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Luzerner Theater: Uraufführung „Essen Zahlen Sterben“, Première im UG, 8. April 2016, besucht von Léonard Wüst

v.r.n.l.  Michael Fehr, Dominik Busch und Ariane Koch

Ein Theaterabend von Dominik Busch, Michael Fehr und Ariane Koch

In Zusammenarbeit mit dem Stück Labor Basel und der Zürcher Hochschule der Künste

Produktionsteam
Franz-Xaver Mayr Inszenierung
Johanna Zielinski Inszenierung
Dominik Busch Text
Michael Fehr Text
Ariane Koch Text
Anna Wohlgemuth Bühne
Susanne Ruhstorfer Kostüme
Erik Altorfer Dramaturgie
Besetzung: Judith Cuénod, Michael Fehr, Wiebke Kayser, Lilli Lorenz, Ingo Ospelt, David Michael Werner

Rezension:

Ein äusserst komplexer, spannender aber auch sehr fordernder Theaterabend, wie er wohl nur möglich und machbar ist in der Intimität der Spielstätte im UG. Ein monologisierender Michael Fehr spinnt in «Wie glücklich ich bin» die Geschichte des unauffälligen, grauen blinden Brüderpaares Frederic und Paul, die eine graue Maus adoptiert hatten, die sich aber im Nachhinein, als erwachsene junge Dame dagegen auflehnt, zwei Väter, aber keine Mutter zu haben, was absolut nicht der gängigen Norm entspreche. Die Brüder können sich mit dem „Abnabeln“ ihres Schützlings nicht abfinden und hetzen schlussendlich eine Horde aggressiver Hunde auf die Abtrünnige, was zu einer surrealen Verfolgungsjagd durch den Wald führt, die im Nirgendwo endet. Sich wiederholend übermittelt der Autor diese grau – düstere Parabel der Verlorenen, die gefangen in ihrer Welt, ihren vermeintlichen Besitzstand zu retten trachten, die Rechte und den Freiheitsdrang ihrer Schutzbefohlenen dabei über alle Massen beschränken, gar negieren, was zwangsläufig in einer Apokalypse enden muss, die Fehr denn auch detailversessen zwar grau, aber grellweiss ausgeleuchtet, schildert. Dies alles passiert inmitten der Requisiten, die für das nachfolgende Stück, «Die Beflissenen» von Dominik Busch benötigt werden und zwar etwa hälftig vor dem zweiten Stück und nach der darauffolgenden Pause, was zwangsläufig irritiert und etwas verwirrend ist. Nachdem Michael Fehr die Bühne verlassen hatte, versetzten sich die Schwingtüren an der Seite der Bühne der alten Schiesshalle im UG vom Luzerner Theater in stürmisches Pendeln, das Schauspiel Ensemble betritt den Raum, nimmt ihn furios für sich ein, schleudert Stakkato mässig Fragen über Fragen in die Runde, beantwortet sie teils selbst, lässt den Zuhörer aber meistens verstört ratlos sich selbst überlassen. Wie viele Firmen passen in einen Raum, sagen wir, so zwei mal drei mal drei Meter? Es kollabiert, um die Stummen zum Reden zu bringen. «Sag es!» Dann korrigieren und: «Nochmals von vorne sagen!» Bis sich die Rede verselbständigt und aus den Anstifterinnen Zuhörer werden, die, als wollten sie das Publikum verschaukeln, provokativ eine Pose des interessierten Mitverfolgens nach der anderen vorgaukeln. Doch es verwirrt sich immer mehr: wer steuert hier wen in diesem fünfköpfigen Ensemble? Legt das Wort wem in den Mund und fällt in wessen hinein? Wo endet das Dirigieren und beginnt der Dialog? Es erhält eine Eigendynamik, über die man leicht die Geschichte vergessen kann, die da eigentlich erzählt wird. Und dann kommen sie wieder mit ihren Fragen: alles Gold auf der Welt hat in einem Kubus 20mal20mal20 Platz, was wären die Masse des dafür vergossenen Blutes?

