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„Selten sind Viele“ – Seltene Erkrankungen können auch die Leber schädigen

Jedes Jahr am letzten Tag im Februar ist „Rare Disease Day“, der „Tag der
Seltenen Erkrankungen“. Auch am 28. Februar 2023 werden seltene
Erkrankungen weltweit unter einem besonderen Blickwinkel betrachtet und
die Aufmerksamkeit wird mit dem Motto „Selten sind Viele“ auf die
„Seltenen“ gelenkt. Die Deutsche Leberstiftung weist im Rahmen des
internationalen Aktionstages darauf hin, dass viele seltene Erkrankungen
eine Leberbeteiligung haben und häufig keine spezifischen Symptome
verursachen. Sie informiert darüber hinaus über verbesserte
Behandlungsmöglichkeiten einiger seltener Erkrankungen und die essenzielle
Notwendigkeit einer frühen Diagnostik.

Die Europäische Union (EU) stuft eine Erkrankung offiziell als seltene
Erkrankung ein, wenn sie weniger als fünf von 10.000 Menschen betrifft.
Addiert man alle bislang bekannten seltenen Erkrankungen, ergeben sich für
die EU insgesamt mehr als 6.000 Krankheiten. Verschiedene dieser seltenen
Erkrankungen – an denen in der EU insgesamt schätzungsweise 30 Millionen
Menschen leiden – können auch zu einer Leberschädigung führen. Allein in
Deutschland sind mehrere 10.000 Menschen von einer seltenen
Lebererkrankung betroffen.

Bei den seltenen Erkrankungen, die zu einer Leberschädigung führen können,
werden angeborene Krankheiten, autoimmune Erkrankungen, bei denen die
Leber vom eigenen Immunsystem angegriffen wird und Erkrankungen, die
infektiöse oder toxische Ursachen haben, voneinander unterschieden. Diese
Erkrankungen verlaufen fortschreitend und senken häufig die
Lebenserwartung.

Zu den seltenen Erkrankungen mit genetischer Ursache, die zu einer
Leberschädigung führen können, zählen der Morbus Wilson, die Porphyrie,
der Alpha-1-Antitrypsin-Mangel, einige lysosomale Speichererkrankungen und
auch die Hämochromatose.

Die Problematik bei seltenen Lebererkrankungen besteht darin, dass diese
häufig keine spezifischen Symptome verursachen und daher sehr schlecht zu
diagnostizieren sind. In den letzten Jahren haben sich die Diagnostik- und
Therapieoptionen für einige seltene Erkrankungen teilweise verbessert.
„Mit neuartigen, leistungsfähigen gen- und molekulardiagnostischen
Verfahren können wir mittlerweile oftmals auch die Ursachen von seltenen
Erkrankungen spezifizieren und frühzeitig eine zielgerichtete Behandlung
beginnen“, erläutert Prof. Dr. Michael P. Manns, Vorstandsvorsitzender der
Deutschen Leberstiftung, und ergänzt: „Die Erforschung und Entwicklung von
Behandlungsmöglichkeiten für diese Erkrankungen werden gesetzlich
gefördert und vereinfacht. Medikamente für seltene Erkrankungen haben
einen sogenannten „Orphan Drug“-Status. Viele seltene Erkrankungen brechen
bereits im Kindesalter aus. Nur durch eine frühe Diagnostik beispielsweise
im Rahmen von Screening-Untersuchungen bei Neugeborenen sind schwere
Störungen erkenn- und behandelbar. Von der Erforschung seltener
Erkrankungen profitieren oftmals auch Patienten mit häufigen Erkrankungen,
denn diese Forschung treibt auch die sogenannte personalisierte Medizin
voran.“

