Zunehmend wird klar, dass unsere Darmflora eine Rolle bei der Entstehung
verschiedener Krankheiten spielt, so auch bei neurodegenerativen
Erkrankungen wie dem M. Parkinson. Eine aktuelle Studie [1] ergab, dass
bei manchen Parkinson-Betroffenen, bei denen eine Appendektomie
erforderlich war, eine phylogenetische Veränderung des Darmmikrobioms
nachweisbar ist, also eine andere Zusammensetzung der Bakterienstämme im
Darm. Doch auch zahlreiche andere Faktoren beeinflussen die Darmflora,
z.B. Ernährung, Antibiotika, Rauchen oder Stress. Die aktuellen Daten
deuten vor allem darauf hin, dass eine gesunde Darmflora eine wichtige
Säule der Parkinsonprävention ist.
Die Parkinson-Erkrankung ist die häufigste neurodegenerative
Bewegungsstörung. Auch wenn heute eine gute symptomatische Behandlung
möglich ist (die Behandlungsangebote reichen von Medikamenten bis hin zur
tiefen Hirnstimulation), gibt es noch keine kausale Therapie. Obwohl
bereits viele Aspekte der Pathogenese aufgeklärt sind, ist nicht
abschließend geklärt, wie bzw. wo die Erkrankung wirklich beginnt. Nur bei
einem Teil der Betroffenen besteht eine genetische Veranlagung (bekannte
„Parkinson-Gene“). Gesichert ist, dass bei der Pathophysiologie die
molekulare Fehlfaltung des Proteins α-Synuklein eine wesentliche Rolle
spielt. Während α-Synuklein in gesunden Gehirnzellen in löslicher Form
vorliegt, verklumpt (aggregiert) fehlgefaltetes α-Synuklein – die
Aggregate sind als sogenannte Lewy-Körper histologisch nachweisbar. Diese
Proteinaggregate breiten sich über Jahre im Gehirn weiter von Zelle zu
Zelle aus. Betroffen sind besonders die dopaminproduzierenden
Nervenzellen; der zunehmende Mangel des Botenstoffs Dopamin ruft die
Parkinson-Symptomatik hervor.
Seit einiger Zeit ist bekannt, dass die Darmflora (Mikrobiom) viele
Stoffwechselvorgänge und andere Prozesse im Körper beeinflusst und zur
Entstehung von Krankheiten beitragen kann – dies gilt auch für
neurodegenerative Erkrankungen. Zwischen Darm und Gehirn gibt es eine
wechselseitige Kommunikation über Nervenbahnen (z. B. den Vagusnerv), die
„Darm-Hirn-Achse“. Botenstoffe dieser Kommunikation sind unter anderem
Stoffwechselprodukte von Darmbakterien. Tatsächlich wurde mehrfach
gezeigt, dass sich die Zusammensetzung des Mikrobioms bei Parkinson von
der gesunden Darmflora unterscheidet. Bei Parkinson-Betroffenen können
sich bereits bis zu 20 Jahre vor der Diagnosestellung nicht-motorische
Symptome wie Depression, Geruchs- oder Schlafstörungen entwickeln – auch
eine chronische Verstopfung (eines der häufigsten nicht-motorischen
Parkinson-Symptome) gehört dazu, was ebenfalls als Hinweis auf einen
Zusammenhang mit der Darmfunktion gewertet wird.
Der Wurmfortsatz („Blinddarm“ bzw. Appendix) dient vermutlich unter
anderem als Reservoir für bestimmte Darmbakterien; dies ist z.B. von
Bedeutung für unser Immunsystem. Im Darm bzw. vor allem im Appendix
konnten außerdem geringe Mengen von unlöslichem α-Synuklein nachgewiesen
werden – auch bei Gesunden; bei Parkinson-Erkrankten fand man jedoch etwas
größere Mengen (auch schon in der Frühphase, dem sog. Prodromalstadium der
Erkrankung). Darüber hinaus wurde gezeigt, dass unlösliches α-Synuklein
über den N. vagus ins Gehirn gelangen kann. Schon länger wird daher ein
Zusammenhang zwischen einer Blinddarmentzündung (Appendizitis) mit
Notwendigkeit einer Operation bzw. einem dabei veränderten Mikrobiom mit
dem späteren Parkinson-Risiko vermutet; die bisherige Studienlage dazu ist
jedoch widersprüchlich.
