jahr deutlich angestiegen, auch bei
Krebsmedikamenten. Die Probleme bei Tamoxifen für die Behandlung von
Brustkrebs, bei nabPaclitaxel beim Bauch­speicheldrüsenkrebs und von
Calciumfolinat für die unterstützende Krebstherapie waren besonders
belastend und wurden auch in der Öffentlichkeit diskutiert. Betroffen
waren vor allem Arzneimittel, die schon seit vielen Jahren eingesetzt
werden und heute als Generika auf dem Markt verfügbar sind. Sie machen die
Hälfte der aktuell in Deutschland zugelassenen Krebsmedikamente aus. Für
die Verordner ist jeder Engpass zeitaufwändig, erfordert besondere
Anstrengungen zur Beschaffung der Arzneimittel und bedeutet eine Belastung
für das Patienten-Arzt-Verhältnis.

Darauf hatte die Gesundheitspolitik zunächst reagiert und im Dezember 2022
ein Maßnahmenpaket angekündigt, Anfang März 2023 dann im ALBVVG konkrete
Schritte in einem Gesetzentwurf veröffentlicht. Er enthielt seit mehreren
Jahren geforderte Maßnahmen wie verpflichtende Lagerhaltung
unverzichtbarer Arznei­mittel, Diversifizierung der Anbieter bei
Rabattverträgen, Förderung von kurzen Lieferketten und ein Frühwarnsystem.
Wären diese Regelungen früher eingeführt worden, hätte zum Beispiel der
Engpass bei Tamoxifen im letzten Jahr wohl vermieden werden können!

Diese Maßnahmen sollten zunächst für die Versorgung mit
Kinderarzneimitteln, mit Antibiotika und mit für die Krebstherapie
erforderlichen Medikamenten gelten. Die wissenschaftlichen medizinischen
Fachgesellschaften hatten darauf hingewiesen, dass es keine „Priorität“
für Krebspatienten gegenüber anderen lebensgefährlichen und belastenden
Erkrankungen geben darf. Sie hatten jedoch die Onkologie sowie bestimmte
Bereiche der Pädiatrie und der Infektiologie als „Pilotprojekt“ zur
Umsetz­barkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen mit einer kurzen
Evaluierungsfrist akzep­tiert.

In dem am 5. April 2023 von Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl
Lauterbach vorgeschlagenen Entwurf für das ALBVVG fehlen die Regelungen
für die Onkologie. In der Pressekonferenz fiel die Formulierung „[…]
überlegen uns, das auf Onkolo­gika auszudehnen […]“. Das hilft den
Betroffenen nicht, hier wird Zeit verloren. Die vorgeschlagenen Maßnahmen
waren fachlich intensiv diskutiert worden. Sie betreffen weniger als 1
Prozent der Arzneimittelverordnungen, können aber Leben retten. Die
Definition unverzichtbarer Arzneimittel ist insbesondere durch das in der
Onkologie besonders hochwertige System von Leitlinien gut begründet und
evidenzbasiert, damit auch ein gutes Modell für viele andere Erkrankungen.

Das Vorgehen des Bundesgesundheitsministers ist unverständlich. Es führt
zu einem unnötigen Vertrauensverlust. Das können die Betroffenen und die
Verordner nicht akzeptieren.

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Wie schützt man ein Baby vor Allergien?

Stiftung Kindergesundheit informiert über die aktuellen Empfehlungen zur
Allergieprävention.

Mehr als zwei Millionen Kinder in Deutschland leiden unter Heuschnupfen,
allergischem Asthma, Neurodermitis oder einer Allergie gegen
Nahrungsmittel. Wie können wir unserem Kind diese allergischen
Erkrankungen ersparen? – so fragen sich viele werdende Mütter und
frischgebackene Elternpaare. Die Antworten der Medizin auf diese Frage
haben sich in den letzten Jahren grundlegend geändert, berichtet die
Stiftung Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme.

Auch in der Vorbeugung gegen Allergien ereignet sich nämlich eine Art
Zeitenwende. Der Leitsatz heißt heute: Weniger Karenz, dafür mehr
Toleranz.