Für zahlreiche seltene Lebererkrankungen gibt es in den letzten Jahren
einen Erkenntnisgewinn bei der Pathophysiologie – beispielsweise durch die
Identifizierung einzelner Gene und deren Funktion für die jeweilige
Erkrankung. Prinzipiell sind verschiedene, fundamental neue therapeutische
Strategien für die Behandlung von seltenen Lebererkrankungen denkbar. So
gibt es zum Beispiel für den Ersatz eines defekten oder fehlenden Proteins
deutlich bessere Optionen. Die Nutzung der RNA-Interferenz ermöglicht
beispielsweise gezielt die Bildung von „schädlichen“ Proteinen
einzudämmen. Einige seltene Lebererkrankungen, die bislang als nicht
behandelbar eingestuft waren, sind mit neuen Therapie-Optionen gut zu
kontrollieren.

„Es ist zu hoffen, dass durch die Fortschritte bei den
Behandlungsmöglichkeiten auch das Bewusstsein für häufig
unterdiagnostizierte seltene Lebererkrankungen gesteigert werden kann. Für
einige seltene genetische Speichererkrankungen wie beispielsweise Morbus
Wilson und seltene Lebererkrankungen mit Leberbeteiligung sind die neuen
Ansätze zur Therapie bereits im klinischen Alltag angekommen. Weitere
vielversprechende Therapie-Optionen befinden sich aktuell in der frühen
klinischen Entwicklung. Erstmalig seit vielen Jahrzehnten sind jetzt für
bestimmte seltene Lebererkrankungen wirkliche Fortschritte in den
therapeutischen und speziell gentherapeutischen Möglichkeiten absehbar“,
betont Prof. Manns.

Deutsche Leberstiftung
Die Deutsche Leberstiftung befasst sich mit der Leber, Lebererkrankungen
und ihren Behandlungen. Sie hat das Ziel, die Patientenversorgung durch
Forschungsförderung, Forschungsvernetzung und wissenschaftliche Projekte
zu verbessern. Mit intensiver Öffentlichkeitsarbeit steigert die Stiftung
die öffentliche Wahrnehmung für Lebererkrankungen, damit diese früher
erkannt und geheilt werden können. Die Deutsche Leberstiftung bietet
außerdem Information und Beratung in medizinischen Fragen. Auf der Website
finden Sie umfangreiche Informationen sowie Bildmaterial für Betroffene,
Interessierte, Angehörige der Fachkreise und Medienvertreter: https://www
.deutsche-leberstiftung.de.

NEUERSCHEINUNG: „Das große Kochbuch für die Leber“ – 122 Rezepte mit allen
wichtigen Nährwertangaben; wichtige Küchentipps und Regeln für eine
lebergesunde Ernährung, September 2022. Das Buch ist im Buchhandel
erhältlich: ISBN 978-3-8426-3100-7 € 28,00 [D].
Weitere Informationen: https://www.deutsche-leberstiftung.de/Kochbuch-
Leber/
.

BUCHTIPP: „Das Leber-Buch“ informiert allgemeinverständlich und umfassend
über die Leber, Lebererkrankungen, ihre Diagnosen und Therapien, 4.
erweitere und aktualisierte Auflage September 2021, im Buchhandel
erhältlich: ISBN 978-3-8426-3043-7, € 19,99 [D].
Weitere Informationen: https://www.deutsche-leberstiftung.de/Leber-Buch.

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Was ist ERN RARE-LIVER und wie kann es Menschen mit Seltenen Lebererkrankungen helfen?

Am 28. Februar 2023 ist es soweit: Der RARE DISEASE DAY soll auf der
ganzen Welt so viel Aufmerksamkeit wie möglich erregen und auf die 300
Millionen Menschen lenken, die weltweit mit einer seltenen Erkrankung
leben.

Doch was viele Betroffene nicht wissen: Es gibt hochspezialisierte
Exzellenzzentren, wie das Europäische Referenznetzwerk für Seltene
Lebererkrankungen (ERN RARE-LIVER) - ein 2017 von der Europäischen
Kommission initiierter Verbund von medizinischen Exzellenzzentren zur
Diagnostik und Therapie von Betroffenen, sowohl Kindern als auch
Erwachsenen, das in Hamburg angesiedelt ist.