Hintergründiger Humor und Seitenhiebe auf Sterneköche und ihre Klientel und Entourage, verbal und mimisch hervorragend umgesetzt von den Schauspieler/innen, bot Buschs Satire «Die Beflissenen». Wiebke Kayser, einmal mehr in einer Glanzrolle, gab die Herrscherin über Hummermousse, Pastinaken, Wasabi Variationen, Zitronengassüppchen mit Jakobsmuscheln, orchestrierte und dirigierte die imaginäre Küchenbrigade. Ob Poissonier, Entremetier, Rotisseur oder Patissier, jedem wurde klargemacht, was wie wo zu passieren hatte, welche Raffinesse für welche Köstlichkeit vonnöten sei, wie und mit was man dieses oder jenes Gericht zu veredeln habe, damit ihr Auftraggeber zufrieden ist.  Dies alles, während ihr Mann, Chauffeur und Diener desselben Auftraggebers, auf absurd – abenteuerliche Weise bemüht war, die extravaganten, ausgefallenen Cigarrenwünsche seines Chefs zu befriedigen, dafür auch schon mal mit gefährlich überhöhtem Tempo über die Autobahnen brauste, um rechtzeitig im richtigen Cigarren – Spezialgeschäft anzukommen. Abgetaucht und gefangen in ihren jeweiligen Welten, waren sie aber nicht in der Lage ihren Babysitter dazu anzuhalten, etwas länger zum Kind zu schauen, da man etwas später nach Hause kommen werde. So werden eigentliche Banalitäten zum grossen Problem, komplexe berufliche Aufgaben werden dagegen mit vollem Engagement und Vehemenz gemeistert.

Da ja bekanntlich aller guten Dinge drei sein sollen, folgte nach der Pause noch «ALL YOU CAN EAT» von Ariane Koch. Ein gebündelt Feuerwerk an Wortkaskaden, sich jagende Pointen, Synchrondialogen, intellektuellen Fragespielen, Textfragmenten, hinausposaunten Lebensphilosophien, skurrilen Weltanschauungen. Die Dekadenz unserer unersättlichen Konsumgesellschaft, die auch nicht davor zurückschreckt, dem Kannibalismus zu verfallen und schlussendlich sich selber einzuverleiben, so wie die Revolution ihre eigenen Kinder frisst. Kannibalismus symbolisch für die heutige Heuschreckenmentalität des Neoliberalismus, der ohne jegliche Rücksicht über alles hinwegfegt. Dies alles in atemberaubenden Tempo, mit viel Spielwitz, hintergründiger Weisheit und Ironie von den Protagonisten verbal, mimisch und mit Gesten brillant umgesetzt, inklusive kurzer Chorgesangseinlage. Das Experiment mit Werken der drei Hausautoren ist sehr fordernd und sicherlich nicht mehrheitsfähig, d.h. kaum Theater für den Durchschnittstheatergänger, also ist das UG  die geeignete Spielstätte für weitere Inszenierungen ähnlicher Art. Fazit: Die drei Stücke waren ein starkes Stück, vielschichtig, unter die Haut gehend, den Intellekt erfrischend kitzelnd. Ein Abtauchen in die Unterwelt (sprich ins UG, Untergeschoss, des Luzerner Theaters) ist unbedingt zu empfehlen.

Essen Zahlen Sterben | Luzerner Theater (Official Trailer)

youtu.be/uYCVvHXl13Q

Kleine Fotodiashow der Produktion von Ingo Höhn, Luzerner Theater:fotogalerien.wordpress.com/2016/04/10/luzerner-theater-spielstaette-ug-essen-zahlen-sterben-ein-theaterabend-von-dominik-busch-michael-fehr-und-ariane-koch/

Text: leonardwuest.ch

Fotos: www.luzernertheater.ch Ingo Höhn und kulturteil.ch

Homepages der andern Kolumnisten: www.marvinmueller.ch  www.irenehubschmid.ch

www.gabrielabucher.ch  Paul Ott:www.literatur.li

Autoren- und Journalisten-Siegel von European News Agency - Nachrichten- und Pressedienst

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Luzerner Theater: «Tanz 21: Bolero plus 2», Premiere: 24. März 2016, besucht von Gabriela Bucher – Liechti

 

Luzerner Theater: «Tanz 21: Bolero plus 2»Besetzung: «Tanz Luzerner Theater»: Chiara Dal Borgo, Rachel P. Fallon, Rachel Lawrence, Salome Martins, Martina Pedrini (Hospitanz), Aurélie Robichon; Davidson Farias, Juan Ferré Gómez (Hospitanz), Shota Inoue, Anton Rosenberg, Richèl Wieles, Eduardo Zúñiga
Produktionsteam: Didy Veldman (Choreografie «360°»), Kimie Nakano (Bühne und Kostüme «360°»); Idan Sharabi (Choreografie, Bühne und Kostüme «Songs»); Stephan Thoss (Choreografie und Kostüme «Bolero»), Arne Walther (Bühne «Bolero»); Jordan Tuinman (Licht); Zoran Marković (Probenassistenz), Lucie Machan (Dramaturgie)
Künstlerische Leitung «Tanz Luzerner Theater»: Kathleen McNurney

Rezension:

Das doch relativ kleine Tanzensemble des Luzerner Theaters hat es einmal mehr gewagt, drei verschiedenen Choreografien einzustudieren und diese mit «Bolero plus 2» am letzten Donnerstag zur Première zu bringen. Und verschieden sind sie, die drei Stücke, so unglaublich verschieden, dass man sich fragt, ob das jeweils dieselben Tänzerinnen und Tänzer sind, welche da auf der Bühne agieren.

