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Lucerne Festival am Piano, Rezital 3 Igor Levit, 23. November 2016, besucht von Léonard Wüst

Igor Levit c Gregor HohenbergBesetzung und Programm:

Igor Levit  Klavier

Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Aria mit 30 Veränderungen BWV 988 Goldberg-Variationen

Rezension:

Eigentlich eine erstaunliche „Karriere“, die dieser IV. Teil der Clavier Übung von Johannes Sebastian Bach gemacht hat, komponiert 1741, sind sie doch heute bekannter als so manche Sinfonien oder Sonaten anderer berühmter Komponisten. Ausser den „Diabelli -Variationen“ von Ludwig van Beethoven gibt es nichts auch nur annähernd Ähnliches in der Musikliteratur. Übungsstücke, die ungleich populärer sind als viele der ausgereiften, aufwändig orchestrierten Kompositionen anderer Musiker.

Glenn Gould  (1932 – 1982)Die Mystik der Bachschen „Goldberg- Variationen“ gründet wohl zum grossen Teil auf deren Einspielung durch den kanadischen Ausnahmepianisten Glenn Gould  (1932 – 1982) im Juni 1955.

„Bach wird oft als verkopfter Mathematiker bezeichnet“. Die „Goldberg-Variationen“, ursprünglich für zweimanualige Cembali komponiert, spalten heute noch die Musikergemüter in zwei Lager. Einige Musiker meinen, diese Komposition passe nicht zu einem Piano. Doch das erschwere das einmanualige Spielen und habe einen besonderen Reiz, so die Pianistin Rosa Günter.

Um in die tiefen Geheimnisse einzudringen unterteilt z.B. der ungarische Pianist und Dirigent András Schiff (*1953), wenn er die «Goldberg-Variationen» vorträgt, den Abend bisweilen in zwei Teile. In einem ersten Teil führt er erläuternd, nämlich sprechend und spielend, durch die Komposition, Im zweiten Teil des Abends trägt er dann das Werk vor. (Zitat Peter Hagmann in seinem  Blog zur klassischen Musik). Schiff ist unbestritten einer der weltbesten „Goldberg“  Interpreten und hat diese auch schon in den Jahren 2000 und 2015 im Rahmen des Lucerne Festival dargebracht.  Auch Igor Levit scheut sich nicht, diese „heissen Eisen“ anzugehen und sich damit zu exponieren. Beide Variationen gehören in sein Standardrepertoire, deswegen auch die perfekte Darbietung, ob Tempi, Lautstärke oder technische Raffinessen, Levit beherrscht alles perfekt, spielt nicht verbissen konzentriert, sondern auffällig gelassen, locker, manchmal gar sich verschmitzt freuend, wie ein Lausbub. Immer wieder auffallend beim Spiel sind die virtuosen Effekte der gekreuzten Hände, also die Über – und Untergriffe, deren es ausreichend gibt im Werk und die Levit beherrscht und auch meisterhaft inszeniert. Er weidet das Werk richtiggehend aus, seziert und fügt es wieder zusammen. Damit erweist er sich als veritabler „Goldgräber“. Dieses Konzert verlangt auch vom Publikum grösste Aufmerksamkeit und Konzentration, bis am Ende auf atemlose Stille begeisterter Applaus des tief beeindruckten Auditoriums folgt.

Nachtrag:

«Womit wird uns dieser Klavierverrückte als Nächstes kommen?», fragte sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung, als Igor Levit im vergangenen Herbst zwei absolute Meilensteine des Repertoires, nämlich Bachs Goldberg-Variationen und Beethovens Diabelli-Variationen, in Koppelung mit einem pianistischen Parforceritt von Frederic Rzewski als Triptychon herausbrachte.