Doch was genau ist das ERN RARE-LIVER und wie kann es seinen Patienten
helfen?

Das Europäische Referenznetzwerk für Seltene Lebererkrankungen (ERN RARE-
LIVER) ist ein 2017 von der Europäischen Kommission initiierter Verbund
von medizinischen Exzellenzzentren zur Diagnostik und Therapie von
Betroffenen, sowohl Kindern als auch Erwachsenen.

Ziel ist es, das Wissen und die Erfahrung ausgewiesener Experten
europaweit zu bündeln und allen Patienten und ihren behandelnden Ärzten
zur Verfügung zu stellen. Inzwischen gehören 53 Universitätskliniken aus
15 EU-Ländern dem Netzwerk als Vollmitglieder an, zusätzliche 27 Zentren
aus 13 weiteren Ländern sind dem Netzwerk durch Partnerschaften verbunden
und arbeiten eng zusammen.

Neben der fachlichen Expertise zeichnet sich das ERN auch durch die
besondere Berücksichtigung der Patienteninteressen aus. 39
unterschiedliche Patientenorganisationen sind dem Netzwerk angeschlossen
und entsenden Vertreter in das Leitungsgremium (Management Board) und alle
weiteren Gremien des Netzwerkes.

Für Menschen mit Seltenen Erkrankungen ist es oft sehr schwierig,
rechtzeitig die richtige Diagnose und die für sie notwendigen, häufig sehr
individuellen Behandlungsmöglichkeiten zu bekommen.

In der Europäischen Union gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr
als fünf von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind. Das entspricht einer
Erkrankungshäufigkeit unter 0,05 Prozent, so dass selbst der
durchschnittliche Facharzt das entsprechende Krankheitsbild noch nie oder
höchstens einmal gesehen hat. Für seltene Erkrankungen kann das Fachwissen
deswegen nur an wenigen Spezialzentren vorhanden sein.

Ziel des RARE-LIVER Netzwerkes ist es, jedem betroffenen Patienten Zugang
zu diesem Spezialwissen zu ermöglichen und gemeinsam Diagnostik und
Therapie dieser seltenen Erkrankungen zu verbessern. Hierzu bietet das
Netzwerk umfangreiches Informationsmaterial, veranstaltet Seminare,
Workshops und Webinare zur Fort- und Weiterbildung und ist in
Zusammenarbeit mit den europäischen Fachgesellschaften auf den
internationalen Kongressen vertreten. Spezielle Arbeitsgruppen widmen sich
den verschiedenen Krankheitsbildern sowie übergeordneten Themen wie der
Lebensqualität betroffener Patienten oder den Versorgungsstrukturen.

Als einen ganz besonderen Service bietet das Netzwerk über ein Daten-
gesichertes online Tool auch gezielte Beratung für einzelne Fälle. Hierfür
kann sich jeder Arzt an eines der Mitgliedszentren wenden, und von dort
aus kann die Konsultation der besten Spezialisten für die jeweilige
Fragestellung leicht und zügig in die Wege geleitet werden. Auf diesem
Wege konnte bereits mehr als 400 Patienten mit besonders komplexen
Problemen bei seltenen Lebererkrankungen geholfen werden.

Auf diese Weise erreicht das RARE-LIVER Netzwerk schrittweise das
übergeordnete Ziel, dass jedem europäischen Patienten – unabhängig von
seinem Wohnort – das beste Wissen über Lebererkrankungen zugänglich
gemacht werden kann.