Lange ging man davon aus, dass die wirkungsvollste Maßnahme, Allergien zu
verhindern, die Karenz, also Vermeidung sei: In Familien, in denen ein
Allergierisiko besteht, sollten potenzielle Allergene wie Hausstaub und
Pollen, Eier, Fisch, Nüsse und Tierhaare während der Schwangerschaft und
der Stillzeit und auch im frühen Kindesalter möglichst gemieden werden. Im
Babyhaushalt sollte unnachgiebig auf Hygiene geachtet, nicht voll
gestillte Babys aus Allergikerfamilien mit einer hypoallergenen (HA)
Nahrung gefüttert werden.
Die Kinder sollten außerdem möglichst spät Beikost wie Gemüse, Obst,
Getreide und Nudeln zugefüttert bekommen und es wurde gewarnt:
Allergenreiche Nahrungsmittel wie Milch, Eier und Fisch sollte das Kind
frühestens im Alter von neun bis zwölf Monaten bekommen. Das Kinderzimmer
sollte mit einer neuen Matratze und eventuell mit einem milbendichten,
allergenfilternden Matratzenbezug (Encasing) milbenfrei gehalten,
Haustiere unbedingt abgeschafft werden.

Wenn sich das Immunsystem langweilt
Dieses zentrale Prinzip der Allergenmeidung erwies sich zunehmend als eine
Sackgasse, berichtet die Stiftung Kindergesundheit. So habe es
mittlerweile einen Paradigmenwechsel gegeben, der einen kompletten
Abgesang auf die früher vertretenen Überzeugungen bedeute.
„Es wurde immer deutlicher, dass Verzögern und Vermeiden von Lebensmitteln
mit allergenem Potential das Immunsystem von Kindern in eine falsche
Richtung programmieren kann“, erläutert Professor Dr. Dr. Berthold
Koletzko, Stoffwechselexperte der Universitätskinderklinik München und
Vorsitzender der Stiftung Gesundheit. „Ein früher Kontakt zu den
vielfältigen Mikroben und Allergenen der Umwelt dagegen mobilisiert die
Abwehrkräfte und führt so zu einer normalen Immunantwort und zum Aufbau
einer Toleranz gegen Umweltantigene. Fehlen solche Reize, dann ist das
Immunsystem gewissermaßen ‚unterbeschäftigt‘ und sucht sich seine Feinde
selbst, um sie dann mit unerwünschten, allergischen Immunantworten zu
bekämpfen“.
Und so kommt es, dass die heutigen Empfehlungen zur Verhütung von
Allergien immer mehr zu regelrechten Auflistungen werden, was alles von
den bisherigen Ratschlägen ein Kind nicht vor Allergien schützen kann.
Statt Vermeidung wird heute eher zur Gewöhnung geraten, mit dem Fachwort
„Toleranzinduktion“: Je früher und vielfältiger ein Kontakt mit potenziell
Allergie auslösenden Stoffen entsteht, desto leichter lernt das
Immunsystem den Umgang mit ihnen.

Auf die Vielfalt kommt es an!
Aktuelle Studien und Leitlinien zur Allergieprävention zeigen exemplarisch
den Meinungsumschwung der Wissenschaft. Die Stiftung Kindergesundheit
nennt einige wichtige Beispiele:
•       Muss die Mutter in der Schwangerschaft und in der Stillzeit auf
bestimmte Nahrungsmittel verzichten?
Ganz und gar nicht. Für den Nutzen von Essenseinschränkungen während der
Schwangerschaft und in der Stillzeit gibt es keine Belege: „Schwangere
sollten sich nach Lust und Laune, freilich möglichst ausgewogen und
abwechslungsreich ernähren“, empfiehlt Professor Dr. Berthold Koletzko.
„Spezielle Lebensmittel sind in aller Regel nicht notwendig. Schwangere
sollten stattdessen auf eine mannigfaltige und nährstoffdeckende Ernährung
in Schwangerschaft, Stillzeit und im ersten Lebensjahr achten. Auch
Fischmahlzeiten sind empfehlenswert“.

•       Braucht das Baby eine hypoallergene Flaschennahrung?
In den ersten sechs Monaten sollte das Kind gestillt werden - für die
Dauer von mindesten vier Monaten ausschließlich. Das gilt für Kinder mit
erhöhtem Allergierisiko ebenso wie für alle anderen Babys. Auch nach der
Einführung von Beikost sollte weitergestillt werden, betont Professor
Koletzko. Kann nicht mehr oder nicht ausreichend gestillt werden, kann das
Kind eine handelsübliche Säuglingsanfangsnahrung bekommen.
Säuglingsnahrungen mit aufgespaltenem oder hydrolysierten Milcheiweiß
(sogenannte HA-Nahrung) werden als sicher bewertet und von der Deutschen
Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin als eine mögliche Option
bewertet. Sojanahrung, Ziegenmilch oder Getreidedrinks sind zur
Allergievorbeugung nicht geeignet.