Der Abend beginnt mit «360°», einer Uraufführung der niederländischen Choreografin Didy Veldman zu Vivaldis «Vier Jahreszeiten» neu arrangiert von Max Richter. Der Vorhang öffnet sich auf ein mystisch anmutendes Bild. Die acht Tänzerinnen und Tänzer, alle in identischen filigranen blattähnlichen Kostümen,  liegen auf dem Boden, während ein langes, von der Decke hängendes Rohr mit leuchtendem Ende um sie kreist. Die Körper fangen an zu zucken,  sich aus sich selber herauszuschälen, wie Knospen, die sich öffnen. Das Ganze spiegelt sich im schwarz-glänzenden Boden, so entstehen Bilder von grosser Dichte und Schönheit. Mal stehen alle auf der Bühne, mal verzaubert ein Pas-de-deux, zwei Körper, die sich ineinander, aneinander, miteinander im Lichtkegel bewegen. Mal scheinen die Frauen auszuprobieren, was bewegungstechnisch möglich ist, mal zeigen die Männer, was sie an Kraft und Männlichkeit drauf haben. Mal ist es ernsthaft-poetisch, mal flatternd-unsicher und fast erratisch, mal erinnert es an ein Kinderspiel, wo einer etwas vormacht und die andern ihn ständig kopieren. Das Licht-Rohr, welches sich unentwegt dreht wie ein Uhr-Zeiger, definiert den Lebenskreis und gibt dem Ganzen eine wohltuende Ruhe und Stetigkeit, auch in den schnellen Passagen.

In der Pause stellt man sich dann unweigerlich die Frage, wie sich das zweite Stück «Songs» des Israelischen Choreografen Idan Sharabi, ebenfalls eine Uraufführung, einreihen würde nach diesem poetischen Moment. Lucie Machan hatte in ihrer Einführung darauf hingewiesen, dass es eher unkonventionell daherkomme, die Tänzer auch mal sprechen und schreien und das Publikum mit einbeziehen würden. Ballett und Interaktion mit dem Publikum? Die fünf Tänzer stehen bereits auf der Bühne nach der Pause. Während die einen sich unter riesigen Scheinwerfern aufzuwärmen beginnen, stellt sich einer nach dem anderen am Bühnenrand mit Namen vor und richtet sich in seiner Sprache kurz an die Zuschauer, meist unverständlich, aber plötzlich sind es nicht mehr nur Tänzer, sondern Menschen mit einer Stimme, einem Lachen, einer Geschichte. Diese «Öffnung» der Tänzer zieht sich durchs ganze Stück, sie scheinen ihr Innerstes nach aussen zu kehren, was sie zeitweise unglaublich verletzlich erscheinen lässt. Und kann man sich, wie Lucie Machan erklärt hatte, auf dieses Stück einlassen, erlebt man einen magischen Moment, bereits am Anfang in jener Sequenz, wo Bachs Präludium Nr. 12, diese klare, fliessende Melodie in Bewegungen umgesetzt wird, eine perfekte Symbiose,  verkörperter Bach.