Zwei konkrete Beispiele:

Die autoimmune Hepatitis (AIH) ist eine seltene entzündliche Erkrankung
der Leber, bei der das eigene Immunsystem die Leber angreift und schädigt,
deshalb könnte AIH auch als „Rheuma“ der Leber bezeichnet werden.
Unbehandelt schreitet die Erkrankung voran, bis die Leber so stark
geschädigt ist, dass sie ihre Funktion nicht mehr erfüllen kann und die
Patienten versterben, es sein denn eine Lebertransplantation ist noch
möglich. Durch eine antientzündliche Therapie kann dieser Prozess
aufgehalten werden, die Lebensqualität verbessert sich und die Patienten
erreichen meist wieder eine normale Lebenserwartung. Eine
Lebertransplantation ist damit nicht mehr notwendig.

Einen gänzlich anderen Hintergrund hat die sehr seltene Lebererkrankung
Morbus Wilson, die Kupferspeicherkrankheit. Hierbei wird durch einen
genetischen (also ererbten) Fehler der Stoffwechsel von Kupfer, auf das
der Körper in geringen Mengen angewiesen ist, gestört: Es wird weiterhin
Kupfer in den Körper aufgenommen, aber kein Kupfer mehr ausgeschieden.
Somit reichert sich Kupfer in verschiedenen Organen wie der Leber, aber
auch dem Nervensystem, an und schädigt diese. Durch moderne medikamentöse
Therapien, die Kupfer binden und die Kupferausscheidung fördern, können
Organschäden effektiv verhindert werden. So effektiv die Therapie sein
kann, so sehr erfordert sie bei beiden Erkrankungen eine individualisierte
Abstimmung auf den jeweiligen Patienten und deshalb Erfahrung und
Spezialwissen.

Wie findet der Patient den richtigen Arzt?

In der Regel gehen Patienten zu ihrem Hausarzt, der mit den Symptomen und
dem Krankheitsbild im Fall von seltenen Lebererkrankungen häufig nichts
anfangen kann, daher überweist er den Patienten an das nächste
Universitätsklinikum. Dort finden weitere Untersuchungen statt. Doch auch
in den meisten Krankenhäusern reicht das Fachwissen oft nicht aus, um
herauszufinden, welches die richtige Behandlung wäre. In diesem Fall
wenden sich Ärzte an das Europäische Referenznetzwerk (ERN) RARE-LIVER.
Mit der Zustimmung des Patienten gibt das Krankenhaus die Akte in das
hochgesicherte ERN-eigene Online-System ein. Spezialisten aus ganz Europa
analysieren den Fall und erörtern die möglichen Optionen. Auf der
Grundlage von ähnlichen Fällen rät das Gremium zu einer, auf diesen
individuellen Fall maßgeschneiderten, Behandlung, die in den meisten
Fällen dann im Heimatland des Patienten durchgeführt werden kann. Das
System kann aber auch dazu dienen, Expertenmeinungen zur Diagnostik
einzuholen, also bei unklaren Fällen Experten zu befragen, was sie
glauben, welche Erkrankung vorliegt und welche weiteren Untersuchungen
notwendig sind, um die Erkrankung zu beweisen.

„Das heißt, der Patient muss dem Fachwissen nicht mit einem hohen
zeitlichen und finanziellen Aufwand hinterher reisen, sondern unser
Netzwerk bringt das Wissen direkt zum Patienten“, erklärt Leberspezialist
und Netzwerkkoordinator Professor Ansgar W. Lohse.

Hintergrundinformation:

In der Europäischen Union gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr
als fünf von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind. Doch von diesen
Erkrankungen gibt es viele.

Seltene Krankheiten haben häufig eine genetische Komponente als Ursache.
Sie verlaufen oft chronisch und senken häufig die Lebenserwartung des
Patienten. Dabei werden angeborene Krankheiten von Erkrankungen
unterschieden, die infektiöse oder toxische Ursachen haben.