•       Beeinflusst der Beginn der Beikostfütterung das Allergierisiko?
Ein Beginn der Beikostfütterung auch mit Gabe von Lebensmitteln mit hohem
allergenen Potential im Alterszeitraum zwischen etwa vier und sechs
Monaten reduziert das Allergierisiko im Vergleich zu einem späteren
Beikostbeginn mit sechs Monaten. Die neue europäische Leitline zur
Allergieprävention bezeichnet das Alterszeitfenster von vier bis sechs
Monaten für die Beikosteeinführung als den effektivesten Zeitraum für die
Senkung des Allergierisikos.

•       Müssen Kinder aus Allergikerfamilien hochallergene Nahrungsmittel
meiden?
Auch für diese Kinder gelten die gleichen Empfehlungen wie für alle
anderen Kinder ohne Allergiebelastung. Sie sollten ab dem vollendeten
vierten Lebensmonat möglichst zügig eine vielseitige Kost kennenlernen, am
besten alles, was in ihrer Familie gegessen wird. Eine Einschränkung gibt
es allerdings bei Eiern: Zur Prävention einer Allergie gegen
Hühnereiweiss wird die regelmässige Gabe von durcherhitztem Hühnerei ab
dem fünften Lebensmonat (also im Alter von vier abgeschlossenen Monaten)
mit der Einführung der Beikost empfohlen. Das heißt: Eier für das Kind
nur in verbackener Form oder hart gekocht, aber kein rohes Ei und auch
kein Rührei.

•       Ist ein Haustier schädlich für das Baby?
Haustiere gelten nicht mehr als Allergierisiko. Kinder, die in den ersten
drei Lebensjahren mit Hunden aufwachsen, entwickeln sogar seltener
Allergien und Asthma als Kinder ohne Hunde. Für die Abschaffung bereits
vorhandener Hunde und Katzen aus Gründen der Allergievermeidung besteht
also kein Grund. Eine Einschränkung ist allerdings auch bei dieser Frage
geblieben: Wenn in einer Familie hohes Allergierisiko besteht oder das
Kind bereits unter einem atopischen Ekzem (Neurodermitis) leidet, sollte
keine Katze neu angeschafft werden.

•       Muss man Staub im Haushalt und Milben im den Betten bekämpfen?
Die Verwendung milbenallergendichter Matratzenüberzüge (Encasings) ist nur
dann nützlich, wenn jemand in der Familie bereits unter einer
nachgewiesenen Allergie gegen Hausstaubmilben leidet.

Allergieschutz durch Kuhstall, Heu und Hühnerhof
Kinder gehören nicht unter die Käseglocke, betont die Stiftung
Kindergesundheit. Mehrere Studien unterstützen die sogenannte
Hygienehypothese, auch Bauernhof- oder Urwaldhypothese genannt. Sie beruht
auf der Beobachtung, dass Allergien vor allem unter Stadtbewohnern
zunehmen. Zudem hat sich herausgestellt, dass Bauernkinder mit Zugang zum
Stall und zu Tieren deutlich seltener an Asthma, Heuschnupfen oder anderen
Allergien erkranken als Kinder, die nicht auf einem Bauernhof leben.
Der vermutliche Grund: Sie haben von Anfang an mehr Kontakt zu Kühen und
anderen Tieren und den sie besiedelnden Bakterien und anderen
Mikroorganismen.

Was bleibt, was hilft, was kommt?
Eine frühe Einführung von Beikost schadet nicht, sondern bringt sogar
einen Nutzen. Empfehlenswert ist die zügige Einführung einer vielfältigen
Kost ab dem vollendeten vierten Lebensmonat. „Die Einführung von Beikost
bedeutet aber nicht Abstillen, sondern das weitere Stillen mit der
Beikostgabe“, so Professor Koletzko: „Auch Babys, die schon Brei- und
Löffelkost bekommen, sollten so lange weiter gestillt werden, wie Mutter
und Kind es möchten“.
Es gibt Hinweise darauf, dass Kinder, die durch Kaiserschnitt zur Welt
kommen, ein erhöhtes Allergierisiko haben, weil ihnen der Kontakt zu den
Keimen der Mutter fehlt. Dies ist weiteres Argument, einen Kaiserschnitt
nur dann durchzuführen, wenn wirklich eine medizinische Notwendigkeit dazu
besteht. Auch bei Babys, die schon früh mit Antibiotika behandelt werden
müssen, ist das Risiko erhöht, so dass Kinder- und Jugendärzt*innen heute
genau abwägen, wann wirklich Antibiotika notwendig sind. Ob unter
bestimmten Bedingungen die prophylaktische Einnahme von sogenannten
Probiotika oder Präbiotika sinnvoll sein könnte, wird zurzeit intensiv
untersucht und diskutiert. Für generelle Empfehlungen ist es jedoch noch
zu früh, betont die Stiftung Kindergesundheit.

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