Ob nun der Bolero von Stephan Thoss als drittes Stück wirklich auch noch begeistern konnte? Das kann er durchaus, rein nur dadurch, dass es wieder eine komplett andere Geschichte ist. Üblicherweise assoziiert man den getanzten Bolero mit lasziver Erotik. Nicht so bei Thoss. Hier treffen sich sechs ältere Damen in einem leicht veralteten Wohnzimmer zum Kaffeekränzchen. Nur die knallroten Requisiten nehmen das Thema Erotik auf. Es ist wohl noch selten bei einem Ballett so viel gelacht worden wie in den Eingangsszenen dieses Stücks. Wie die sechs Tänzerinnen in ihren grauen Plissée-Jupes, den Deux-Pièces und grauen Hausschlappen herumtrippeln, sich ins Kreuz, an die Hüfte greifen, sich mühsam setzen und wieder aufzustehen versuchen, die ewigen Wiederholungen, schrägen Angewohnheiten, das ist grosses Kino. Bis eine der Damen Ravels Bolero auflegt, da entkrampfen sich die Körper, ab und zu noch eine Geste, die daran erinnert, dass man nicht mehr zu den Jüngsten zählt, aber das Leben kommt zurück. Anfänglich ist alles noch etwas ungelenk aber je mehr sie ausprobieren, desto mutiger werden die Frauen. Und scheinen sie anfänglich selber noch erstaunt über ihre Fähigkeiten, werden sie immer ungestümer, vergessen sich und geraten in eine Art Ekstase, die Hausschlappen sind vergessen, die Plissée-Jupes fliegen: Ravels Bolero als Befreiungsschlag und gleichzeitig als krönender Abschluss eines überaus gelungenen, spannenden Abends.

Einmal mehr beweist das Luzerner Tanzensemble, wie unglaublich wandlungsfähig es ist. Das Publikum war begeistert!

Kleine Fotodiashow von Gregory Batardon Luzerner Theater:

fotogalerien.wordpress.com/2016/03/24/luzerner-theater-tanz-21-bolero-plus-2-premiere-24-maerz-2016-besucht-von-gabriela-bucher-liechti/

Trailer der Produktion:

Text: www.gabrielabucher.ch

Fotos: www.luzernertheater.ch

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Lucerne Festival Ostern 2016: Sinfoniekonzert 2, 20. März, besucht von Léonard Wüst

Symphonieorchester und Chor des Bayerischen RundfunksBesetzung und Programm:

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks   Mariss Jansons, Dirigent

Dmitri Schostakowitsch (1906–1975) Sinfonie Nr. 7 C-Dur op. 60 Leningrader

Am 22. Juni 1941 überfiel Hitler-Deutschland die Sowjetunion. Nur zehn Wochen später hatte die Wehrmacht die Millionen-Metropole Leningrad eingekreist, um sie für zweieinhalb Jahre zu belagern. Die Bevölkerung wurde während dieser unvorstellbar langen 872 Tage buchstäblich ausgehungert – mehr als 900.000 Menschen fielen der Blockade zum Opfer. In dieser Stadt, in dieser Situation komponierte Dmitri Schostakowitsch seine Siebte Sinfonie, die Leningrader Sinfonie. Sie spiegelt die katastrophalen Ereignisse und feiert am Ende doch den Triumph der Menschlichkeit über die Tyrannei. Besonders markant ist das Portrait der einmarschierenden Nazi-Truppen, das Schostakowitsch im Kopfsatz zeichnet, wenn er den Beginn von Lehárs Operettenschlager «Heut geh’ ich ins Maxim» zu einer militanten Version verzerrt und als Thema von elf immer schriller anmutenden Variationen verwendet. Mariss Jansons dirigiert zum Festival-Finale dieses erschütternde musikalische Monument: «Einen berufeneren Schostakowitsch-Interpreten wird man derzeit nicht finden», urteilte DIE ZEIT über seine Einspielung des Werks.

 

Die bewegte und bewegende Geschichte der Leningrader Sinfonie und Näheres zum Dirigenten

.Im Oktober 1941 wurde Schostakowitsch mit seiner Familie aus Leningrad ausgeflogen und konnte das Werk in Kuibyschew fertigstellen, wo es am 5. März 1942 vom dorthin ausgelagerten Orchester des Bolschoi-Theaters unter Leitung von Samuil Samossud uraufgeführt wurde. Die Moskauer Erstaufführung am 27. März fand ebenfalls unter lebensgefährlichen Umständen statt, doch selbst ein Luftalarm konnte angesichts der fesselnden Musik die Zuhörer nicht dazu bewegen, die Schutzräume aufzusuchen. Stalin war daran interessiert, die Sinfonie auch außerhalb der Sowjetunion bekannt zu machen. Am 22. Juni dirigierte sie Sir Henry Wood in London, und Arturo Toscanini leitete die erste Aufführung der Sinfonie in den Vereinigten Staaten, die am 19. Juli 1942 in New York mit dem NBC Symphony Orchestra stattfand. Schostakowitschs Wunsch nach einer Aufführung in Leningrad ging erst kurze Zeit später in Erfüllung: Ein Sonderflugzeug durchbrach die Luftblockade, um die Orchesterpartitur nach Leningrad zu fliegen. Die Leningrader Erstaufführung fand am 9. August 1942, während der Leningrader Blockade, mit dem Radioorchester Leningrad (Dirigent: Karl Eliasberg) statt und wurde von allen sowjetischen Rundfunksendern übertragen.