Es gibt verschiedene seltene Erkrankungen mit genetischer Ursache, die zu
einer Leberschädigung führen können. Hierzu gehören zum Beispiel der
Morbus Wilson, die Porphyrie, oder der Alpha-1-Antitrypsin-Mangel, die
durch Defekte von Enzymen verursacht werden, die für den Abbau von
Stoffwechselprodukten notwendig sind.

„Bei Lebererkrankungen ist die Früherkennung besonders wichtig. Die
Erkrankung und ihre Folgen können umso besser behandelt und gegebenenfalls
sogar geheilt werden, je früher sie erkannt wurden“, erklärt Professor
Ansgar W. Lohse.

Funktionen der Leber

Die Leber übernimmt zahlreiche Funktionen. Sie spielt eine wichtige Rolle
im Energiestoffwechsel und produziert zudem viele wesentliche Enzyme, um
diesen zu regulieren. Zu ihren Aufgaben gehört auch die Entgiftung des
Körpers, die Speicherung von Energiereserven und Vitaminen sowie die
Produktion von Bluteiweißen, Gallenflüssigkeit, Abwehrstoffen und
Ausgangsprodukten für die Hormonproduktion. Auch wichtige Bestandteile des
Immunsystems sind in der Leber lokalisiert. Dies sind vorrangig
Abwehrzellen, die der Infektabwehr dienen, aber auch für das Gleichgewicht
des Immunsystems im ganzen Körper wichtig sind. Eine funktionsfähige Leber
ist essentiell für die Gesundheit jedes Menschen.

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GERAADA Score: Deutsche Risikobewertung für Aortendissektion in den USA bestätigt

Hohe Zuverlässigkeit der Deutschen Risikobewertung bei Patient*innen mit
lebensbedrohlichen Einrissen der Hauptschlagader in Amerika bestätigt.

Der von der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie
(DGTHG) entwickelte GERAADA Score, der eine strukturierte
Risikoabschätzung für Patient*innen mit Aortendissektion vornimmt, ist in
den USA für amerikanische Patient*innen überprüft worden. Wie Mikolaj
Berezowski von der Klinik der Universität von Pennsylvania auf der
Jahrestagung der amerikanischen Fachgesellschaft STS (Society of Thoracic
Surgeons) berichtete, wurde der Score bei 685 notfallmäßig an der Aorta
operierten Patient*innen angewandt. Im Ergebnis zeigte sich eine hohe
Übereinstimmung zwischen der Vorhersage des Scores und dem tatsächlichen
Überleben. Dem GERAADA Score wurde daher eine große Zuverlässigkeit
attestiert.

„Es freut uns natürlich sehr, dass Amerika nach Deutschland blickt und die
Ergebnisse unserer wissenschaftlichen Tätigkeit anerkennt und bestätigt,“
sagte Prof. Dr.Andreas Böning, Vizepräsident der DGTHG. Die
Risikoabschätzung GERAADA wurde bereits 2020 von Prof. Martin Czerny,
Leiter der DGTHG-Kommission Aortenchirurgie, erstpubliziert (Eur J
Cardiothorac Surg. 2020 Oct 1; 58 (4): 700-706) und in Folge umgehend in
Deutschland in die klinische Praxis eingeführt. Aktuell werden die
Langzeit-Daten der Patient*innen des GERAADA Registers dahingehend
überprüft, ob der für den 30-Tage-Zeitraum entwickelte GERAADA Score auch
für das Langzeit-Überleben anzuwenden ist.

Prediction of mortality rate in acute type A dissection: the German
Registry for Acute Type A Aortic Dissection score.
Czerny M, Siepe M, Beyersdorf F, Feisst M, Gabel M, Pilz M, Pöling J,
Dohle DS, Sarvanakis K, Luehr M, Hagl C, Rawa A, Schneider W, Detter C,
Holubec T, Borger M, Böning A, Rylski B. Eur J Cardiothorac Surg. 2020 Oct
1;58(4):700-706. doi: 10.1093/ejcts/ezaa156.