Eine Studie [1] untersuchte nun die Korrelation zwischen
Mikrobiomveränderungen bei Appendektomie und der Parkinson-Erkrankung.
Dazu wurden 20 Stuhlproben von Parkinson-Erkrankten (P) und gesunden
Kontrollen (K) – jeweils mit und ohne Appendektomie (+/-APP) bezüglich der
bakteriellen Zusammensetzung analysiert und verglichen (P/+APP, P/-APP,
K/+APP, K/-APP, jeweils n=5). Das mediane Alter der Teilnehmenden betrug
70 Jahre (IQR 67-71); 60% waren weiblich. Parkinson-Erkrankte hatten
tendenziell ein geringeres Gewicht als die gesunden Kontrollpersonen und
litten häufiger an schwerer Verstopfung, insbesondere nach der
Appendektomie. Diese Unterschiede waren statistisch aber nicht signifikant
(p=0,12). Es bestanden zwischen den Parkinson-Gruppen mit und ohne APP
(P/+APP, P/-APP) keine signifikanten Unterschiede beim Erkrankungsalter,
der bisherigen Krankheitsdauer, verschiedenen diagnostischen Testbefunden
(HY-Skala, UPDRS, MMSE, OSIT-J) und auch nicht bei den Dosierungen der
Parkinson-Medikamente (Levodopa-Äquivalente).
Insgesamt zeigte sich, dass die Appendektomie per se die Darmflora
beeinflusste. So gab es einen signifikanten Unterschied zwischen
appendektomierten und nicht-appendektomierten Teilnehmenden (p=0,047),
insbesondere waren sog. Fusobakterien nach Appendektomie reduziert
(p=0,047). Unabhängig von der Appendektomie hatten Parkinson-Erkrankte
signifikant mehr Darmbakterien aus der Familie der Enterobacteriaceae als
gesunde Kontrollpersonen (p=0,04).
Weiter fand sich ein signifikanter Unterschied in der phylogenetischen
Zusammensetzung des Mikrobioms zwischen gesunden Kontrollen und
appendektomierten Parkinson-Kranken, d.h. eine andere Zusammensetzung der
Bakterienstämme im Darm. Es gab außerdem einen signifikanten Unterschied
im Mikrobiom zwischen Parkinson-Kranken und appendektomierten gesunden
Kontrollen. Diese Ergebnisse lassen bei appendektomierten Personen einen
Zusammenhang zwischen Darmflora und Parkinson-Erkrankungen vermuten, so
die Publizierenden. Sie halten eine Parkinson-Pathogenese für denkbar, bei
der als erstes Enterobacteriaceae unlösliches α-Synuklein im Darm
induzieren. Dort dient der Wurmfortsatz als Reservoir der Synuklein-
Aggregate, die dann im Verlauf über den N. vagus vom Darm ins Gehirn
gelangen und sich dort weiter ausbreiten. Es wird jedoch darauf
hingewiesen, dass es sich um eine vorläufige Studie handle mit kleiner
Teilnehmendenzahl. Daher solle dies nun in großen Kohorten weiter
untersucht werden.
„Auch wenn die Studie die Rolle der Appendix bei der hochkomplexen
Pathogenese des M. Parkinson noch nicht konkretisieren konnte, so
unterstützt sie doch erneut die Hypothese, dass ein verändertes Mikrobiom
eine Rolle spielt. Bei manchen Parkinson-Kranken scheint der Darm als
erstes betroffen sein, das Darmmikrobiom initiiert die Synuclein-
Fehlfaltung, was dann an das Gehirn weitergegeben wird“, so Prof. Dr. med.
Lars Timmermann, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurologie,
Direktor der Klinik für Neurologie am Standort Marburg des
Universitätsklinikums Gießen und Marburg. „Im Lauf des Lebens beeinflussen
viele Faktoren unsere Darmflora, z.B. Ernährung, Antibiotika, Rauchen,
Stress und Erkrankungen. Umgekehrt wird eine gesunde Darmflora
nachweislich durch eine gesunde Lebensweise und durch eine ausgewogene,
insbesondere mediterrane Kost gefördert. Die aktuellen Daten zeigen, dass
eine gesunde Darmflora eine wichtige Säule der Parkinsonprävention ist.“
[1] Nakahara K, Nakane S, Ishii K et al. Gut microbiota of Parkinson's
disease in an appendectomy cohort: a preliminary study. Sci Rep 2023 Feb
7; 13 (1): 2210 doi: 10.1038/s41598-023-29219-2.
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