Text: www.leonardwuest.ch Fotos: www.lucernefestival.ch

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Lucerne Festival am Piano Tastentag 3 Nareh Arghamanyan, 20. November 2016, besucht von Léonard Wüst

Nareh Arghamanian c Peter Fischli, Lucerne FestivalBesetzung und Programm:

Nareh Arghamanyan  Klavier

Aleksandr Skrjabin (1872–1915)
Klaviersonate Nr. 3 fis-Moll op. 23

Sergej Rachmaninow (1873–1943)
Ausgewählte Lieder in Klaviertranskriptionen

Nikolai Medtner
Sonata Reminiscenza a-Moll op. 38 Nr. 1

Igor Strawinsky (1882–1971)
Danse infernale, Berceuse und Finale aus Der Feuervogel, arrangiert für Klavier von Guido Agosti

Michail Glinka (1804–1857)
Nocturne La separation

Romance L’alouette, arrangiert für Klavier von Mili Balakirew

Mili Balakirew (1837–1910)
Islamej. Orientalische Fantasie für Klavier

Rezension:

Konzert im Rahmen des Tastentags

Der Tastentag widmete sich der russischen Klavierschule mit Martin Meyers Lecture (14.00) und den Pianisten Georgy Tchaidze (11.00), Alexej Gorlatch (16.00) und Nareh Arghamanyan (18.00).

Einen Streifzug durch hundert Jahre russische Musikgeschichte unternahm dabei Nareh Arghamanyan.

Sie wurde am 21. Januar 1989 in Armenien (damals noch Teil der Sowjetunion) geboren, begann im Alter von fünf Jahren mit dem Klavierspiel und schon drei Jahre später wurde sie am staatlichen Tschaikowsky-Konservatorium in Eriwan aufgenommen, mit 15 Jahren wurde sie an die Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien zugelassen.

Die Künstlerin stellte kurzfristig die Reihenfolge um und startete mit der Komposition von Nikolai Medtner und stellte Strawinskys „Feuervogel“ an den Schluss. Eine glückliche Entscheidung, wie sich erweisen sollte, waren doch die Werke der zuletzt gespielten drei Komponisten die technisch spektakulärsten. Dagegen wirkten selbst die vorher gespielten Stücke von Skrjabin und Rachmaninow relativ brav. Richtige Trouvaillen, da weniger bekannt, dagegen Michail Glinka und Mili Balakirew, deren Werke zwischen denen der arrivierteren Komponisten zur Aufführung gelangten.

Im 19. Jahrhundert galtIslamej“, orientalische Fantasie für Klavier von Mili Balakirew, als beinahe unspielbar. Aleksandr Skrjabin soll sich beim Üben derselben sogar die rechte Hand verletzt haben, wurde kolportiert. Aber für die Armenierin schien selbst diese Höchstschwierigkeit nicht das geringste Problem zu sein, meisterte sie doch die Tücken der Partitur mit ihrer stupenden Technik brillant.

Nareh Arghamanyan c Julia WeselyEs folgte der krönende Abschluss mit Strawinsky: Danse infernale, Berceuse und Finale aus „Der Feuervogel“, arrangiert für Klavier von Busoni – Schüler Guido Agosti. Hier konnte die Pianistin nochmal so richtig in die Tasten greifen, das Publikum zu Bravorufen animieren. Fulminante Läufe, effektvoll gesetzte Fortissimi und animierte Körpersprache perfektionierten das Gesamtkunstwerk. Stürmischer Applaus inklusive stehende Ovation war die verdiente Anerkennung für eine aussergewöhnliche Klaviervirtuosin an diesem Tastentag.
Text: www.leonardwuest.ch Fotos: www.lucernefestival.ch

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Beethovens Fünfte, Luzerner Sinfonieorchester, KKL Luzern, 16. November 2016, besucht von Léonard Wüst

Hannu Lintu, Beethovens Fünfte, Luzerner SinfonieorchesterBesetzung und Programm:

Luzerner Sinfonieorchester

Hannu Lintu, Leitung

Stojan Krkuleski, Klarinette, Christoffer Sundqvist, Klarinette

John Adams (*1947)
«Short Ride in a Fast Machine»

Siegfried Matthus (*1934)
Konzert für zwei Klarinetten und Orchester (Uraufführung)

Ludwig van Beethoven (1770 – 1827)
Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67

 

Rezension:

Eigentlich deutete von der Programmation her alles darauf hin, dass Beethovens Fünfte der Höhepunkt des Konzertes sein würde. Das war sie dann auch, allerdings nicht uneingeschränkt, da die Uraufführung des Doppelkonzertes für zwei Klarinetten von Siegfried Matthus (*1934) im ersten Konzertteil, beim Publikum im ausverkauften Konzertsaal ebenso grosse Begeisterung hervorrief, auch, weil mit Stojan Krkuleski einer der beiden Solisten Mitglied des LSO ist. Gestartet wurde furios mit dem  fünfminütigen John Adams Knüller über die musikalisch dargestellte, rasante Fahrt mit einem PS potenten Sportwagen (Short ride in a fast machine). Da war vom Orchester volle Präsenz ab der ersten Sekunde gefragt. Geleitet vom schlaksigen finnischen Gastdirigenten Hannu Lintu meisterten die Musiker diese kurze, aber explosive Spritzfahrt und erhielten dafür den entsprechenden Applaus. Darauf positionierten sich die zwei Solo Klarinettisten vor dem Orchester für das nun folgende Konzert für zwei Klarinetten und Orchester. Bald wurde hörbar, wie schalkhaft süffisant der Komponist die Soli in der Partitur gelistet hat. Es entwickelten sich spannende Monologe, dazu die erfolglosen Versuche in unisonen Dialog zu treten. Setzte Krkuleski seinen End Ton, folgte Sundqvist mit einem konstant höheren, was seinen Mitstreiter sichtlich enervierte. Dies wiederum ärgerte Sundqvist, der sich selbst im Recht wähnte. Stojan Krkuleski, Solist KlarinetteSo nahm die Tragikomödie ihren Lauf, bis beide Solisten perplex verstimmt die Bühne verliessen. (Dies immerhin fast synchron). Das Orchester spielte die Partitur ungerührt weiter, worauf sich die beiden Solo Klarinetten wieder dazu gesellten, schlussendlich zusammenrauften und doch noch zu einer finalen Harmonie gelangten. Sie bewiesen bei diesem musikalischen „Pas de deux“, dass sie nicht nur aussergewöhnlich gute Musiker sind, sondern dazu  über sehr grosse komödiantische Fähigkeiten verfügen. Obwohl dieses Szenario vom Komponisten höchstpersönlich im Programm so beschrieben war, überraschte die Umsetzung desselben in seiner Konsequenz doch, sichtlich genossen vom köstlich amüsierten Publikum. Dabei war das Ganze in keinster Weise klamaukhaft, sondern eine augenzwinkernde, feinfühlige Parodie auf Personen, die, aller Bemühungen zum Trotz, nicht auf die gleiche Wellenlänge kommen, sich nicht zur gleichen Zeit mit dem wortwörtlich gleichen Ton äussern können. Versöhnlich, dass zum Schluss doch noch alles Friede, Freude, Eierkuchen war. Christoffer Sundqvist, Solist  KlarinetteDas Auditorium war hell begeistert und überwältigt, weil, nebst Witz und Ironie, auch die musikalische Qualität auf höchstem Level war. So begab man sich gutgelaunt in die Pause.

Der zweite Konzertteil Beethovens 5. Sinfonie

Hannu Littu führte gradlinig und klar durch die Partitur, zügig, nicht zu pompös, gar brachial. Diese Interpretation erlaubte, besonders den Bläsern, feine Ziselierungen, zurückhaltend diskret und trotzdem deutlich. Wo Beethoven häufig etwas bärbeissig daherkommt, liess der finnische Dirigent auch mal eine Spur Zärtlichkeit, gar Erotik durchschimmern, manchmal auf dem Pult wie ein nordischer Torero agierend, seinen ganzen Körper einsetzend,  dann wippend und mit grosser Gestik, mal mit blossen Fingerbewegungen die Töne rauskitzelnd. Ein Hör – und Sehgenuss par excellence, getragen durch ein gewohnt souveränes, auf höchstem Niveau agierenden LSO. Das  sichtlich zufriedene Publikum honorierte diese Darbietung mit kräftigem, langanhaltendem Applaus, zu einer stehenden Ovation reichte es erstaunlicherweise nicht ganz.