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Wie schädigen Operationen mit Herz-Lungen-Maschine die Darmflora?

Forschungen zum Mikrobiom mit renommierter Dr. Rusche-Projektförderung der
Deutschen Stiftung für Herzforschung ausgezeichnet

Rund 90.000 Herzoperationen mit und ohne Herz-Lungen-Maschine (HLM) werden
pro Jahr in Deutschland durchgeführt. Die Anwendung der HLM ist nach wie
vor bei vielen Operationen am Herzen unentbehrlich. Allerdings hat ein
solcher invasiver Eingriff, bei dem das Herz „stillgelegt“ wird und die
HLM die Funktion von Herz und Lunge übernehmen muss, mitunter auch
unerwünschte Folgen. Gefürchtet ist nach herzchirurgischen Eingriffen mit
HLM zum Beispiel das system-inflammatorische Antwortsyndrom (SIRS). Dabei
kommt es zu heftigen Immunreaktionen, die in eine kaum zu kontrollierende
Kreislaufinstabilität und Störungen der Organfunktion münden können – mit
zum Teil tödlichem Ausgang für die betroffenen Herzpatienten. Gleichzeitig
ist inzwischen bekannt, dass die natürliche und intakte Keimbesiedelung
des Darms, das Mikrobiom (ehemals auch als Darmflora bezeichnet), eine
grundlegende, stabilisierende Rolle bei der Regulierung des Immunsystems
hat. Diese sogenannte Eubiose kann durch verschiedene Einflüsse gestört
werden und in den gesundheitlich ungünstigen Zustand der Dysbiose
übergehen.

Forschung zum Mikrobiom und SIRS für mehr Patientensicherheit bei Herz-OPs
Bei einer Dysbiose sind Anzahl und Vielfalt der normalen Mikrobiom-
Organismen reduziert. Dies begünstigt, dass sich potenzielle
Krankheitserreger ansiedeln bzw. vermehren können, was durch Ausschüttung
verschiedener Metaboliten und Toxinproduktion wiederum entzündliche
Prozesse aktivieren und erhalten kann. Einer der Schlüsselfaktoren für das
Gleichgewicht des Mikrobiom-Milieus ist eine physiologische
Darmdurchblutung – und eine Operation mit HLM beeinträchtigt diese
nachweislich. „Unverzichtbar für mehr Patientensicherheit sind neue
Erkenntnisse zu den Entstehungsmechanismen des SIRS im Zusammenhang mit
herzchirurgischen Eingriffen mit HLM. Die Rolle des durch Operation mit
HLM veränderten Mikrobioms rückt dabei zunehmend in den Fokus der
Forschung“, betont Herzchirurg Prof. Dr. Armin Welz, Vorsitzender des
wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Stiftung für Herzforschung
(DSHF). Deshalb fördere die DSHF mit der diesjährigen Dr. Rusche-
Projektförderung eben zu dieser Problematik ein innovatives
Forschungsvorhaben.