Ursprünglich hatte Schostakowitsch seine vier Sätze mit den Titeln „Krieg“, „Erinnerungen“, „Heimatliche Weiten“ und „Sieg“ versehen, dies aber wieder zurückgezogen – sie kamen den Wünschen der Stalin-Bürokratie nach einer heroischen Kriegssymphonie zu sehr entgegen. Geplant war, dass die Sinfonie nur aus einem Satz besteht, dann entschloss der Komponist sich zum klassischen Aufbau mit 4 Sätzen.

„Ich widme meine Siebente Sinfonie unserem Kampf gegen den Faschismus unserem unabwendbaren Sieg über den Feind, und Leningrad, meiner Heimatstadt …“Zitat Schostakowitsch vom 29. März 1942 in der Prawda.

Seit 2003 hat Mariss Jansons die Leitungsposition beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks inne; seinen dortigen Vertrag hat er mittlerweile bis zum Jahr 2021 verlängert. Er debütierte am Lucerne Festival am 20. April 1992 mit dem London Symphony Orchestra.

Rezension:

Der erste, 27 Minuten lange Satz – mit dem plötzlichen Einbruch des Marschthemas und ihren elf Variationen, erst leise mit Geigen und Bratschen vorgetragen, begleitet von einer kleinen Militärtrommel, danach variiert durch Flöte, Oboe und Fagott, sich steigernd durch immer mehr Instrumente und schließlich kulminierend in einem Orkan von Bläsern und Trommeln auf dem „prasselnden Hintergrund der Violinen, die mit dem Bogenschaft auf die Saiten geschlagen werden – eine instrumentale Technik, die das Bild tanzender Skelette suggeriert“  – dies lässt niemanden kalt!

Mariss Jansons, Dirigent

 

Etwas erstaunt war ich schon, dass ausschliesslich die „Leningrader Sinfonie“ programmiert war, also kein erster Programmteil so quasi zum „Aufwärmen“, denn  der direkte Einstieg in die „Leningrader“ ist schon relativ starker Tobak. Die Bayern liessen die Muskeln spielen, intonierten opulent, voluminös generös, trotzdem kompakt und streng hierarchisch, besonders kriegerisch  Oboen, Flöten und Klarinetten, versöhnlich der wunderbare Ton des Fagotts. Jansons führte diskret, jedoch bestimmt und gradlinig, liess den Registern Raum für individuelle Interpretationen innerhalb der gegebenen strukturellen Rahmenbedingungen der Partitur, wovon  vor allem die „Kleinbläser“ regen Gebrauch machten, aber nie überbordend ausufernd. Immer wenn das Gefühl aufkam, es münde nun ins Desaströse, fing der geborene Lette seine Mitmusiker auf und lenkte sie wieder in den Verbund zurück. Es war eine Demonstration der individuellen Klasse der einzelnen Orchestermitglieder im Dienste des Ganzen, was das sachkundige Publikum angespannt genoss. Mariss Jansons (1943*) interpretiert die „Leningrader“ transparenter und weniger düster als etwa sein deutlich jüngerer Landsmann  und Kollege Andris Nelsons (1978*). Obwohl das Konzert nur etwa 75 Minuten dauerte, wirkten die Protagonisten erschöpft, aber auch glücklich. Das Auditorium feierte die Musiker denn auch mit frenetischem Applaus, mündend in eine stehende Ovation, die von Orchester und Dirigenten sichtlich erfreut genossen, aber nicht mit einer Zugabe belohnt wurde. Ein würdiger Abschluss dieses, auch zuschauermässig, äusserst erfolgreichen Lucerne Festival an Ostern 2016.

Kleine Fotodiashow von Priska Ketterer Lucerne Festival

fotogalerien.wordpress.com/2016/03/21/sinfoniekonzert-2-symphonieorchester-des-bayerischen-rundfunks-mariss-jansons/

Trailer Dmitri Shostakovich: Symphony No.7  Arturo Toscanini Original Erstaufnahme vom 19. Juli 1942

www.youtube.com/watch?v=SG_KJI6sOwc

Text: www.leonardwuest.ch Fotos: www.lucernefestival.ch

Homepages der andern Kolumnisten: www.marvinmueller.ch  www.irenehubschmid.ch

www.gabrielabucher.ch  Paul Ott:www.literatur.li

Autoren- und Journalisten-Siegel von European News Agency - Nachrichten- und Pressedienst
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