 

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos: sinfonieorchester.ch/home

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Mariinsky Orchestra, Kulturcasino Bern, 17. November 2016, besucht von Paul Ott

Mariinsky OrchestraBesetzung und Programm:

Valery Gergiev (Leitung)
Leonidas Kavakos (Violine)

Dieter Ammann
„Turn“ (2010)
Dmitri Schostakowitsch
Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 a-Moll op. 77
Modest Mussorgski
„Bilder einer Ausstellung“

 

Rezension: Ein Maestro im Bein-Korsett

Das zweite Konzert von Migros-Kulturprozent-Classics in Bern bot mit dem Mariinsky Orchestra aus St. Petersburg nicht nur ein anderes Programm als dasjenige in Luzern, sondern begann mit Verspätung und der Ankündigung, dass der Maestro Valery Gergiev den Meniskus verletzt habe, aber das Konzert dennoch durchziehe. Ob als Dirigent auf einem nicht sehr stabil wirkenden Stuhl oder nach der Pause stehend, das linke Bein in einer Manschette: Das Publikum rechnete ihm seinen Durchhaltewillen hoch an!

Valery Gergiev (Leitung)Den Anfang machte Dieter Ammanns „Turn“ (2010), der Dreh- und Angelpunkt eines musikalischen Triptychons, über das der von der Aufführung sichtlich begeisterte Komponist im Programmheft sagt: „Ich habe ein formales Konzept entwickelt, das eine bewusste Überfrachtung des Orchestersatzes exponiert, um so eine musikalische Aura zu schaffen, die in der Folge dann einer grundlegenden Veränderung unterzogen bzw. völlig gebrochen wird.“ So gut das Orchester das Stück umsetzt, es bleibt ein Fremdkörper im Programm dieses Abends.

Es folgte Dmitri Schostakowitschs „Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 a-Moll op. 77“ aus dem Jahr 1947/48, das jedoch erst nach Stalins Tod 1955 zum ersten Mal aufgeführt werden konnte. Über die kulturpolitische Bedeutung des Werkes in der Sowjetunion ist hinlänglich berichtet worden. In der heutigen Aufführung wirkt das Geigenspiel frisch, leicht und luftig, während man sich – vor allem im dritten Satz – fragt, wozu es da ein Orchester braucht oder ob es den Klang der Violine, die auch die zartesten Töne mit höchster Präzision betont, nicht eher behindert. Es mag an der Anlage des Konzerts liegen oder an der Interpretation des Orchesters. Egal. Denn Leonidas Kavakos gibt mit seinem unglaublichen Spiel Grund zur Begeisterung. Er ist kein Zeremonienmeister (wie etwa die Kopatchinskaja), sondern ein Liebhaber der Geige, was er auch in einer fein gespielten Zugabe mit Zitaten aus der Barockzeit zeigt, die wir jedoch nicht zuordnen konnten.

Leonidas Kavakos (Violine)Nach der Pause zeigt sich das Mariinsky Orchestra auf dem Höhepunkt seines Könnens, und es ist ein besonderer Genuss, von einem russischen Orchester Modest Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ (1874)  zu hören, zwar ein oft gespielter Klassiker im Konzertbetrieb, aber selten mit so viel Leidenschaft aufgeführt. Dankenswerterweise sind die Titel der Bilder im Programmheft aufgelistet, so erkennt man den Gnom, den Ochsenkarren, das Heldentor an der bombastischen Wiedergabe, den Marktplatz von Limoges und die Tuilerien in ihrer luftigen Lebendigkeit und die allseits bekannte Promenade als Begleiter durch die Ausstellung. Man würde sich wünschen, zu den Klängen der Musik vor den Bildern von Viktor Hartmann zu stehen, die Mussorgski als Anregung dienten, zum Beispiel das reizend betitelte „Ballett der unausgeschlüpften Küken“. Die „Bilder“ wurden übrigens in der Orchesterfassung von Maurice Ravel präsentiert.

Es gab dann mit Claude Debussys „Prélude à l’Après-Midi d’un Faune“ (1894) noch eine grosszügige Zugabe, die zeigte, dass die russische und französische Kultur über lange Zeit eine große Affinität hatten, die heute noch auf der Bühne ihren Platz findet.

Ein toller Konzertabend!

Text: Paul Ott www.literatur.li

Konzert organisiert von: http://www.migros-kulturprozent-classics.ch/de/Home

Fotos: Homepage von Migros-Kulturprozent

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www.leonardwuest.ch

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