Dr. med. Hristian Hinkov von der Klinik für Herz-, Thorax- und
Gefäßchirurgie am Deutschen Herzzentrum der Charité - Universitätsmedizin
Berlin, will daher nun zusammen mit Kollegen den Einfluss einer
Herzoperation mit HLM auf das Mikrobiom genauer untersuchen. Das mit der
Dr. Rusche-Projektförderung ausgezeichnete Projekt möchte unter anderem
klären, wie sich das Mikrobiom, seine Stoffwechselprodukte und Botenstoffe
(Metabolom) nach Operationen mit HLM verändern. Diese Erkenntnisse sollen
dann mit der Aktivierung verschiedener Entzündungsmechanismen und mit dem
Heilungsverlauf nach OP in Zusammenhang gesetzt werden, um so wichtige
Hinweise zum Entstehen eines SIRS zu erhalten.
„Denn lässt sich tatsächlich eine Verbindung zwischen spezifischer
Mikrobiom-Veränderung und SIRS-Mechanismen nachweisen, könnten sich daraus
auch neue Therapieansätze bei SIRS ergeben, zum Beispiel durch eine
gezielte Mikrobiom- bzw. Metabolom-Modulation“, hofft Dr. Hinkov.
Entsprechende Maßnahmen könnten entweder vor dem Eingriff erfolgen, um das
Mikrobiom zu stabilisieren oder nach dem Eingriff, um die Mikrobiom-
Zusammensetzung zu regenerieren und wieder herzustellen. Darüber hinaus
soll erforscht werden, ob sich bereits vor einer Operation anhand von
bestimmten Mikrobiom-Profilen ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von
SIRS erkennen lässt. „Damit könnte potenziell betroffenen Patienten eine
angepasste Therapie angeboten und der Einsatz einer HLM ein Stück sicherer
gemacht werden“, so Hinkov.

Mikrobiom von 80 Patientinnen und Patienten nach Bypass-OP untersucht
Das Projekt sieht konkret vor, bei 80 herzchirurgisch behandelten
Patienten das Mikrobiom zu untersuchen: davon 40 Patienten mit aorto-
koronarer Bypass-Operation und HLM sowie 40 Patienten mit Bypass-
Operation, bei der keine HLM-Unterstützung nötig ist. „Vor der Operation,
unmittelbar nach dem Eingriff, während des Krankenhausaufenthaltes sowie
sechs Monate nach Entlassung werden Blut- und Stuhlproben entnommen und
hinsichtlich Mikrobiom-Zusammensetzung, Entzündungszeichen und
Immunzellaktivierung ausgewertet. Die Befunde werden dann mit dem
jeweiligen Verlauf von OP und Heilungsprozess abgeglichen, um mögliche
Zusammenhänge zu erkennen“, erläutert Hinkov.

Das Projekt von Dr. Hinkov „Die Effekte der Herz-Lungen-Maschine auf das
intestinale Mikrobiom und die Relation zum postoperativen SIRS“ erhält
aufgrund seines innovativen Forschungsansatzes daher auch die Dr. Rusche-
Projektförderung der Deutschen Stiftung für Herzforschung (DSHF) 2023 in
Höhe von 58.800 Euro, die jährlich von der DSHF zusammen mit der Deutschen
Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) für ein
Forschungsvorhaben auf dem Gebiet der Herzchirurgie vergeben wird. Die
DSHF wurde von der Deutschen Herzstiftung 1988 gegründet. Der Antrag der
Berliner Nachwuchsforscher wurde im Februar auf der 52. Jahrestagung der
DGTHG ausgezeichnet.
(ne)

Forschung nah am Patienten
Dank der finanziellen Unterstützung durch Stifterinnen und Stifter,
Spender und Erblasser kann die Deutsche Herzstiftung gemeinsam mit der von
ihr 1988 gegründeten Deutschen Stiftung für Herzforschung (DSHF)
Forschungsprojekte in einer für die Herz-Kreislauf-Forschung
unverzichtbaren Größenordnung finanzieren. Infos zur Forschungsförderung
der Deutschen Herzstiftung: www.herzstiftung.de/forschung-und-foerderung
Die 2008 eingerichtete „Dr. Rusche-Projektförderung“ ist mit 60.000 Euro
dotiert und wird jährlich von der DSHF zusammen mit der Deutschen
Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) vergeben.
Benannt ist der Stiftungsfond nach dem Internisten Dr. Ortwin Rusche (1938
bis 2007) aus Bad Soden, der die DSHF in seinem Testament bedachte, um
Forschungsprojekte auf dem Gebiet der Herzchirurgie zu fördern. Bewerben
können sich junge Wissenschaftlerinnern und Wissenschaftler, die in
Deutschland auf dem Gebiet der Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie tätig
sind (www.dshf.de).

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